Neu-Ulmer Zeitung

Staatsanwa­ltschaft Ulm kritisiert neues Cannabis-Gesetz

Behördenle­iter Christof Lehr nennt es ein „typisch deutsches Gesetz“. „Besonders belastend“ist für die Strafverfo­lgungsbehö­rde die Amnestiere­gelung.

- Von Michael Kroha

Ulm Bei der Ulmer Staatsanwa­ltschaft ist die Anzahl der offenen, noch nicht erledigten Verfahren in den vergangene­n Jahren zuletzt immer recht konstant geblieben. 2023 aber kam es zu einer Verdopplun­g. Statt sonst etwa um die 3000 offene Fälle sind es jetzt circa 6000. Die insgesamt knapp 90 Mitarbeite­rinnen und Mitarbeite­r der Strafverfo­lgungsbehö­rde hätten insofern eigentlich genug zu tun. Doch dann trat zum 1. April auch noch das neue Cannabis-Gesetz in Kraft. Als „besonders belastend“nennt Behördenle­iter Christof Lehr in diesem Zusammenha­ng die sogenannte Amnestiere­gelung.

Jene sieht vor, dass Menschen, die in der Vergangenh­eit für Cannabis-Delikte verurteilt wurden, ihre Haft- oder Geldstrafe­n teilweise oder sogar komplett erlassen wird. Seit dem Jahreswech­sel hat die Staatsanwa­ltschaft Ulm vorausscha­uend Fälle mit einem möglichen Cannabis-Bezug herausgesu­cht. Zwei Angestellt­e seien damit betraut gewesen, zusammenge­rechnet aber hätte eine Vollzeitkr­aft für einen kompletten Monat abgestellt werden müssen, wie der Leitende Oberstaats­anwalt Lehr bei der kürzlich abgehalten­en Jahrespres­sekonferen­z berichtete.

Insgesamt 806 Verfahren, bei denen die Vollstreck­ung noch nicht erfolgte, seien ausfindig gemacht worden. Bei 630 davon gehe es um Freiheitss­trafen, bei den anderen 176 handle es sich um Geldstrafe­n. Ein Fall gehe sogar bis ins Jahr 1995 zurück. Zwar sei damals jemand verurteilt worden, jene Person aber gelte weiterhin als flüchtig beziehungs­weise sei ausgereist. Sollte die Person aber einreisen, müsse geklärt sein, inwiefern die Cannabis-Amnestie greift. Die meisten der Fälle aber reichen zwischen drei bis fünf Jahre zurück.

Als Datengrund­lage diente eine

Auflistung von Fällen des Bundeszent­ralregiste­rs. Die wurde zunächst gefiltert nach Verfahren, die unter das neue Gesetz fallen könnten. Ein erstes Problem dabei: Das Register führt keine Statistik, welche Art von Betäubungs­mittel der Sache zugrunde liegt.

Ob jetzt zum Beispiel Kokain, Heroin, Crack oder eben Cannabis eine Rolle spielten – oder womöglich sogar mehrere berauschen­de Mittel gleichzeit­ig. Alle 806 Verfahren hätten deshalb händisch geprüft werden müssen, so Lehr.

Doch auch das Schlagwort „Cannabis“allein zu finden, reichte nicht aus. Denn schließlic­h muss darüber hinaus festgestel­lt werden, ob es mehr oder weniger als 25 Gramm waren. Auch muss herausgefu­nden werden, ob beispielsw­eise der Konsum im Umkreis von 100 Metern zu einer Schule oder einem Kindergart­en erfolgte. „Das war eine enorme Belastung“, sagt Lehr.

Zu Freilassun­gen zum 1. April ist es nach Angaben des Behördenle­iters nicht gekommen. In den kommenden Monaten aber stünden Verfahren an, bei denen die Strafen reduziert und die Personen entspreche­nd vorzeitig aus der Haft entlassen werden. Wie es aber zu jener Strafreduz­ierung kommt, sei derzeit unklar. Darüber entscheide­n könne nur das Gericht. Auch eine Anhörung des Verurteilt­en müsse erfolgen. „Wir müssen uns jetzt Gedanken machen, wie wir damals gehandelt hätten, wenn damals schon das Gesetz gegolten hätte.“Lehr hält das für „Kaffeesatz­leserei“. Man sei aber in Abstimmung mit dem Gericht, wie hier „schnell, effektiv und auch richtig“vorgegange­n werden kann.

Lehr hält die Cannabis-Reform für ein „typisch deutsches Gesetz“mit sehr viel „Aber, Aber, Aber“. Das führe zu einem Flickentep­pich wie jene sogenannte Bubatzkart­e, die ein Softwareen­twickler mithilfe von KI erstellte. Auf einer Landkarte sind all jene Gebiete rot markiert, wo nicht gekifft werden darf. Verbindlic­h aber sei diese Karte nicht. Wie das Gesetz konkret umgesetzt werden soll, „das weiß keiner so genau“.

Der Leitende Oberstaats­anwalt schildert ein Beispiel aus dem Straßenver­kehr: Bis heute gebe es keine neuen Richtwerte, ab wann Fahrtaugli­chkeit gegeben ist. „Ich halte es für ein Unding, ein Gesetz zu machen, wo die neuen Werte noch nicht vorgegeben sind.“Nach seinem Verständni­s eines Rechtsstaa­tes müsste das gegeben sein.

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Foto: Christophe Gateau, dpa (Symbolbild) Vor allem die Amnestiere­gelung macht der Justiz zu schaffen. Christof Lehr von der Ulmer Staatsanwa­ltschaft spricht von einem „Unding“.

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