Es war der Gewürzstreuer
23 chinesische Top-Schwimmerinnen und Schwimmer wurden positiv auf ein verbotenes Mittel getestet. Die Erklärung dafür: ein gemeinsames Essen. Jetzt ist die Aufregung groß.
Peking Während dieser Tage Schwimmer rund um den Erdball damit beschäftigt sind, sich für die Sommerspiele in Paris zu qualifizieren, sorgt ein Dopingverdacht für Aufruhr. Im Zentrum stehen 23 Schwimmerinnen und -Schwimmer, die bei einem nationalen Wettkampf in China Anfang 2021 positiv auf das Herzmittel Trimetazidin getestet wurden. Es kann die Eigenschaften von Energieträgern im Körper (und damit die Leistungsfähigkeit) beeinflussen und steht seit 2014 auf der Verbotsliste der Welt-Anti-DopingAgentur. Zu der Gruppe gehört die erste Garde des chinesischen Schwimmsports, der in den vergangenen Jahren eine Renaissance erlebt hat. 13 der 23 positiv Getesteten starteten im Sommer 2021 bei den Olympischen Spielen in Tokio.
Am erfolgreichsten war dort Zhang Yufei, die olympisches Gold über 200 Schmetterling und mit der chinesischen 4x200-FreistilStaffel holte. Dazu kamen zwei Silbermedaillen. Unter anderen steht aber auch der Name Qin Haiyang auf der Liste. Der Brustschwimmer war in Tokio noch unauffällig geblieben, hatte aber die Weltmeisterschaft des vergangenen Jahres dominiert. Er gewann im japanischen Fukuoka die Titel über 50, 100 und 200 Meter Brust (letzteres in Weltrekordzeit) und war damit der erste Schwimmer gleich welchen Geschlechts überhaupt, der jemals bei einer WM über alle drei Distanzen Gold abräumte.
Die positiven Tests gelangten erst jetzt nach Recherchen der ARD-Dopingredaktion und der New York Times ans Licht der Öffentlichkeit. Ihnen wurde ein 31-seitiger Untersuchungsbericht von Chinas Anti-Doping-Agentur (Chinada) zugespielt. Laut des Reports wurden die Untersuchungen vom chinesischen Ministerium für Öffentliche Sicherheit durchgeführt. Nach chinesischen Angaben sollen die positiven Fälle durch Kontamination zustande gekommen sein, schreibt die Recherchegruppe um Hajo Seppelt. In einer Küche des Athletenhotels in Shijiazhuang sei für sämtliche betroffenen Athleten Essen gekocht worden. Aus dem Bericht gehe hervor, dass mehr als zwei Monate später Ermittler die Küche inspiziert und dabei Spuren von Trimetazidin im Dunstabzug, an Gewürzcontainern sowie im Abfluss gefunden hätten. Über das Essen soll das verbotene Mittel in die Körper der Athleten gelangt sein. Beweise für diese These legten die Chinesen offenbar nicht vor. Klar sei für sie aber, dass die Sportlerinnen und Sportler unschuldig und deshalb nicht zu belangen waren.
Es passierte also: nichts. Interessanterweise meldete die Chinada den Fall aber an die Wada. Auf Anfrage der ARD kam von dort als Antwort, dass die Wada auf Basis der Analysedaten „keine Grundlage“gesehen habe, die „Erklärungen der Kontamination anzufechten“. Sie habe diese Entscheidung unter anderem auf „niedrige Konzentrationen“und „schwankende Werte“in den Dopingproben gestützt.
Jetzt ist die Empörung groß. Adam Peaty beispielsweise, der in Paris mit Haiyang seinen vermutlich härtesten Konkurrenten im Kampf um olympisches Gold über 100 Meter Brust hat, fragte bei X: „Warum wurden diese Informationen nicht damals veröffentlicht? Wer profitiert wirklich von der mangelnden Transparenz und Geheimhaltung?“Und der britische Schwimmstar fragt auch, was aus dem Grundsatz geworden ist, dass jeder Athlet selbst dafür verantwortlich ist, welche Substanzen in seinen Körper gelangen.
Der amerikanische Schwimmverband teilte in den sozialen Medien ein Statement, das eher allgemein beginnt und den Kampf für einen sauberen Sport fordert. Seine Athleten, die regelmäßig getestet würden, hätten das Recht auf einen fairen Wettstreit. Dann wird der erfolgreichste Schwimmverband der Welt deutlich: „USA Swimming ist äußerst enttäuscht über die Meldung der Vorwürfe und freut sich auf schnelle Maßnahmen und eine Lösung.“
Die Wada allerdings wertet den Sachverhalt ganz anders und nannte die Berichte in einer am Samstag veröffentlichten Stellungnahme „irreführend und möglicherweise diffamierend“. Sie kündigte gegebenenfalls rechtliche Schritte an. Man sei im Juni 2021 von der Chinada informiert worden, dass die Schwimmerinnen und Schwimmer positiv auf TMZ getestet worden seien, nachdem sie der Substanz durch Kontamination versehentlich ausgesetzt gewesen seien. Aufgrund von damaligen Coronaeinschränkungen sei es der Wada allerdings nicht möglich gewesen, die Untersuchungen vor Ort in China durchzuführen. Nach Prüfung aus der Ferne sah sich die Anti-Doping-Organisation nicht in der Lage, die China-Theorie zu widerlegen. „Wir haben sogar neue Informationen zur Pharmakokinetik und zum Stoffwechsel von TMZ beim Hersteller eingeholt und mehrere Hypothesen getestet“, erklärte Wada-Wissenschaftsund Medizindirektor Olivier Rabin.