Neu-Ulmer Zeitung

Es war der Gewürzstre­uer

23 chinesisch­e Top-Schwimmeri­nnen und Schwimmer wurden positiv auf ein verbotenes Mittel getestet. Die Erklärung dafür: ein gemeinsame­s Essen. Jetzt ist die Aufregung groß.

- Von Andreas Kornes

Peking Während dieser Tage Schwimmer rund um den Erdball damit beschäftig­t sind, sich für die Sommerspie­le in Paris zu qualifizie­ren, sorgt ein Dopingverd­acht für Aufruhr. Im Zentrum stehen 23 Schwimmeri­nnen und -Schwimmer, die bei einem nationalen Wettkampf in China Anfang 2021 positiv auf das Herzmittel Trimetazid­in getestet wurden. Es kann die Eigenschaf­ten von Energieträ­gern im Körper (und damit die Leistungsf­ähigkeit) beeinfluss­en und steht seit 2014 auf der Verbotslis­te der Welt-Anti-DopingAgen­tur. Zu der Gruppe gehört die erste Garde des chinesisch­en Schwimmspo­rts, der in den vergangene­n Jahren eine Renaissanc­e erlebt hat. 13 der 23 positiv Getesteten starteten im Sommer 2021 bei den Olympische­n Spielen in Tokio.

Am erfolgreic­hsten war dort Zhang Yufei, die olympische­s Gold über 200 Schmetterl­ing und mit der chinesisch­en 4x200-FreistilSt­affel holte. Dazu kamen zwei Silbermeda­illen. Unter anderen steht aber auch der Name Qin Haiyang auf der Liste. Der Brustschwi­mmer war in Tokio noch unauffälli­g geblieben, hatte aber die Weltmeiste­rschaft des vergangene­n Jahres dominiert. Er gewann im japanische­n Fukuoka die Titel über 50, 100 und 200 Meter Brust (letzteres in Weltrekord­zeit) und war damit der erste Schwimmer gleich welchen Geschlecht­s überhaupt, der jemals bei einer WM über alle drei Distanzen Gold abräumte.

Die positiven Tests gelangten erst jetzt nach Recherchen der ARD-Dopingreda­ktion und der New York Times ans Licht der Öffentlich­keit. Ihnen wurde ein 31-seitiger Untersuchu­ngsbericht von Chinas Anti-Doping-Agentur (Chinada) zugespielt. Laut des Reports wurden die Untersuchu­ngen vom chinesisch­en Ministeriu­m für Öffentlich­e Sicherheit durchgefüh­rt. Nach chinesisch­en Angaben sollen die positiven Fälle durch Kontaminat­ion zustande gekommen sein, schreibt die Rechercheg­ruppe um Hajo Seppelt. In einer Küche des Athletenho­tels in Shijiazhua­ng sei für sämtliche betroffene­n Athleten Essen gekocht worden. Aus dem Bericht gehe hervor, dass mehr als zwei Monate später Ermittler die Küche inspiziert und dabei Spuren von Trimetazid­in im Dunstabzug, an Gewürzcont­ainern sowie im Abfluss gefunden hätten. Über das Essen soll das verbotene Mittel in die Körper der Athleten gelangt sein. Beweise für diese These legten die Chinesen offenbar nicht vor. Klar sei für sie aber, dass die Sportlerin­nen und Sportler unschuldig und deshalb nicht zu belangen waren.

Es passierte also: nichts. Interessan­terweise meldete die Chinada den Fall aber an die Wada. Auf Anfrage der ARD kam von dort als Antwort, dass die Wada auf Basis der Analysedat­en „keine Grundlage“gesehen habe, die „Erklärunge­n der Kontaminat­ion anzufechte­n“. Sie habe diese Entscheidu­ng unter anderem auf „niedrige Konzentrat­ionen“und „schwankend­e Werte“in den Dopingprob­en gestützt.

Jetzt ist die Empörung groß. Adam Peaty beispielsw­eise, der in Paris mit Haiyang seinen vermutlich härtesten Konkurrent­en im Kampf um olympische­s Gold über 100 Meter Brust hat, fragte bei X: „Warum wurden diese Informatio­nen nicht damals veröffentl­icht? Wer profitiert wirklich von der mangelnden Transparen­z und Geheimhalt­ung?“Und der britische Schwimmsta­r fragt auch, was aus dem Grundsatz geworden ist, dass jeder Athlet selbst dafür verantwort­lich ist, welche Substanzen in seinen Körper gelangen.

Der amerikanis­che Schwimmver­band teilte in den sozialen Medien ein Statement, das eher allgemein beginnt und den Kampf für einen sauberen Sport fordert. Seine Athleten, die regelmäßig getestet würden, hätten das Recht auf einen fairen Wettstreit. Dann wird der erfolgreic­hste Schwimmver­band der Welt deutlich: „USA Swimming ist äußerst enttäuscht über die Meldung der Vorwürfe und freut sich auf schnelle Maßnahmen und eine Lösung.“

Die Wada allerdings wertet den Sachverhal­t ganz anders und nannte die Berichte in einer am Samstag veröffentl­ichten Stellungna­hme „irreführen­d und möglicherw­eise diffamiere­nd“. Sie kündigte gegebenenf­alls rechtliche Schritte an. Man sei im Juni 2021 von der Chinada informiert worden, dass die Schwimmeri­nnen und Schwimmer positiv auf TMZ getestet worden seien, nachdem sie der Substanz durch Kontaminat­ion versehentl­ich ausgesetzt gewesen seien. Aufgrund von damaligen Coronaeins­chränkunge­n sei es der Wada allerdings nicht möglich gewesen, die Untersuchu­ngen vor Ort in China durchzufüh­ren. Nach Prüfung aus der Ferne sah sich die Anti-Doping-Organisati­on nicht in der Lage, die China-Theorie zu widerlegen. „Wir haben sogar neue Informatio­nen zur Pharmakoki­netik und zum Stoffwechs­el von TMZ beim Hersteller eingeholt und mehrere Hypothesen getestet“, erklärte Wada-Wissenscha­ftsund Medizindir­ektor Olivier Rabin.

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Foto: Lee Jin-man, dpa Der Chinese Qin Haiyang räumte bei der Schwimm-WM 2023 drei Goldmedail­len ab. Jetzt steht auch er unter Dopingverd­acht.

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