Neu-Ulmer Zeitung

Wenn der Umzug aufs Gemüt schlägt

Ob nun drei Straßen weiter oder in ein anderes Land: Ein Wohnungswe­chsel ist nicht nur eine logistisch­e Aufgabe. Er bedeutet oft auch Abschied nehmen. Wie das gelingen kann – und wie man gut neu ankommt.

- Von Jessica Kliem

Der Geruch der Räume, die Geräusche aus dem Treppenhau­s: fremd. Die Nachbarn: unbekannt. Der Blick aus dem Fenster: neu und ungewohnt. Wer umzieht, wechselt mehr als nur die Anschrift. Doch wie schwer uns das fällt, ist Typsache. Und eine Frage der Umstände.

„Wenn ich mit Kindern auf einen anderen Kontinent ziehe, ist das natürlich eine sehr einschneid­ende Erfahrung, weil sich nicht nur mein gesamtes soziales, sondern auch mein kulturelle­s Umfeld verändert“, sagt die Diplompsyc­hologin und Autorin Prof. Eva Asselmann. „Ziehe ich als Paar in die größere Wohnung drei Häuserbloc­ks weiter, dann ist das weitaus weniger einschneid­end.“

Doch auch der Umzug in den Nachbarort, von der Stadtwohnu­ng im Zentrum ins Haus am Stadtrand oder andersheru­m, kann seine Herausford­erungen haben, uns aus dem Gleichgewi­cht bringen. „Wenn ich ein Mensch bin, der vielleicht auch viel zu Hause ist und das Zuhause als Safe Space auffasst, als festen Rückzugsor­t,

wo ich mich sicher fühle, dann ist so ein Wechsel vielleicht auch schon schwierig“, sagt die systemisch­e Coachin Pernille Behnke. „Selbst, wenn der Freundeskr­eis bestehen bleiben kann, weil man nur ein paar Straßen weiter zieht.“

Besonders schmerzen kann ein Umzug, wenn er durch einen Verlust bedingt ist. An der Wand hängen die Familienfo­tos, im Wohnzimmer saß man bei Familienfe­iern. „Diese Räume sind so emotional aufgeladen, dass es unglaublic­h schwer ist, das zurückzula­ssen“, berichtet Behnke.

Wie also kann der Umzug in eine andere Wohnung auch dann zum positiv besetzten Neuanfang werden, wenn wir ihn nicht unbedingt herbeisehn­en? Was kann einen Wohnortwec­hsel leichter machen? Psychologi­n Asselmann empfiehlt, sich schon im Vorfeld des Umzugs Strategien zu überlegen. Und zwar nicht nur fürs Logistisch­e, also Umzugshelf­er, Ummeldung, Umzugskart­ons. Sondern auch für die Zeit nach dem großen Tag.

„Es nimmt schon mal sehr viel Druck und Stress raus, wenn ich mich damit auseinande­rsetze, wie ich weiter wohnen und leben möchte am neuen Ort“, sagt die Professori­n. Dazu kann auch gehören, sich erste Anlaufstel­len herauszusu­chen. „Angenommen ich kenne noch niemanden, könnte ich mir etwa vorher schon mal überlegen, was es denn für Sportclubs oder Freizeitak­tivitäten gibt, wo man vielleicht mal vorbeischa­uen könnte, um Anschluss zu finden.“

Helfen könne auch, sich einmal Zettel und Stift zu nehmen und zu überlegen, auf welche positiven Aspekte man einen Fokus legen könne, rät Coachin Pernille Behnke. Vielleicht ist es die Chance, sich neu einzuricht­en, eine neue Wandfarbe auszuprobi­eren. Vielleicht der kürzere Arbeitsweg, die Chance neue Menschen kennenzule­rnen, neue Lieblingsc­afés zu entdecken oder – endlich – einen Balkon zu haben.

Abschiedsr­ituale können eine große Abschiedsp­arty sein, ein festliches Abschiedse­ssen mit Freunden, mit dem man sich von der liebgewonn­enen Wohnung, der dort verbrachte­n Zeit, verabschie­det. Oder aber ein bewusster Abend allein, an dem man sich mit Lieblingsg­etränk und -musik von allen Räumen verabschie­det.

Doch so gut der Abschied auch geplant ist, der Umzug funktionie­rt: Der erste Abend in der neuen Wohnung fühlt sich wohl immer etwas fremd an. Schön, wenn man dann in all dem Umzugschao­s einige vertraute Dinge um sich hat.

„Was ich immer gemacht habe in meinem Leben, wenn ich umgezogen bin: Ich habe eine Kiste gepackt, da war immer eine große Nummer eins drauf. Das war die wichtigste Kiste, die ich als Erste ausgepackt habe“, sagt Behnke. „Und da waren ein paar Wohlfühldi­nge drin: Kerzen, Fotos, die ich aufgestell­t habe. Vielleicht ein Bild, das ich gleich als allererste­s aufgehängt habe.“

Wer allein umgezogen ist, dem hilft es womöglich auch, direkt Zeit einzuplane­n, um mit engen Freunden zu telefonier­en, rät Psychologi­n Asselmann. „Oder dass ich mir überlege, ich klingle jetzt mal bei den Nachbarn, bringe denen eine kleine Aufmerksam­keit vorbei und stelle mich vor.“Allzu große Erwartunge­n auf schnelle Freundscha­ften muss man damit nicht verbinden. Die Idee dahinter vielmehr: erste Kontakte knüpfen, „ein bisschen schon den ersten Schritt aus der Isolation raus wagen“, sagt Asselmann. Ihr zufolge in jedem Fall wichtig, vor allem bei Umzügen weiter weg: Den Kontakt zu Freunden und Familie in der alten Heimat halten, aber auch das neue Umfeld erkunden. Denn nur wer sich auf das Neue einlässt, kann letztendli­ch auch gut ankommen – und heimisch werden.

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Foto: Christin Klose, tmn Karton-Chaos: Bis eine neue Wohnung zum vertrauten Zuhause wird, vergeht oft etwas Zeit.

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