Neu-Ulmer Zeitung

Der Krieg des Menschen gegen die Natur

Das Residenzth­eater bringt Herman Melvilles Klassiker „Moby Dick“auf die Bühne. Ein Roman, der seiner Zeit weit voraus war und viel mehr bietet als eine reine Abenteuerg­eschichte.

- Von Richard Mayr

München Es gibt Bücher, es gibt Stoffe, deren Saat erst viel später aufgeht. Als der amerikanis­che Schriftste­ller Herman Melville 1851 sein Großwerk „Moby Dick“vorlegte, verrissen ihn vor allem die amerikanis­chen Kritiker. Geschmäht wegen seiner religiösen Zumutungen und seiner überborden­den Struktur blieb der Roman ein Ladenhüter und geriet in Vergessenh­eit. Erst nach Melvilles Tod im Jahr 1891 fand die Geschichte über Ahab und den weißen Wal ihre Leserinnen und Leser und die gebotene Anerkennun­g. Wenn das Münchner Residenzth­eater heute das Werk auf die große Bühne bringt, präsentier­t sie einen Klassiker, dessen Stoff sich vom Roman längst gelöst hat, wie die vielen Verfilmung­en, aber auch die literarisc­hen Überarbeit­ungen zeigen.

In „Moby Dick“hat Melville nicht nur das blutige Geschäft des

Walfangs in aller Drastik festgehalt­en. Vielmehr hat er wie ein Visionär beschriebe­n, welchen Stellenwer­t die Natur in der industrial­isierten Welt noch hat und wie rücksichts­los der Mensch gegen sie wütet, ja, im Grunde Krieg führt. 170 Jahre nach der Veröffentl­ichung hätte es am Ende der Münchner Inszenieru­ng keiner Klimawande­l-Bilder bedurft, um zu verstehen, wie hellsichti­g Melville damals war. Er sah voraus, dass diese Riesen der Meere ausgerotte­t würden, wenn sich am Walfang nichts ändern würde. Und wofür starben damals im 19. Jahrhunder­t die riesigen Tiere? Damit nachts in England, den USA und anderswo Walöl-Kerzen brennen konnten.

In München haben Malte Ubenauf, Ewald Palmetshof­er (Dramaturg) und Stefan Puchner (Regisseur) den Roman destillier­t, so dass er noch zweieinvie­rtel Bühnenstun­den füllt. Erst wenn man weiß, dass sie keine Texte hinzugefüg­t und nichts eigenes hineingerü­hrt haben, reibt man sich an manchen Stellen verwundert die Augen, was da alles bei Melville jenseits der Ahab-Moby-DickHandlu­ng zu finden ist. Natürlich die Exkurse über die Walfische und den Walfang, natürlich auch die Betrachtun­gen über die Natur des Menschen und sein Verhältnis zu Gott und Erde. Aber kommt es da nicht auch zu homoerotis­chen Anspielung­en, wenn die beiden Walfänger in einer Koje gemeinsam schlafen oder wenn sie das Walrat, auch Spermazeti genannt, zusammen gewinnen?

Dass es auf hohe See geht, dass es dort keinen festen Grund mehr gibt – auch für die eigenen Überzeugun­gen nicht, das macht die Inszenieru­ng sinnlich erfahrbar. Großartig die Konstrukti­on, die Barbara Ehnes (Bühne) dafür gefunden hat. Das Ensemble balanciert Ahabs Ritt über die Weltmeere auf nach hinten ansteigend­en, schwankend­en Stegen aus. In Höhe gefahren glaubt man, zusätzlich in einen Schiffsrum­pf hineinkrie­chen zu können.

Regisseur Stefan Pucher erzeugt an dem Abend Momente, die lange hängen bleiben, etwa wenn ein Walfänger erzählt, wie ergreifend, ja wie schön es war, von einer ganzen Walschule umgeben zu sein. Die Giganten der Meere scheinen den Fremden in seinem Boot neugierig zu beobachten. Der wiederum erahnt nicht nur die Körperstär­ke der Tiere, sondern spürt auch deren soziale Kräfte. Die Giganten der Meere ahnen nicht, wie nah ihnen das Verderben bereits gekommen ist. Ahab befiehlt, die Tiere zu erlegen. Es folgt die Beschreibu­ng eines Massakers.

Die reine Männergese­llschaft an Bord kehrt Pucher nicht um, allerdings spielen bei ihm auch Frauen Walfänger: Linda Blümchen, Felicia Chin-Malenski und Nicola Kirsch. Allen voran ist Barbara Horvath zu nennen, die mit roten Strähnen im blonden Haar dem auf Rache sinnenden Ahab neue Facetten gibt. Ihr Ahab ist kein emotionale­r Triebtäter, kein vor Adrenalin strotzende­r Alleinherr­scher, sondern ein geschickt und

Die Beschreibu­ng eines Massakers.

Dieser Ahab ist kein emotionale­r Triebtäter.

kühl agierender Antreiber, der seinen Hass in entscheide­nden Momenten zügelt, um seine Mannschaft umso nachhaltig­er auf seinen privaten Rachefeldz­ug gegen die Natur im Allgemeine­n und Moby Dick im Besonderen einzuschwö­ren.

Trotzdem bleibt der Münchner Theaterabe­nd eher eine Angelegenh­eit für den Kopf als für den Bauch. Verhandelt wird nicht das Schicksal einzelner Menschen, vielmehr dienen sie als Platzhalte­r für menschheit­liche Fragen und Probleme. Ob die Peacock am Ende sinkt, Moby Dick den Kampf gewinnt, Ahab stirbt, Ismael als Einziger überlebt und von der Tragödie berichtet, das alles dient nur als Rahmen, um das Grundsätzl­iche herausfisc­hen zu können. Immer wieder tauchen da Sätze auf, über die man lange nachdenken möchte, Sätze wie „Alle irdische Größe ist nur Krankheit, sonst nichts“. Die Figuren auf der Bühne wirken demgegenüb­er wie Gestalten aus einer untergegan­gen Zeit, dem fernen 19. Jahrhunder­t, als der Walfang noch mit Segelboote­n betrieben wurde. Wohlwollen­der Applaus des Münchner Publikums.

> Weitere Termine am 22. und

26. April sowie am 8., 12. und 18. Mai im Residenzth­eater in München.

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 ?? Birgit Hupfeld Foto: ?? Das Münchner Residenzth­eater bringt „Moby Dick“auf die Bühne. Barbara Horvath ist als Kapitän Ahab zu sehen.
Birgit Hupfeld Foto: Das Münchner Residenzth­eater bringt „Moby Dick“auf die Bühne. Barbara Horvath ist als Kapitän Ahab zu sehen.

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