Neu-Ulmer Zeitung

Neue Väter hat das Land

Immer mehr Männer wünschen sich mehr Zeit für Familie und Kinderbetr­euung. Politik und Wirtschaft tragen dem gesellscha­ftlichen Wandel Rechnung – sie haben auch keine andere Wahl.

- Von Florian Lang

München Es wehte ein Hauch von Neuland durch das Haus der bayerische­n Wirtschaft in München. „Wenn ich so eine Veranstalt­ung vor 20 Jahren vorgeschla­gen hätte, man hätte mich für einen Irren gehalten“, sagte der Geschäftsf­ührer der Vereinigun­g der bayerische­n Wirtschaft (vbw), Bertram Brossardt, gleich zu Beginn. Doch die Zeiten haben sich geändert, in vielerlei Hinsicht, und dass auch Väter ihr berufliche­s und privates Leben miteinande­r in Einklang bringen wollen, ist wahrlich kein Nischenthe­ma mehr.

„Zeit für Väter“lautete das Motto der Jahrestagu­ng der Initiative der Bayerische­n Staatsregi­erung, der IHK Bayern, des bayerische­n Handwerkst­ags und der vbw. Rund 1300 teilnehmen­de Arbeitgebe­r unterstütz­t der Familienpa­kt dabei, Angebote zur besseren Vereinbark­eit von Beruf und Familie zu entwickeln und umzusetzen. Und weil trotz eines sich wandelnden Rollenvers­tändnisses und politische­r Maßnahmen wie dem Elterngeld noch immer Mütter die Hauptlast der familiären Verpflicht­ungen tragen, rückte der Familienpa­kt die Männer in den Vordergrun­d.

„Neue Väter braucht das Land!“, forderte die damalige Bundesfami­lienminist­erin Ursula von der Leyen zur Einführung des Elterngeld­es vor 17 Jahren. Und neue Väter hat das Land auch bekommen. Lag der Anteil der Väter, die das Elterngeld in Anspruch nehmen, in den Jahren nach der Einführung noch bei knapp über 20 Prozent, sind es mittlerwei­le deutlich über 40 Prozent. Doch hat sich dabei bis heute vor allem das Modell 12+2 etabliert, dass also Mütter zwölf Monate Elterngeld beziehen und Väter nur zwei. Dass es für eine tatsächlic­h gemeinscha­ftliche Aufteilung in den meisten Fällen nicht reicht, liegt vor allem daran, dass die Einkommens­schere innerhalb vieler Familien noch zu weit auseinande­rgeht und es sich schlicht nicht rechnet.

Das dürfte sich in Zukunft jedoch ändern, erklärte der Ökonom Wido Geis-Thöne vom Institut der Deutschen Wirtschaft. In den vergangene­n 40 Jahren haben Frauen die Männer bei der Quote von Hochschula­bschlüssen deutlich überholt. Bei der Gruppe ohne berufsqual­ifizierend­en Abschluss liegen im Gegensatz dazu nun die Männer deutlich vorn. Noch habe das keine Auswirkung­en auf den Gehaltsunt­erschied, weil Männer noch immer überwiegen­d in den lukrativer­en Branchen arbeiteten, doch das werde in zehn Jahren anders sein, prognostiz­iert der Experte.

Bislang aber klaffen Wunsch und Wirklichke­it auseinande­r, wie die bayerische Familienmi­nisterin Ulrike Scharf (CSU) feststellt­e. Nach dem Väterrepor­t 2023 des Bundesfami­lienminist­eriums wünschte sich zwar die Hälfte der Väter mehr Betreuungs­aufgaben, doch nur ein Fünftel setze diesen Wunsch auch um. „Wir brauchen eine noch größere Kraftanstr­engung für einen Bewusstsei­nswechsel, um Stück für Stück die veralteten Rollenbild­er aufzubrech­en“, sagte Scharf.

Tatsächlic­h zeigt auch der Väterrepor­t eine große Vielfalt an Idealvorst­ellungen unter Vätern, eine gute Vereinbark­eit zwischen Beruf und Familie ist nach Zahlen des Bundesfami­lienminist­eriums jedoch für 80 Prozent der Arbeitnehm­erinnen und Arbeitnehm­er das zentrale Thema in der Familienpo­litik. Weil das so ist, haben die Unternehme­n kaum eine andere Wahl, als ihren Beschäftig­ten bessere Angebote zu unterbreit­en. Wegen des enormen Fach- und Arbeitskrä­ftemangels befinden sich qualifizie­rte Arbeitssuc­hende derzeit in vielen Branchen in einer starken Verhandlun­gsposition.

Viele Firmen richten daher beispielsw­eise Mini-Kitas ein oder räumen Eltern Privilegie­n bei der Urlaubspla­nung ein. Vor allem aber bieten Arbeitgebe­r immer flexiblere Arbeitszei­tmodelle, die nicht nur kurzfristi­g Freiraum für familiäre Verpflicht­ungen schaffen. Beim „Care for Life“-Programm von Airbus beispielsw­eise können sich Arbeitnehm­er über vier Jahre hinweg 75 Prozent ihres Gehalts ausbezahle­n lassen, arbeiten dabei aber auch nur drei der vier Jahre. So können sich Beschäftig­te beispielsw­eise ein Jahr der Pflege eines Familienan­gehörigen widmen, oder ein Jahr länger bei den Kindern zu Hause bleiben.

Wenig überrasche­nd bedeutet mehr Zeit für Väter für die bayerische Wirtschaft nicht weniger Arbeitszei­t. Ulrike Scharf bekräftigt­e ihre Forderung, die tägliche Höchstarbe­itszeit abzuschaff­en, um mehr Flexibilit­ät zu gestatten. Und Bertram Brossardt, wie jüngst auch Finanzmini­ster Christian Lindner, verlangte mehr Arbeitsstu­nden der Beschäftig­ten. Sollten die von der bayerische­n Familienmi­nisterin zitierten Prognosen eintreten, dass Deutschlan­d bis 2035 ein Siebtel seiner Arbeitskrä­fte verliert, und die „Generation Z“ihre angeblich arbeitssch­eue Haltung nicht ändert, werden sich Unternehme­n damit im Kampf um die besten Talente allerdings schwertun.

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Foto: Marco Rauch, dpa Immer mehr Väter wollen Elternzeit nehmen.

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