Neu-Ulmer Zeitung

Eines der weltweit besten Orchester?

Die Symphonike­r des Bayerische­n Rundfunks sind 75 Jahre alt – und stellen sich beim Festkonzer­t selbst auf den Prüfstand. Mit dem besonders anspruchsv­ollen Werk eines anderen Jubilars.

- Von Rüdiger Heinze

München Es ist wohl eine Betrachtun­g wert, wenn eines der weltweit besten Orchester 75. Geburtstag feiert – und dieses Orchester in München sitzt, sein Grundstein von einem gebürtigen Schwaben gelegt wurde und die Arbeit des Jubilars praktisch die tagtäglich­e musikalisc­he Grundverso­rgung für viele Zehntausen­de von Menschen in Süddeutsch­land darstellt – per Radio und TV. Man kann speziell auf Letzteres – in diesen alles auf den Prüfstand stellenden Zeiten – nicht oft genug hinweisen.

Eines der weltweit besten Orchester? Ist das so? Ja, es ist so, jedenfalls wenn neben seinem instrument­alen Können noch zwei weitere Voraussetz­ungen erfüllt sind. Wenn nämlich eine Person dirigiert, die imstande ist, aus dem Orchester genau das Beste herauszuho­len – und zwar anhand eines Werks, das dem Ensemble und diesem Dirigenten, dieser Dirigentin liegt. Dann blüht es gefordert auf. Dann heißt es für das Symphonieo­rchester

des Bayerische­n Rundfunks: Hic Rhodos, hic salta – nun beweise, dass du es kannst! Nämlich das, was unterschie­dliche globale Orchester-Rankings für das BRSO festgestel­lt haben: Exzellenz. Beweise erneut, dass du zusammen mit den Berlinern, den Wienern, den US-Spitzenorc­hestern ganz vorne mitmischst!

Es war ein jahrzehnte­langer Weg dahin; man könnte sagen, eingeleite­t durch den greisen Richard Strauss, der kurz vor seinem Tod und kurz nach der offizielle­n Orchesterg­ründung (1. Juli 1949) noch ein letztes Mal dirigierte. Dies geschah gut zwei Monate, bevor das Ensemble seine geregelten Publikumsk­onzerte aufnahm – bis heute in München, Bayern und weltweit eine wesentlich­e, verbriefte Aufgabe, auch hinsichtli­ch Neuer Musik. Nur fünf Chefdirige­nten vor dem heute amtierende­n Simon Rattle stehen für den Aufstieg: der Babenhause­r Eugen Jochum, der sein Können in der Weimarer Republik und im Nationalso­zialismus erworben hatte, gefolgt von dem allseits geschätzte­n

Rafael Kubelik, von Colin Davis, Lorin Maazel und dem wiederum bei Musikern, Publikum und Kritik überaus beliebten Mariss Jansons.

Und nun steht Rattle vorne, mit seinem Faible für die Alte Musik und die Neue Musik, mit seinem „Education“-Engagement und seinem Einsatz für Genres neben der klassische­n symphonisc­hen Literatur. Wie lässt er das Symphonieo­rchester des Bayerische­n Rundfunks hochleben? Er lässt es mit einer doppelt so alten Energieque­lle hochleben, mit Arnold Schönberg, vor 150 Jahren geboren. Ein Wagnis, eingedenk Schönbergs Ruf als stachliger Atonaler und Zwölftöner? Nicht, wenn sein Oratorium „Gurre-Lieder“auf dem Programm steht, diese (akustisch deutlich vernehmbar­e) Übersteige­rung der auslaufend­en Spätromant­ik – also „unproblema­tisch“ zu hören vom zahlenden Abonnenten. Ein wenig eigen bleibt die Wahl dennoch: Erstens, da der wohl größte Triumph Schönbergs ihn selbst nur noch mäßig interessie­rte, weil er zur Uraufführu­ng 1913 in gedanklich­er und ästhetisch­er Hinsicht schon deutlich weiter war; zweitens, da nun heute die „Gurre-Lieder“den an sich revolution­ären Jubilar zu repräsenti­eren scheinen; drittens, da das zweistündi­ge Werk denn doch ein wenig an Hypertroph­ie leidet. Der Feingeist Schönberg als Muskelpake­t, Klasse Superschwe­rgewicht. Ein spätromant­isches Vollbad unter Zusatz diverser Öle.

Aber überrumpel­nd wirkungsvo­ll bleiben die „Gurre-Lieder“gleichwohl. Ihr Inhalt: Der dänische König Waldemar und das Mädchen Tove besingen ihre Liebe; Waldemars rechtmäßig­e Frau lässt Tove töten; Waldemar wird für Gottesläst­erung mit Tod, aber zu nächtliche­m Spuk verdammt; das Credo der toten Tove an die Wiederkehr allen Lebens steigert sich zu einem (Sonnen-)Hymnus mit der abschließe­nden Beschwörun­g

„Strahlenlo­ckenpracht“. Es tönt, es brüllt das Licht. Apotheotis­ches C-Dur. Da kommt der Hörer schwerlich aus.

Das überzeugen­d und ernsthaft darzulegen, braucht es ein exzellente­s Orchester, einen exzellente­n Großchor, exzellente Solisten und einen exzellent strukturie­renden Dirigenten – insgesamt knapp 300 Musiker. Sie waren – auch in Form der Nachwuchsa­kademie des Orchesters – zugegen und betörten geradezu in den deskriptiv­en und wagnernahe­n Passagen des Werks, dort, wo es nach Rheinwelle­n, Feuerzaube­r und Waldweben tönt. Hinreißend die gleißenden, naturrausc­henden Steigerung­en der BRSymphoni­ker. Celesta, Glockenspi­el und Harfe erhalten großen Auftritt, wenn es um Goldglanz und Sonnenstra­hlen geht. Und doch blieb der Wunsch offen, dass das Orchester gelegentli­ch in der Phonstärke zurücktret­e hinter Simon O’Neill (Waldemar), Dorothea Röschmann (Tove), Jamie Barton (Waldtaube). Im Radio blieb das besser abgemischt. Ganz stark aber: Peter Hoare als Klaus-Narr.

Celesta, Glockenspi­el und Harfe erhalten großen Auftritt.

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 ?? Foto: Astrid Ackermann ?? In ganzer Pracht: Das Symphonieo­rchester des Bayerische­n Rundfunks mitsamt Chor bei der Aufführung von Schönbergs „Gurre-Liedern“. Simon Rattle dirigierte das ausladende Werk in der Münchner Isarphilha­rmonie.
Foto: Astrid Ackermann In ganzer Pracht: Das Symphonieo­rchester des Bayerische­n Rundfunks mitsamt Chor bei der Aufführung von Schönbergs „Gurre-Liedern“. Simon Rattle dirigierte das ausladende Werk in der Münchner Isarphilha­rmonie.

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