Der Krieg des Menschen gegen die Natur
Das Residenztheater bringt Herman Melvilles Klassiker „Moby Dick“auf die Bühne. Ein Roman, der seiner Zeit weit voraus war und viel mehr bietet als eine reine Abenteuergeschichte.
München Es gibt Bücher, es gibt Stoffe, deren Saat erst viel später aufgeht. Als der amerikanische Schriftsteller Herman Melville 1851 sein Großwerk „Moby Dick“vorlegte, verrissen ihn vor allem die amerikanischen Kritiker. Geschmäht wegen seiner religiösen Zumutungen und seiner überbordenden Struktur blieb der Roman ein Ladenhüter und geriet in Vergessenheit. Erst nach Melvilles Tod im Jahr 1891 fand die Geschichte über Ahab und den weißen Wal ihre Leserinnen und Leser und die gebotene Anerkennung. Wenn das Münchner Residenztheater heute das Werk auf die große Bühne bringt, präsentiert sie einen Klassiker, dessen Stoff sich vom Roman längst gelöst hat, wie die vielen Verfilmungen, aber auch die literarischen Überarbeitungen zeigen.
In „Moby Dick“hat Melville nicht nur das blutige Geschäft des
Walfangs in aller Drastik festgehalten. Vielmehr hat er wie ein Visionär beschrieben, welchen Stellenwert die Natur in der industrialisierten Welt noch hat und wie rücksichtslos der Mensch gegen sie wütet, ja, im Grunde Krieg führt. 170 Jahre nach der Veröffentlichung hätte es am Ende der Münchner Inszenierung keiner Klimawandel-Bilder bedurft, um zu verstehen, wie hellsichtig Melville damals war. Er sah voraus, dass diese Riesen der Meere ausgerottet würden, wenn sich am Walfang nichts ändern würde. Und wofür starben damals im 19. Jahrhundert die riesigen Tiere? Damit nachts in England, den USA und anderswo Walöl-Kerzen brennen konnten.
In München haben Malte Ubenauf, Ewald Palmetshofer (Dramaturg) und Stefan Puchner (Regisseur) den Roman destilliert, so dass er noch zweieinviertel Bühnenstunden füllt. Erst wenn man weiß, dass sie keine Texte hinzugefügt und nichts eigenes hineingerührt haben, reibt man sich an manchen Stellen verwundert die Augen, was da alles bei Melville jenseits der Ahab-Moby-DickHandlung zu finden ist. Natürlich die Exkurse über die Walfische und den Walfang, natürlich auch die Betrachtungen über die Natur des Menschen und sein Verhältnis zu Gott und Erde. Aber kommt es da nicht auch zu homoerotischen Anspielungen, wenn die beiden Walfänger in einer Koje gemeinsam schlafen oder wenn sie das Walrat, auch Spermazeti genannt, zusammen gewinnen?
Dass es auf hohe See geht, dass es dort keinen festen Grund mehr gibt – auch für die eigenen Überzeugungen nicht, das macht die Inszenierung sinnlich erfahrbar. Großartig die Konstruktion, die Barbara Ehnes (Bühne) dafür gefunden hat. Das Ensemble balanciert Ahabs Ritt über die Weltmeere auf nach hinten ansteigenden, schwankenden Stegen aus. In Höhe gefahren glaubt man, zusätzlich in einen Schiffsrumpf hineinkriechen zu können.
Regisseur Stefan Pucher erzeugt an dem Abend Momente, die lange hängen bleiben, etwa wenn ein Walfänger erzählt, wie ergreifend, ja wie schön es war, von einer ganzen Walschule umgeben zu sein. Die Giganten der Meere scheinen den Fremden in seinem Boot neugierig zu beobachten. Der wiederum erahnt nicht nur die Körperstärke der Tiere, sondern spürt auch deren soziale Kräfte. Die Giganten der Meere ahnen nicht, wie nah ihnen das Verderben bereits gekommen ist. Ahab befiehlt, die Tiere zu erlegen. Es folgt die Beschreibung eines Massakers.
Die reine Männergesellschaft an Bord kehrt Pucher nicht um, allerdings spielen bei ihm auch Frauen Walfänger: Linda Blümchen, Felicia Chin-Malenski und Nicola Kirsch. Allen voran ist Barbara Horvath zu nennen, die mit roten Strähnen im blonden Haar dem auf Rache sinnenden Ahab neue Facetten gibt. Ihr Ahab ist kein emotionaler Triebtäter, kein vor Adrenalin strotzender Alleinherrscher, sondern ein geschickt und
Die Beschreibung eines Massakers.
Dieser Ahab ist kein emotionaler Triebtäter.
kühl agierender Antreiber, der seinen Hass in entscheidenden Momenten zügelt, um seine Mannschaft umso nachhaltiger auf seinen privaten Rachefeldzug gegen die Natur im Allgemeinen und Moby Dick im Besonderen einzuschwören.
Trotzdem bleibt der Münchner Theaterabend eher eine Angelegenheit für den Kopf als für den Bauch. Verhandelt wird nicht das Schicksal einzelner Menschen, vielmehr dienen sie als Platzhalter für menschheitliche Fragen und Probleme. Ob die Peacock am Ende sinkt, Moby Dick den Kampf gewinnt, Ahab stirbt, Ismael als Einziger überlebt und von der Tragödie berichtet, das alles dient nur als Rahmen, um das Grundsätzliche herausfischen zu können. Immer wieder tauchen da Sätze auf, über die man lange nachdenken möchte, Sätze wie „Alle irdische Größe ist nur Krankheit, sonst nichts“. Die Figuren auf der Bühne wirken demgegenüber wie Gestalten aus einer untergegangen Zeit, dem fernen 19. Jahrhundert, als der Walfang noch mit Segelbooten betrieben wurde. Wohlwollender Applaus des Münchner Publikums.
> Weitere Termine am 22. und
26. April sowie am 8., 12. und 18. Mai im Residenztheater in München.