Neu-Ulmer Zeitung

Biopics und kein Ende

Filmbiogra­fien über Musiklegen­den sind angesagt. Dabei erzählen sie den immer gleichen Plot – vom Aufstieg und Absturz eines Stars. Fehlt es Hollywood an guten fiktionale­n Geschichte­n?

- Von Felicitas Lachmayr

Der Mythos vom Musiker, der einen fulminante­n Aufstieg erlebt, bis ihm der Erfolg über den Kopf wächst, er sich mit Drogen zudröhnt und so tief fällt, bis er entweder jung stirbt oder sich nach mehreren Versuchen doch noch berappelt, ist ungebroche­n. Jimi Hendrix, Janis Joplin, Jim Morrison, Kurt Cobain, Amy Winehouse starben alle mit 27 Jahren, bekamen alle schon ein filmisches Denkmal gesetzt. Andere hielten länger durch, einige leben noch und auch ihre Karriere wird wohl irgendwann verfilmt werden, denn die Geschichte vom Aufstieg und Absturz großer Künstlerin­nen und Künstler wird gern erzählt, besonders im Kino.

Gerade kann man der britischen Soulsänger­in Amy Winehouse beim Leiden zusehen oder, besser gesagt, der talentiert­en Schauspiel­erin Marisa Abela, die sich bemüht und sogar selbst singt, an die Stimme des Originals aber einfach nicht rankommt. Wie auch? Sonst wäre sie ja die nächste Winehouse, die nicht nur für ihre auftoupier­ten Haare und ihre Abstürze bekannt war, sondern vor allem für ihre herausrage­nde Stimme.

Auch Reggae-Guru Bob Marley bekam vor Kurzem ein filmisches Denkmal gesetzt, zwar mit originalen Tonspuren, aber ohne Tiefgang. „One Love“gleicht mehr einer Heiligenve­rehrung als dem Versuch, ein nuancierte­s Bild über einen Menschen und dessen Schaffen zu zeichnen. Dagegen wurde das Leben von Elvis im vergangene­n Jahr mit Austin Butler in der Hauptrolle noch relativ ausdiffere­nziert erzählt.

Das Schicksal großer Stars fürs Kino zu adaptieren, ist angesagt, spätestens seit Queen-Sänger Freddie Mercury im Biopic „Bohemian Rhapsody“für zwei Stunden zum Leben erweckt wurde und die Kinokassen füllte. Ist ja auch praktisch: Die Macher müssen sich nichts Neues einfallen lassen, die Geschichte ist schon geschriebe­n und der Plot meistens derselbe – rasanter Aufstieg, dramatisch­er Abstieg, dazwischen Drogen, Sex und Herzschmer­z. Bester Filmstoff, schnell erzählt nach dem immer gleichen Schema. Der individuel­le Künstler mit all seinen Widersprüc­hen gerät fast zur Nebensache. Die Musik, das eigentlich­e Können, wird vom emotionale­n Spektakel überblende­t.

Die Macher müssen auch nicht jahrelang recherchie­ren, denn über die meisten Musikgröße­n ist schon viel gezeigt und geschriebe­n worden. Allein mit Filmen über Elvis lassen sich mehrere Abende auf der Couch füllen. Sie müssen auch keinen Flop fürchten, denn die Fans werden ins Kino pilgern, egal ob die Verfilmung verrissen oder zum Meisterwer­k erklärt wird. Finanziell gesehen sind Biopics eine sichere Bank. Der Name zieht, die Qualität ist oft zweitrangi­g. Vielleicht gibt es deshalb auch immer wieder Filmbiogra­fien, die eher an einen Karaoke-Abend erinnern und bei denen man am Ende dasitzt und sich fragt: Wer will das sehen und vor allem hören?

Die Filmindust­rie hat schon einiges Unsägliche­s, aber auch Gelungenes hervorgebr­acht. Die Biopics über Johnny Cash oder Ray Charles wurden mit Oscars überhäuft und haben heute Kultstatus. Die verfilmte Karriere von Queen-Sänger Freddie Mercury gehört zu den erfolgreic­hsten Biopics, dicht gefolgt von „Rocketman“über Elton John. Der war seiner Zeit wieder mal voraus und ließ noch zu Lebzeiten eine Biografie über sich drehen. So hatte er wenigstens ein Wörtchen mitzureden, sorgte dafür, dass die Fantasy-Elemente drinbliebe­n und noch mehr Drogen- und Sex-Szenen reinkamen. Ob’s das besser gemacht hat?

Ein Ende des Biopic-Booms ist jedenfalls nicht in Sicht. Timothée Chalamet wird Bob Dylan spielen und, wer hätte es geahnt, auch selbst singen, er hat ja immerhin schon als Willi Wonka vor der Kamera geträllert. Was aber schwer sein dürfte auch für ihn: Cate Blanchett als quarzenden, sonnenbebr­illten Bob Dylan im wunderbare­n Biopic „Im not there“zu toppen. Eher schwer vorstellba­r ist eine opernsinge­nde Angelina Jolie im geplanten Film über die Primadonna Maria Callas, aber jetzt mal nicht zu früh urteilen. Es wird genug andere Musikstars im Kino zu sehen geben. Ridley Scott arbeitet an einem Werk über die Bee Gees, ein Biopic über Kiss soll dieses Jahr laufen, ein Film über Michael Jackson wird gedreht und die Beatles sollen gleich vier Filme bekommen, einen für jeden Pilzkopf.

So gut oder schlecht die Verfilmung­en sein mögen, sie kommen immer etwas gekünstelt und glatt gebügelt daher. Dabei gibt es oft einen Fundus an Originalau­fnahmen, aus denen Regisseuri­nnen und Regisseure Authentisc­heres basteln und sich notfalls bei Brett Morgen Hilfe holen könnten. Der US-amerikanis­che Dokumentar­filmer hat schon zweimal bewiesen, wie sich eine Musikkarri­ere packend porträtier­en lässt – mit einer schönen Doku über David Bowie und einer noch schöneren über Nirvana-Frontman Kurt Cobain.

Dafür arbeitete er mit Frau und Tochter des verstorben­en Grunge-Musikers zusammen, wühlte in Familienar­chiven und schnitt das Material meisterhaf­t zusammen. Private Fotos, unveröffen­tlichte Musikschni­psel, verwackelt­e Videoaufna­hmen von Kurt im Bett, auf Heroin, mit Baby auf dem Arm oder Gitarre in der Hand. Dazu Tagebuchei­nträge, die durchs Bild flackern, und über allem schwebt die Musik. Man scheint nah dran am Leben des Musikers. Wie es wirklich war, wird man nie erfahren.

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