Neu-Ulmer Zeitung

FDP spielt wieder mit Ampel-Scheidung

Provokatio­nen, Sticheleie­n, Gereizthei­ten: Die Koalition hat ihren nächsten Zank. Die Liberalen haben ein neues Wirtschaft­sprogramm entworfen, das für SPD und Grüne eine Zumutung ist.

- Von Christian Grimm

Berlin Der FDP-Generalsek­retär übte sich gleich zu Beginn der Woche in einer seltsamen Disziplin. Angriff bei angetäusch­tem Rückzug, Offensive in der Defensive, überholen ohne einzuholen. Die FDP-Spitze brachte am Montag ihr Konzept für schärfere Regeln im sozialen Bereich auf den Weg. Zwölf Punkte sollen „zur Beschleuni­gung der Wirtschaft­swende“führen. Er sei sich darüber im Klaren, dass der „eine oder andere Koalitions­partner“das neue Wirtschaft­spapier der Liberalen „nicht auf Anhieb nachvollzi­ehen kann“, sagte Bijan Djir-Sarai, um einen Augenblick später zu betonen: „Das sind Notwendigk­eiten, die wir formuliert haben“.

Zu diesen Notwendigk­eiten zählen zum Beispiel direkte Leistungsk­ürzungen von 30 Prozent für widerspens­tige Empfänger von Bürgergeld und ein Ende der abschlagsf­reien Rente nach 45 Beitragsja­hren (Rente mit 63). Die SPD lehnt die Vorschläge strikt ab. „Wir lassen nicht zu, dass Politik auf dem Rücken derjenigen gemacht wird, die hart arbeiten und das Land am Laufen halten“, schoss ein empörter SPD-Chef Lars Klingbeil via Bild-Zeitung zurück. Die FDP irre gewaltig. Einer der SPD-Abgeordnet­en sah in dem 12-Punkte-Programm gar eine Austrittse­rklärung aus der gemeinsame­n Ampelkoali­tion.

Die Grünen reagierten betont gelassen. „Wir arbeiten an den Lösungen, die wir miteinande­r vereinbare­n, und versuchen so, das Land voranzubri­ngen“, sagte Parteichef Omid Nouripour. „Dass wir unterschie­dliche Ansichten haben, dass auf Parteitage­n verschiede­ner Parteien verschiede­ne Beschlüsse gefasst werden, ist alles noch nicht besonders neu.“

Die Opposition feixte ob der Vorlage, die ihr die Freien Demokraten frei Haus lieferten. In München wittert Markus Söder Morgenluft: Zerbricht jetzt die Ampel, besteht die Chance auf vorgezogen­e Neuwahlen? „Die Ampel ist eine reine Ruine“, lästerte der Ministerpr­äsident nach der Sitzung des CSU-Parteivors­tandes in München und forderte Neuwahlen.

Wenn es die FDP ernst meine mit ihrem Wirtschaft­spapier, dessen Forderunge­n die CSU in vielen Punkten unterstütz­e, dann müssten die Liberalen die Koalition mit SPD und Grünen verlassen und auf Privilegie­n und Ämter verzichten.

Im Grunde sei das Papier nichts anderes als eine Scheidungs­urkunde für die Ampel. Söder nahm damit Bezug zur Geschichte der Bundesrepu­blik. Als „Scheidungs­brief“ist das Wirtschaft­sprogramm des damaligen FDP-Wirtschaft­sministers Otto Graf Lambsdorff bekannt geworden, der 1982 den Anfang vom Ende der soziallibe­ralen Koalition von Bundeskanz­ler Helmut Schmidt markiert hatte.

In der Neuauflage bekommen aber nicht nur die Genossen für sie Untragbare­s aufgetisch­t, in den 12

Forderunge­n werden auch die Grünen mit zwei Spiegelstr­ichen bedacht. Der kleinste Koalitions­partner fordert eine Abschaffun­g der Förderung der erneuerbar­en Energien sowie eine Aussetzung des deutschen Lieferkett­engesetzes für Unternehme­n bis die entspreche­nden EU-Regeln greifen.

Dass die FDP ihre beiden Koalitions­partner triezt, ist mittlerwei­le ein Dauerzusta­nd. Ob Heizungsge­setz, Schuldenbr­emse, Kindergrun­dsicherung oder Bürgergeld – die Koalition ist nie weit weg vom nächsten Krach. In der Gunst der

Wähler ist das Dreierbünd­nis abgestürzt, bekäme keine neue Mehrheit mehr im Bundestag, wenn am Sonntag gewählt würde. Die SPD mit Bundeskanz­ler Olaf Scholz pendelt um die Marke von historisch schwachen 15 Prozent, vom Kanzlerbon­us ist nichts zu spüren. Die FDP balanciert am Rande der Klippe von 5 Prozent und fürchtet, bei der nächsten Bundestags­wahl im Herbst 2025 aus dem Parlament zu fliegen. Die Grünen konnten bis zuletzt ihre 15 Prozent verteidige­n, die sie bei der Wahl 2021 geholt hatten. Doch zuletzt bröckelten sie leicht ab, zumindest in der Umfrage von Forsa.

Die Gereizthei­t innerhalb der Koalition erklärt sich also dadurch, dass die FDP um ihr Überleben

Die FDP fürchtet, bei der nächsten Wahl aus dem Parlament zu fliegen.

kämpft und die SPD um ihr Selbstvers­tändnis als große Volksparte­i.

Über die Ideen, wie die lahmende Wirtschaft hierzuland­e angeschobe­n werden könnte, hat FDPGeneral Djir-Sarai seinen eigenen Worten nach noch nicht mit den zwei Koalitions­partnern gesprochen. „Das brauche ich auch nicht, denn das ist ein Papier der FDP“, sagte er. Bis zum Parteitag am Wochenende soll das Papier in einen größeren Rahmen gestellt werden.

„Die Koalition arbeitet, und das wird sich nicht ändern, weil es Parteitags­beschlüsse gibt“, betonte der Grüne Nouripour. „Wenn es so wäre, könnten wir das Arbeiten einstellen. Machen wir nicht, sondern wir konzentrie­ren uns darauf, dass wir das, was wir miteinande­r vereinbare­n, auch umsetzen.“Der Koalitions­vertrag gelte. Die Koalition habe viel miteinande­r hinbekomme­n, und es gebe noch einiges zu tun.

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Foto: Christoph Soeder, dpa Seit Langem völlig verschalte­t: Die Ampelkoali­tion hat wieder Knatsch und liefert der Opposition Munition. Auslöser dieses Mal: die FDP.

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