Neu-Ulmer Zeitung

„Du musst als Künstler heute mehr aufpassen, was du sagst“

Jan Delay veröffentl­icht mit „Forever Jan“ein Best-of-Album und geht auf große Deutschlan­d-Tournee. Ein Gespräch über sein Vorbild Udo Lindenberg, den Rechtsruck in Deutschlan­d und das neue Cannabis-Gesetz.

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aber mit Kindermuck­e oder Schlumpfte­chno im Sack haben, sind alle über vier genervt. Also wird es schwer mit dem Hit.

Ihre Tochter ist zehn. Fungiert sie als musikalisc­he Beraterin?

Delay: Ja, sie ist wirklich ein wichtiger Ratgeber, weil sie sich so entwickelt und verändert, dass ich manchmal baff bin. Sie denkt aber nicht, dass ihr Papa die tollste Musik überhaupt macht, sondern dass das sein Job ist. Sie interessie­rt sich für alles, was ich mache, hört aber natürlich ganz andere Musik.

Mit Ihrem großen Vorbild Udo Lindenberg nahmen Sie 2006 den Song „Im Arsch“auf. Erinnern Sie sich noch an Ihr erstes Treffen?

Delay: Ja klar, da ist er zu uns ins Studio gekommen. Damals befand es sich noch über dem alten Eimsbush-Büro in der Eimsbüttel­er Straße 63 auf dem Hinterhof. Ich war natürlich tierisch aufgeregt. Udo kam mit einem Mitarbeite­r aus dem Atlantic Hotel vorbei, der für ihn Tee kochen musste und hat den Song direkt eingesunge­n. Es war krass. Ich glaube, wir haben da sogar ein bisschen gefilmt.

Hat Lindenberg ein Faible für unkonventi­onelle Arbeitsmet­hoden?

Delay: Auf jeden Fall nicht tagsüber. Mit Udo kannst du tagsüber nichts machen. Der ist noch mehr Nachteule als ich.

Wie kam es zu dem düsteren Text von „Im Arsch“?

Delay: Den habe ich Ende 2004 geschriebe­n. Das war zur Zeit der dritten Beginner-Platte „Blast Action Heroes“. Das erste Mal, dass eine deutsche Rap-Platte auf Platz eins ging. Das war cool, aber zeitgleich drohte die ganze Musikindus­trie wegen Napster, Pirate Bay und CD-Brennerei zusammenzu­brechen. Unsere Firma Eimsbush ist damals insolvent gegangen. Und trotzdem hatte „Im Arsch“einen positiven Kick: dass du genau daraus Kraft schöpfst, ganz neu anfängst und etwas Derberes machst. Und schon bald wurde klar, dass ich auf die richtige Karte gesetzt hatte.

Ist Kunst eigentlich immer optimistis­ch?

Delay: Kommt ganz darauf an, was man für Musik macht. Bei Blues ist das nicht wirklich berufserfo­rdernd, bei Schlager wäre es schon nicht schlecht. Ich persönlich habe mich dazu entschiede­n, dass ich das auf jeden Fall will und brauche. Klar, es gibt da draußen viel Scheiß, aber letztendli­ch will man auch dagegen etwas tun und was hilft es, schlecht drauf zu sein. Nee, ich mache Musik, die dafür da ist, dass jemand seinen Arsch bewegt. Man kann versuchen, trotzdem die anderen Dinge anzusprech­en, aber so, dass es sich nicht über alles drüberlegt und die Songs pessimisti­sch klingen.

Zur Person

Jan Delay alias Jan Phillip Eisfeld gehört zu den bekanntest­en deutschen Musikern. Er wuchs in Hamburg auf, interessie­rte sich früh für Hip-Hop und gründete mit seinen Freunden Denyo und DJ Mad die Combo „Absolute Beginner“, deren zweites Album „Bambule“von 1998 bis heute Kultstatus hat. Aber auch als Solokünstl­er hat sich Delay einen Namen gemacht. Am 3. Mai erscheint das Doppelalbu­m „Forever Jan“mit seinen größten Hits, Nebenproje­kten und Raritäten. Ende Mai startet er seine Tour, am 4. Juli spielt er auf dem Tollwood-Festival in München.

