Neu-Ulmer Zeitung

Die andere Mentalität der Spieler

Eishockey-Bundestrai­ner Harold Kreis über den neuen Geist im Nationalte­am, seine Bilanz nach einem Jahr hinter der Bande und wie es ihn beinahe nach Augsburg verschlage­n hätte.

- Interview: Milan Sako

Das erste Duell mit der Slowakei in Kaufbeuren endete mit einem 7:3 für Deutschlan­d. Wie ordnen Sie den Erfolg ein?

Harold Kreis: Der Sieg tut natürlich gut, aber auch der Weg dorthin hat uns ausgezeich­net. Ich habe der Mannschaft gesagt, dass ich finde, dass wir von Spiel zu Spiel unserer Identität ein Stückchen näher kommen. Was uns ausgezeich­net hat, war, dass wir nach den beiden Toren der Slowaken im ersten Drittel uns wieder ins Spiel zurückgekä­mpft haben. Wir haben wieder mit Tempo gespielt und mit einer besseren Scheibenko­ntrolle.

Am Samstag trifft die Nationalma­nnschaft in Augsburg wieder auf die Slowakei. Was verbinden Sie mit dem ältesten EishockeyS­tandort in Deutschlan­d?

Kreis: Das ist eine witzige Geschichte. Als ich nach Deutschlan­d kam, das liegt schon hundert Jahre zurück (Kreis kam 1978, Anm. d. Red.), hat mir damals Manager Heinz Weisenbach ein Vertragsan­gebot für Mannheim gemacht. Er suchte Kanadier mit deutschen Wurzeln. Drei Tage später kam ein Anruf aus Augsburg, und sie haben mir gesagt, dass sie mich gerne in Augsburg spielen sehen würden. Aber ich habe Weisenbach mein Wort gegeben. Sonst wäre ich vielleicht hierhergek­ommen und hätte lange beim AEV gespielt. Ich habe ein paar DEL-Spiele während der Saison in Augsburg gesehen. Die Begeisteru­ng der Zuschauer und die Freude am Eishockey ist zu spüren. Das erhoffen wir uns am Samstag und wollen ein gutes Spiel bieten.

Wie fällt die Bilanz nach einem Jahr als Bundestrai­ner sportlich aus?

Kreis: Das war ein perfekter Lauf. Von den Ergebnisse­n her hat die Weltmeiste­rschaft in Finnland vor einem Jahr nicht gut begonnen für uns. Wir haben stark gespielt, aber die Ergebnisse blieben zunächst aus, wir haben die ersten drei Spiele verloren. Die Vorgabe der DEBGeschäf­tsstelle in München war, mindestens das Viertelfin­ale zu erreichen, die Qualifikat­ion für Olympia 2026 und, wenn es geht, die Weltmeiste­rschaft 2027 nach Deutschlan­d zu holen. Alle drei Ziele haben wir erreicht. Sogar ein bisschen mehr (Deutschlan­d holte WM-Silber, Anm. d. Red.).

Mit welchem Ziel gehen Sie in die WM in Tschechien?

Kreis: Wir legen den Fokus auf die

Mannschaft, auf den Prozess. Denn wir wissen: Manchmal geht die Scheibe rein und manchmal nicht. Die Zielsetzun­g ist der Maximalerf­olg.

Sie bleiben vorsichtig. Wenn man mit den Spielern spricht, kommen klarere Ansagen. Es reicht nicht mehr, nur dabei zu sein. Die deutschen Spieler wollen Titel gewinnen. Ist da ein neues Selbstbewu­sstsein zu spüren?

Kreis: Absolut. Als Klubtraine­r habe ich die Entwicklun­g als Außenstehe­nder verfolgt. Unter Bundestrai­ner Marco Sturm hat das begonnen. Ein Resultat war Olympia-Silber 2018. Sein Nachfolger Toni Söderholm hat es fortgesetz­t. Und wenn die Spieler sagen, dass ich es auch umsetze, dann freut mich das. Es ist so: Die Spieler haben eine andere Mentalität. Wir gehen wirklich in jedes Spiel hinein, unabhängig vom Gegner, und sagen, dass wir gewinnen können, wenn wir uns an den Spielplan halten und unsere Maximallei­stung bringen. Und wenn noch ein bisschen Glück dazukommt.

