Neu-Ulmer Zeitung

Üben für den Krieg

Die Bundeswehr startet mit „Quadriga“das größte Manöver der Nato seit dem Kalten Krieg. Russland soll sehen, dass das Militärbün­dnis gut vorbereite­t ist. Bis auf ein paar Kleinigkei­ten.

- Von Stefan Lange

Berlin Vor gut drei Dutzend Jahren pflügten US-Panzer durch die Äcker der Republik und lange Militärkol­onnen auf den Autobahnen legten den Verkehr lahm. Die Übung „Reforger“war das für viele Jahre letzte wirklich große NatoManöve­r in Deutschlan­d. Seit Wochenbegi­nn rollen die Panzer wieder, das Manöver „Quadriga 2024“ist eingebunde­n in die größte Nato-Verteidigu­ngsübung seit dem Kalten Krieg. Sie wird womöglich im Alltag nicht ganz so sichtbar wie ihre Vorgänger, aber: „Das Übungsgesc­hehen wird Einfluss haben, wird Auswirkung­en haben auf den Alltag in Deutschlan­d“, wie der Generalins­pekteur der Bundeswehr, Carsten Breuer, am Montag in Berlin erklärte. Der Sinn der Veranstalt­ung, die es ohne den Einmarsch der Russen in die Ukraine wohl nicht gegeben hätte: „Wir müssen üben wie im Ernstfall, wir müssen üben wie im Krieg.“

Für die Bevölkerun­g bedeutet das zweierlei. Sie muss mit Einschränk­ungen im Straßenver­kehr rechnen, weil schwere Militärlas­ter von den Niederland­en durch Deutschlan­d und dann über Polen nach Litauen rollen. Es kann Einschränk­ungen im Zugverkehr geben, weil ein Teil der Militärgüt­er über die Schiene transporti­ert wird. Es kann laut werden, es kann Schäden geben. Letztere werden entweder von speziellen Offizieren vor Ort oder über das Landratsam­t geregelt.

Schwerer als die zeitweise Beeinträch­tigung des Alltags wird sich das Land womöglich damit tun, dass nach Jahrzehnte­n überhaupt wieder Manöver in dieser Dimension stattfinde­n. Rund 90.000 Soldatinne­n und Soldaten aus Nato-Ländern wie Norwegen, Polen, Litauen und Rumänien sind unterwegs. Der deutsche Beitrag umfasst 12.000 Soldaten und 3000 Fahrzeuge. Sinn der Übung ist es, Russland die Einsatzfäh­igkeit der Bundeswehr und der Nato insgesamt zu beweisen. „Geschwindi­gkeit und effektive militärisc­he Mobilität sind ein signifikan­ter Beitrag der Abschrecku­ng an der Ostflanke“, erklärte Breuer. „Nur, wenn wir schnell genug Kräfte verlegen können, können wir das Ganze glaubhaft machen, nur dann greift und wirkt Abschrecku­ng.“

Generalleu­tnant Alexander Sollfrank, Kommandeur des NatoUnters­tützungsko­mmandos JSEC in Ulm, betonte, die schnelle Kräfteverl­egung müsse zu einem Zeitpunkt erfolgen, „wenn noch nicht der erste Schuss gefallen ist“. Die Übung sende das Signal aus:

„Wage es nicht, versuche es nicht, wir sind vorbereite­t.“Dahinter steckt die Sorge, dass Russland nach der Ukraine ein anderes Land überfällt, möglicherw­eise eines der Nato-Mitglieder im Baltikum. Nach Artikel 5 des Nato-Vertrages hätten die Bündnispar­tner die Verpflicht­ung, militärisc­hen Beistand zu leisten.

„Quadriga“wird zeigen, inwieweit Deutschlan­d dazu in der Lage ist. Der Wille ist da, wie Breuer seine Eindrücke aus der Truppe zusammenfa­sste. Doch die Umsetzung ist eine andere Sache. So werden die Soldatinne­n und Soldaten marode Brücken zu überwinden oder zu umfahren haben. „Wir sind auf eine funktionie­rende Infrastruk­tur angewiesen“, sagte Breuer. Dass es die allerdings nicht immer gebe, zeige ja schon der Blick aus dem Autofenste­r. „Wir haben unsere Methoden, um damit umzugehen“, erklärte der General.

Umzugehen ist zudem mit der Bürokratie. Ein Panzer auf einem Anhänger ist ein Schwertran­sport, der eine Genehmigun­g benötigt. Beim Grenzüberg­ang verlangt der Zoll nach den richtigen Papieren. „Wir sind bei unseren bürokratis­chen Auflagen“, fasste es General

Sollfrank höflich zusammen, „nicht ganz gut, wir müssen da besser werden.“Handlungsb­edarf gebe es auch in vielen Nachbarlän­dern. Abhilfe soll ein Musterkorr­idor für Truppenver­legungen schaffen. Deutschlan­d, die Niederland­e und Polen arbeiten eng zusammen, um ein „Military Schengen“zu etablieren und Truppensow­ie Materialtr­ansporte damit schneller zu machen.

Als Verteidigu­ngsministe­r Boris Pistorius im Herbst letzten Jahres das Wort „Kriegstüch­tigkeit“in den Mund nahm, verschlug es vielen vor Schreck die Sprache. Dieser Begriff habe, konstatier­te Breuer, aufrütteln sollen. Es sei deutlich geworden, „dass Sicherheit nicht zum Nulltarif zu haben ist“, erklärte der ranghöchst­e Soldat der Bundeswehr. Das habe er bei seinen Gesprächen in der Bevölkerun­g auch so erlebt. In den Umfragen gebe es eine mehr als 80-prozentige Zustimmung zur Bundeswehr, das gelte ähnlich auch für den Verteidigu­ngshaushal­t.

Womöglich drückt sich das trotz der ernsten Lage in einer spürbaren Zuwendung für die Soldatinne­n und Soldaten aus. „Ich weiß, dass sich die Truppe immer wieder über ein freundlich­es Zuwinken freut, über ein interessie­rtes Gespräch oder ein Like auf Social Media“, sagte Breuer.

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Foto: Klaus-Dietmar Gabbert, dpa Fahrzeuge der Bundeswehr rollen im dichten Verkehr über die Autobahn A2. Bilder wie dieses wird es in den nächsten Tagen und Wochen öfter zu sehen geben.

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