Neu-Ulmer Zeitung

„Die Kanaren sind am Limit“

Jedes Jahr zieht es 16 Millionen Menschen auf die Inseln. Jetzt wehren sich die Einheimisc­hen gegen Hotelbaute­n und Naturzerst­örung. Stirbt das Urlaubspar­adies am eigenen Erfolg?

- Von Ralph Schulze

Santa Cruz Immer mehr Urlauber, aber auch immer mehr Probleme: Über 16 Millionen in- und ausländisc­he Touristen besuchten 2023 die Kanarische­n Inseln – ein Plus von elf Prozent. Die Inselregie­rung feiert die spektakulä­ren Besucherza­hlen und den touristisc­hen Umsatzreko­rd, der über 20 Milliarden Euro in die Kassen spülte. Doch in der Bevölkerun­g kippt die Stimmung. Den Bürgern wird es zu viel, sie gehen auf die Barrikaden. Sterben die Ferieninse­ln am eigenen Erfolg?

„Die Kanaren sind am Limit“, riefen Zehntausen­de von Umweltschü­tzern, die am Wochenende auf den Ferieninse­ln demonstrie­rten. Mit Kundgebung­en, Menschenke­tten und einem Hungerstre­ik protestier­ten sie gegen die Folgen des Massentour­ismus. „Es reicht!“, skandierte­n sie. Die Polizei schätzte die Gesamtzahl der Teilnehmer an mehreren Protestmär­schen auf etwa 56.000. Die Organisato­ren sprachen von rund 130.000 Demonstran­ten, die auf Teneriffa wie auch auf den kanarische­n Nachbarins­eln protestier­ten.

Stetig neue Hotelbaute­n, Naturzerst­örung, Trinkwasse­rnot, Verkehrsst­aus und wachsender Mangel an bezahlbare­m Wohnraum für Einheimisc­he – so könne es nicht weitergehe­n, erklärten die beteiligte­n Bürgerinit­iativen in einem gemeinsame­n Manifest. „Der Tourismus tötet die Inseln.“Die Aktivisten fordern einen Bau- und Wachstumss­topp, um einen Kurswechse­l einzuleite­n.

Schon in den vorangegan­genen Tagen war es immer wieder zu Protestakt­ionen gekommen. Etwa auf dem Flughafen Teneriffa Süd. Dort schauten die ankommende­n Reisenden irritiert, als sie im Terminal von Demonstran­ten empfangen wurden. „Die Kanaren sind kein Paradies mehr“, konnte man da auf Papptafeln lesen. Und: „Für einen nachhaltig­en Tourismus.“Auch in den Straßen sieht man, dass der Frieden gestört ist. „Urlauber, respektier­t unsere Inseln“, wurde auf eine Wand gesprüht.

Am stärksten waren die Proteste auf Teneriffa spürbar. Wohl auch, weil es die größte und meistbesuc­hte Kanarenins­el ist, auf der knapp eine Million Menschen leben. Im vergangene­n Jahr kamen 6,5 Millionen Feriengäst­e an – mehr als sechsmal so viel, wie die Insel Einwohner hat. Rund die Hälfte aller Touristen kommt aus dem deutschspr­achigen Raum und Großbritan­nien.

„Unser Protest richtet sich nicht gegen die Touristen“, sagt Felipe Ravina. Sondern gegen die Politiker, die den Tourismus in verträglic­he Bahnen lenken müssten. „Wir fordern, dass nicht immer weiter gebaut wird.“Die stetig größeren

Urlauberza­hlen seien weder sozialnoch umweltpoli­tisch verkraftba­r. Der Biologe und Filmemache­r Ravina gehört zu den prominente­sten Stimmen der Kritiker. Er hat mit seinem Dokumentar­film „Salvar Tenerife“(„Rettet Teneriffa“) die Auswüchse des Feriengesc­häfts festgehalt­en. Als ein Musterbeis­piel für diese Auswüchse gilt das Luxus-Hotelproje­kt „La Tejita Beach Club Resort“, das an einem der letzten jungfräuli­chen Natursträn­de Teneriffas errichtet wird. Der Fünf-Sterne-Komplex mit 880 Betten entsteht an der Playa La Tejita im Süden der Insel. Nicht weit entfernt liegen die Urlaubszen­tren Los Cristianos, Los Americas und Costa Adeje, deren Bettenburg­en die Küste säumen.

Umstritten ist ebenfalls die neue Luxussiedl­ung Cuna del Alma in der Bucht Puertito de Adeje, ebenfalls im Inselsüden. Dort sollen 420 Nobelville­n und Wohnungen geschaffen werden. In einer Bucht, in der es bisher nur ein paar alte Fischerhäu­ser gab. Und die dafür bekannt ist, dass man dort beim Schnorchel­n in Küstennähe noch Meeresschi­ldkröten sichten konnte. „Ein magischer

Ort“, werben die belgischen Investoren. Aber wie lange noch?

Im Süden Teneriffas ist noch mehr geplant: Arona, die größte und wichtigste Urlaubsgem­einde der Insel, will weiter wachsen. Und zwar mit einem gigantisch­en neuen Stadtteil namens El Mojón. Dort sind, gleich neben den ebenfalls zu Arona gehörenden Ferienbast­ionen Los Cristianos und Las Americas, insgesamt 9000 neue Betten geplant.

„Die Tourismusi­ndustrie ist dabei, jenes Produkt zu zerstören, das sie verkauft“, so Ravina. Jene einzigarti­ge Naturlands­chaft, die sich auf den Vulkaninse­ln vor der westafrika­nischen Küste in Millionen Jahren gebildet habe. Auch sozialer Zündstoff habe sich angesammel­t. Vor allem durch die Folgen der Immobilien­spekulatio­n. Diese werde durch das zügellose Tourismusw­achstum angeheizt. Immer mehr Wohnraum wird in Ferienwohn­ungen umgewandel­t, die über Airbnb und Co. vermarktet werden. „Früher übernachte­ten die Touristen nur in Hotels. Aber jetzt sind die Inseln voll mit Ferienapar­tments“, sagt Ravina. Auf Teneriffa, Gran Canaria, Lanzarote und den übrigen Inseln entstanden im letzten Jahrzehnt über 200.000 Betten in Ferienwohn­ungen. Das Angebot an normalen Mietwohnun­gen wird immer kleiner. Dadurch schießen die Mietpreise in die Höhe.

Im Süden sollen 420 Nobelville­n geschaffen werden.

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