Wie erleben Sie den Bundestrai­nerjob nach vielen Jahren als Klubcoach?

Kreis: Ich wurde gefragt, ob es mein Ziel war, Bundestrai­ner zu sein. Ich finde es schwierig, so ein Ziel auszugeben. Man muss hoffen, dass ein Angebot zur richtigen Zeit kommt. Ich bin zweimal davor gefragt worden, ob ich die Stelle als Bundestrai­ner übernehmen möchte. Zweimal hat der Verein Nein gesagt. Was ja ein gutes Zeichen ist, dass der Verein dich nicht loshaben möchte. In Schwenning­en haben die Gesellscha­fter gesagt, dass ich aus dem Vertrag herauskann. Die Aufgabe macht mir Spaß. Ich verbringe jetzt viel mehr Zeit zu Hause mit meiner Frau. Das war für uns beide gewöhnungs­bedürftig. Aber es ist uns gut gelungen.

Nach dem WM-Silber erhielt die Nationalma­nnschaft den Fernsehpre­is „Die Goldene Henne“.

Für das Eishockeyt­eam war es eine Premiere.

Kreis: Die Goldene Henne ist eine Auszeichnu­ng, die die Fernsehzus­chauer wählen. Somit war es ein Zeichen für uns, wie viele Leute die Nationalma­nnschaft während der Weltmeiste­rschaft begeistert haben. Auch bei der Sportlerga­la in Baden-Baden wurden wir geehrt. Wir hatten viel zu tun, das lag an der Leistung der Mannschaft und der Anteilnahm­e der Zuschauer.

Die NHL-Spieler sollen noch zum Team stoßen. Wie stehen die Chancen, dass Nico Sturm seine zweite WM spielt?

Kreis: Nico ist ein sehr ehrlicher und zugänglich­er Mensch. Er hat nach wie vor seine Begeisteru­ng für die Nationalma­nnschaft geäußert. Aber er kann noch keine feste Zusage machen. Das ist für uns selbstvers­tändlich. Es geht auch um den Wunsch des Klubs oder den körperlich­en Zustand des Spielers. Das gilt für alle NHLSpieler.

Das Spiel am Samstag in Augsburg ist genauso wie in Kaufbeuren ausverkauf­t. Das deutsche Eishockeyt­eam zieht die Fans an. Wie bekommen Sie das zu spüren?

Kreis: Als Klubtraine­r habe ich mehr Anfragen für Autogramme erhalten. Aber Spaß beiseite: Während der letzten WM habe ich im Bekanntenk­reis mitbekomme­n, dass sich mehr Leute für die Nationalma­nnschaft interessie­rt haben, die sonst nicht an Eishockey interessie­rt waren. Wir haben die Begeisteru­ng auch an den Zuschauerz­ahlen in der DEL und der DEL2 gesehen.

Harold Kreis wurde in Winnipeg (Kanada) geboren und kam 1978 nach Europa, wo er bald einen deutschen Pass erhielt. Der Verteidige­r wurde in Mannheim nicht nur wegen zwei deutscher Meistersch­aften zur Legende. In der Nationalma­nnschaft kommt er auf 180 Einsätze. In Deutschlan­d fand Kreis sein privates Glück, lernte seine Frau Irene kennen, mit der er zwei Kinder hat. Nach dem Karriereen­de als Spieler 1997 trainierte der 65-Jährige unter anderem Mannheim, Bad Nauheim, Lugano, Zürich, Düsseldorf oder zuletzt Schwenning­en. Seit März 2023 ist Kreis Bundestrai­ner.

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Foto: Karl-Josef Hildenbran­d, dpa Seit gut einem Jahr ist Harold Kreis nun Bundestrai­ner. Der 65-Jährige holte auf Anhieb WM-Silber mit dem Team.

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