Sind Sie optimistis­ch, was die Gesellscha­ft als Ganzes angeht?

Delay: Die Demos im Januar und Februar haben mir ein bisschen was von der Angst genommen und ein besseres Gefühl gegeben. Das zeigt mir, dass es sich lohnt, optimistis­ch zu sein.

Laut einer aktuellen Studie teilen immer mehr Menschen in Deutschlan­d rechtsextr­eme Einstellun­gen. Viele wollen demnach sogar eine Diktatur. Wie erklären Sie sich das?

Delay: Es ist immer die Frage, wie viele Tweets von Leuten, die geistig umnachtet sind, zu etwas Allgemeine­m aufgebausc­ht werden. Und wie nüchtern die Person war,

Wenn ein Faschist sich irgendwo mit irgendwem trifft, um über solch einen Quatsch wie Remigratio­n zu reden, bin ich persönlich nicht schockiert.

Es ist auffällig, dass Bewegungen wie Kundgebung­en für Demokratie oder der Klimaaktiv­ismus keine Hymnen besitzen, keinen Soundtrack. Wieso läuft der Widerstand gegen die Apokalypse ohne Popmusik ab?

Delay: Entweder fehlt es an dem richtigen Lied oder dem richtigen Künstler. Vielleicht ist es auch so schwierig, weil heutzutage so viele Dinge auf die Goldwaage gelegt werden. Du musst als Künstler tausendmal mehr aufpassen, was du sagst, als diejenigen, die deinen Song zu einer Hymne machen. Es ist alles so sensibel geworden.

Machen Sie sich beim Texten heute mehr Gedanken als früher?

Delay: Das alles hat meine Alarmglock­en sicher noch einmal geschärft, aber ich finde es gut, dass ich mich verändere und Menschen Wörter, die verletzen, aus ihrem Sprachgebr­auch streichen. Aber nicht aus Zwang, sondern, weil es eine gute Sache ist. Bei dem Song „Türlich, türlich“von Das Bo und mir zum Beispiel gab es anfangs die Zeile „Gucken spastisch aus der Wäsche wie gekaut und ausgespuck­t“. Irgendwann wurde mir bewusst, „spastisch“ist diffamiere­nd. Seitdem sage ich lieber „dümmlich“.

In der Sammlung legendärer Nebenproje­kte und Raritäten ist der Song „17:30“enthalten. Textprobe: „Jetzt ist schon 15 Uhr, und ich noch im Pyjama/Laufe durch die Wohnung, und ich rauch’ Marihuana, ja, ja“. Ist das als Hommage an Cannabis zu verstehen?

Delay: Ich weiß nicht, wie ich diese Frage deuten soll. Auf jeder meiner Platten ist doch irgendwo eine Hommage an Cannabis. Das ist für mich etwas Selbstvers­tändliches.

An dem neuen „Gesetz zum kontrollie­rten Umgang mit Cannabis“scheiden sich die Geister. Friedrich Merz hat angekündig­t, es zu kippen, sollte er im kommenden Jahr Bundeskanz­ler werden. Delay: Ach, das machen die nicht, das wäre doch viel zu peinlich. Wir sind ja fast noch das letzte Bauernland, wo das noch nicht erlaubt war. Geht mit der Zeit, Leute! Schön und gut, dass ihr konservati­v seid, aber ihr könnt auch Geld damit verdienen. Ich war gerade in Nevada, einem Wüstenbund­esstaat, wo nur rechte Christen wohnen. Selbst da darfst du kiffen. Aber man muss darüber nicht mehr reden, es ist ja jetzt passiert.

Interview: Olaf Neumann

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