Fischers Schuhe sind ihr zu groß
Außenministerin Annalena Baerbock enttäuscht mit ihrer Krisendiplomatie viele Israelis. Gab es im Büro von Premierminister Benjamin Netanjahu sogar einen Eklat? Eine Analyse.
Berlin/Jerusalem So nahe kommt der Terror der deutschen Politik selten. Vom Hotel Dan in Tel Aviv, in dem Joschka Fischer am 1. Juni 2001 abgestiegen ist, sind es nur 500 Meter zur Diskothek Pascha, vor der ein palästinensischer Selbstmordattentäter an diesem Abend 20 Israelis mit in den Tod reißt. Es ist einer der schwersten Anschläge seit Langem – und der deutsche Außenminister spürt schnell, dass er jetzt nicht einfach nach Hause fliegen kann. Um eine weitere Eskalation zu verhindern, fährt Fischer daher nach Ramallah, zu Palästinenserführer Yassir Arafat, und dann zurück nach Israel, zu Ministerpräsident Ariel Sharon. Arafat ringt er eine öffentliche Erklärung ab, die den Anschlag verurteilt, und Sharon die Zusage, Israelis und Palästinensern noch eine letzte Chance zu geben, nachdem sein Verteidigungsminister schon angedroht hatte, das Westjordanland „in Schutt und Asche“zu legen.
Er sei damals eher zufällig in die
Rolle des Mittlers geraten, sagt Fischer später. „Es passierte einfach, ich habe mich nicht danach gedrängt.“Annalena Baerbock, die amtierende Außenministerin, dagegen drängt es. In dieser Woche war sie bereits zum siebten Mal seit dem Massaker vom 7. Oktober in Israel, eine Handlungsreisende in Krisendiplomatie, wenngleich eine mit begrenzter Wirkung. Er schätze ihre Vorschläge und Ratschläge, sagt Regierungschef Benjamin Netanjahu zwar höflich. „Aber ich will ganz deutlich sein: Israel wird alles Nötige tun, um sich selbst zu verteidigen.“
Mit ihrem grünen Parteifreund Fischer gemeinsam ist Baerbock ein eher ambivalentes Verhältnis zum jeweiligen israelischen Ministerpräsidenten. Anders als er bei Sharon aber findet sie bei Netanjahu kaum Gehör. Fischers Wort dagegen hatte Gewicht in Israel. 2005 verlieh ihm der Zentralrat der Juden den renommierten Leo-BaeckPreis und würdigte so seinen Einsatz für ein Ende des Terrors, für Frieden im Nahen Osten und seine „kritische, aber uneingeschränkte
Solidarität mit dem Staat Israel und seiner Bevölkerung.“
Auf Annalena Baerbock singt die jüdische Community keine solchen Hymnen, in Israel nicht und in Deutschland auch nicht. Dass sie Netanjahu schon vor dem Abflug nach Tel Aviv gewarnt hat, eine Vergeltungsaktion für die iranischen Angriffe sehe das Völkerrecht nicht vor, ist in Israel jedenfalls nicht gut angekommen: In der Sache wie im Stil ein grobes Foul.
Nach Informationen der BildZeitung und eines israelischen Fernsehsenders soll es bei ihrem Gespräch mit dem Regierungschef sogar zu einem Eklat gekommen sein, als Baerbock die Lage im Gazastreifen als „katastrophal“bezeichnet habe. Darauf hätten ihre israelischen Gegenüber ihr Bilder von Märkten in Gaza gezeigt, auf denen jede Menge Obst, Gemüse und andere Lebensmittel zu sehen gewesen seien, sowie Bilder von munter im Meer vor Gaza badenden Palästinensern. Auf Baerbocks Einwand, er solle diese Fotos lieber nicht herumzeigen, soll Netanjahu dann zornig entgegnet haben: „Wir sind nicht wie die Nazis.“Die nämlich hatten einst zu Propagandazwecken geschönte Bilder aus dem Warschauer Getto verbreitet.
Das Auswärtige Amt und die deutsche Botschaft in Tel Aviv weisen den Bericht zwar als irreführend und falsch zurück, mit jeder Reise aber wird die deutsche Außenministerin mehr zum Teil des Problems anstatt zum Teil der Lösung. Die Israelis unterstellen ihr, zu kritisch mit Israel zu sein und zu nachsichtig mit den Palästinensern. In pro-israelischen Chatgruppen im Internet machen gerade empörte Kommentare mit Bildern die Runde, auf denen sie Palästinenserführer Mahmud Abbas in Ramallah lächelnd die Hand schüttelt – einem Mann, der in seiner Doktorarbeit den Holocaust verharmloste, der heute an der Spitze einer korrupten Funktionärsclique
steht und seinem Volk seit 15 Jahren Neuwahlen verweigert. „Ich war mal ein großer Fan von Ihnen“, schreibt die bekannte Journalistin Sahra Cohen-Fantl in einem offenen Brief an Baerbock. „Doch Sie sind zu einer der größten Enttäuschungen geworden – für die Menschen im Iran wie auch für die Menschen in Israel.“Und in der Jüdischen Allgemeinen empört sich der in Israel geborene Historiker Rafael Seligmann, dass die deutsche Außenpolitik in Gestalt ihrer Ministerin von Israel zwar regelmäßig Zurückhaltung einfordere, über das legitime Recht des Landes auf Selbstverteidigung dagegen kein Wort verliere.
Joschka Fischer, der in jungen Jahren selbst große Sympathien für die palästinensische Bewegung hatte, versteht die Israelis heute deutlich besser als seine Parteifreundin Baerbock mit ihren immer neuen Aufrufen zur Mäßigung. „Israel kann sich Schwäche nicht erlauben“, hat Fischer schon im Dezember gewarnt, lange vor dem Angriff des Iran. „Sonst wird es nicht mehr existieren.“
An Gaza scheiden sich die Geister.