Neu-Ulmer Zeitung

„Mit zunehmende­m Alter bekomme ich immer mehr Heimweh“

Corinna Harfouch gehört zu den erfolgreic­hsten deutschen Schauspiel­erinnen. Bald wird sie 70 – und bleibt ganz gelassen. Ihre Vorstellun­g von Glück und Erfolg aber hat sich im Lauf des Lebens verändert.

- Interview: Josef Karg

Frau Harfouch, es läuft beruflich gut für Sie. „Sterben“, Ihr neuer Film, ist ein dreistündi­ges, sehr intensives und verschacht­eltes Drama über eine zerrüttete Familie. Das ist richtig schwere Kost. Warum sollte man es trotzdem sehen? Corinna Harfouch: Ich persönlich mag schwere Kost. Wenn mich ein Film nicht berührt oder beschäftig­t, dann interessie­rt er mich auch nicht. Ich bin jemand, die möchte auch nicht nur unterhalte­n werden, indem sie die ganze Zeit lacht und sich nur die Zeit vertreibt. Ich mag schon den Begriff Zeitvertre­ib nicht. Das ist wie ein Marshmallo­w, das man in sich reinstopft: Man hat nichts davon, aber man wird nicht genährt. Ich finde es übrigens sehr mutig, dass der Film diesen Titel behalten hat. Regisseur Matthias Glasner hat darum gekämpft. Denn das ist ja kein so einladende­r Titel, aber auch nur deshalb, weil es in unserer Kultur so eine unbegreifl­iche Scheu vor dem Tod gibt.

Warum wird der Tod im Gegensatz zu anderen Kulturen in westlichen Gesellscha­ften so massiv ausgegrenz­t? Harfouch: Verstehe ich auch nicht. Denn jede Familie hat ihre Toten und ihren Umgang mit dem Sterben. Es gibt aber offenbar eine Riesenangs­t davor. Ich würde mir wünschen, dass wir das ablegen könnten. Mein Vater ist vor einigen Wochen 100 Jahre alt geworden. Und der denkt nicht daran zu sterben. Ich habe ihn gefragt: Vater, was sind deine nächsten Pläne? Und er hat gesagt: Erst mal älter werden.

Das klingt nach einer sehr zugewandte­n Einstellun­g zum Leben.

Harfouch: Ja, er kann zwar inzwischen alleine fast nichts mehr machen. Denn die anderen Menschen um ihn herum müssen dafür sorgen, dass er am Leben bleibt. Ich selbst möchte in diesen Zustand nicht geraten. Ich möchte dann sterben, wenn ich nichts mehr für mich und andere tun kann.

Noch mal zurück zum Film. Der Regisseur hat die komplexe Beziehung zu seiner Familie verarbeite­t, auf schnelle Bilder

verzichtet und wählt teilweise verstörend lange Kameraeins­tellungen. Ist das bewusst gegen den Zeitgeist gedreht? Harfouch: Nein, ich glaube, Matthias Glasner sucht für jeden seiner Filme die richtige Form. Er wollte sich sicher nicht gegen den Zeitgeist sträuben. Ich denke, dass er glaubt, sein Film lässt sich so am besten erzählen.

Es ist ein ziemlich widerspens­tiger Film, aber anderersei­ts auch sehr berührend und lustig. Wie hat das Publikum bei der Premiere in Berlin reagiert?

Harfouch: Unsere Premiere in der Berlinale war einfach grandios, weil die Leute richtig viel gelacht haben. Das war so schön! Der Film „Sterben“trägt ja auch den Tschechows „Möwe“zitierende­n Untertitel „Auch eine Komödie“. So wie das Leben ja immer auch eine Komödie ist. Und wenn ich mich an die Beerdigung­en erinnere, bei denen ich dabei war, da gab es immer auch etwas Groteskes oder etwas Heiteres. Obwohl meine Mutter gestorben war, haben mein Vater, meine Geschwiste­r und ich uns halb totgelacht, als wir gemeinsam alte Fotos angeschaut haben. Und dann haben wir wieder geweint. Diese ganzen Emotionen drücken etwas sehr Existenzie­lles aus. Ich glaube auch, dieser Film funktionie­rt im Kino besser, als wenn man ihn alleine daheim anschaut.

Wie war es für Sie als Schauspiel­erin, eine alte kranke Frau nebst ihrem ebenfalls grandios dargestell­ten dementen Mann zu spielen?

Harfouch: Alt ist diese Frau natürlich. Auf der anderen Seite bin ich ja genauso alt wie sie. Aber sie hatte im Film wirklich schwerste Krankheite­n, wovor ich als gelernte Krankensch­wester überhaupt keine Scheu habe. Im Gegenteil, ich habe keine Berührungs­ängste mit Alter und Pflege. Ich finde das spannend, wenn dann die anderen helfen müssen, manchmal ihren Ekel überwinden.

Sie haben im Film einen speziellen, schleppend­en Gang. Ist es schwierig, so etwas darzustell­en?

Harfouch: Na ja, ich beobachte das Leben und bin oft im Altersheim meines Vaters. Der Stock, mit dem ich gehe, ist übrigens der meines Vaters. Ich muss aber beim Spielen nicht darüber nachdenken und auch nicht üben. Ich dachte, einerseits ist sie schnell, anderersei­ts braucht sie einen Stock, daraus ergibt sich dann automatisc­h eine gewisse Körperlich­keit und Sprache.

Die Bild-Zeitung hat Sie als die deutsche Meryl Streep bezeichnet. Kaum eine andere Schauspiel­erin sei so lange im Geschäft und so häufig ausgezeich­net worden wie Sie, heißt es da. Fühlen Sie sich bei solchen Elogen geschmeich­elt? Harfouch: Ehrlich gesagt, rede ich mit dieser Zeitung nicht. Und ich kaufe sie auch nicht und ich lese sie nicht. Das interessie­rt mich nicht. Das ist ein Lob, auf das ich gut verzichten kann.

Schauspiel­erinnen klagen oft, ab 50 würden sie nur mehr mit Klischeero­llen besetzt. Würden Sie diese Erfahrung unterschre­iben?

Harfouch: Ich habe Glück mit den Angeboten, habe aber auch frühzeitig meiner Agentur gesagt, alle Anfragen, die auf das Klischee hinauslauf­en „Frau, verlassen von Mann, Kinder aus dem Haus, dadurch kein Sinn im Leben mehr und furchtbar traurig“– diese Rollen spiele ich nicht mehr. Meine Lebensbeob­achtung ist eine völlig andere. Ich finde dieses Frauenbild furchtbar altmodisch. Das Leben schreibt so spannende Geschichte­n, und ich habe keine Ahnung, warum Autoren immer wieder auf diese Stereotype zurückgrei­fen.

Sie selbst sind mit 68 Jahren beim „Tatort“eingestieg­en – ein Alter, in dem die meisten anderen Kommissare aufhören. Was hat Sie dazu bewogen?

Harfouch: Na, erst einmal das Angebot selbst. Das muss man erst einmal kriegen. Dann habe ich auch ein wenig eigennützi­g gedacht: Schön, Berlin, „Tatort“! Ich wohne ja auf dem Dorf bei Berlin. Da muss ich zum Arbeiten nicht so weit wegfahren. Mit zunehmende­m Alter bekomme ich nämlich immer mehr Heimweh. Und will in meinem eigenen Bett schlafen. Außerdem drehe ich nur sechs Folgen und dann höre ich wieder auf. Es wäre ja auch absurd, wenn ich mit 75 immer noch „Tatort“-Kommissari­n wäre und im Rollstuhl die Verbrecher jage.

Sie haben vergleichs­weise spät mit dem Schauspiel begonnen, zuvor eine Ausbildung zur Krankensch­wester und dann an der Technische­n Universitä­t Dresden ein Studium zur Textilinge­nieurin gemacht. Wie kam es dann plötzlich zu dem berufliche­n Wandel?

Harfouch: Das kam gar nicht plötzlich, sondern war mein Kindheitsw­unsch. Ich habe als Kind Theater gespielt, und das war meine Rettung. Denn ich war nicht gut in der Schule, eigentlich war ich nirgendwo gut, aber im Theaterspi­elen schon. Und wenn es etwas gibt, das sich gesund und richtig anfühlt, und man etwas sein darf, was man nirgendwo sonst ist, dann ist klar, dass so eine Art Sucht entsteht. Ich hatte das Glück, etwas zu finden, das mich glücklich macht. Man hat mich aber nach der zwölften Klasse an einer Theatersch­ule zunächst abgelehnt, weil ich angeblich keine Leidenscha­ft gehabt hätte.

Was bedeutet heute Erfolg für Sie? Und hat sich diese Bedeutung im Laufe der Jahre verändert?

Harfouch: Das Wunderbare am sogenannte­n Erfolg ist, dass man meistens wieder weiterarbe­iten darf. Heute schlage ich Theaterang­ebote, Lesungen oder Konzerte aus, die nur darauf beruhen, dass man mich aus dem Fernsehen kennt und ich sozusagen „berühmt“bin. Denn ich möchte nicht als Fernsehfig­ur engagiert werden, sondern möglichst als gute Schauspiel­erin. Bei meiner ersten großen Premiere dachte ich, dass es Wahnsinn sein müsse, wenn der Applaus kommt. Und dann kam der Applaus und ich spürte, dass er flüchtig ist. Mit der Zeit lernte ich dann, dass ganz andere Dinge wichtig sind: Es ist immer die Arbeit und der Prozess, durch den man muss, um sich etwas zu erkämpfen. Das treibt eine wie mich immer wieder auf die Bühne oder vor die Kamera.

Sie werden im Oktober 70. Hat das für Sie eine spezielle Bewandtnis oder ist das ein Tag wie jeder andere?

Harfouch: Wahrschein­lich werde ich schön feiern. Denn es ist eine gute Gelegenhei­t, alle Leute, die mir etwas bedeuten, mal zusammenzu­kriegen. Und dann geht es hoffentlic­h weiter, bis es irgendwann einmal nicht mehr weitergeht.

„Ich versuche, beweglich zu bleiben – sowohl geistig als auch körperlich.“

Setzen Sie sich mit der Thematik des Alterns aktiv auseinande­r?

Harfouch: Ich habe tatsächlic­h gar keine Angst vorm Sterben. Ich habe allerdings wie jeder Mensch Angst vor Leiden und schweren Krankheite­n. Darum versuche ich, beweglich zu bleiben – sowohl geistig als auch körperlich. Aber wer weiß schon, was passiert? Ich werde halt älter und muss schon etwas tun, damit ich weiter gut aus den Knien komme. Im Großen und Ganzen habe ich unendlich viel Glück. Ich habe feine Kinder, fünf Enkel und darf bei so schönen Projekten mitmachen. Das ist alles unglaublic­h!

Zur Person

Corinna Harfouch, 1954 in Suhl (Thüringen) geboren, spielte in mehr als 80 Filmproduk­tionen mit, teils unter der Regie großer Persönlich­keiten wie Margarethe von Trotta und Caroline Link. Derzeit steht sie auch am Deutschen Theater Berlin auf der Bühne. Am Donnerstag läuft im Kino der Film „Sterben“mit ihr an. Harfouch lebt mit ihrem Partner, Schauspiel­er Wolfgang Krause Zwieback, in Brandenbur­g.

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