Üben für den Krieg
Die Bundeswehr startet mit „Quadriga“das größte Manöver der Nato seit dem Kalten Krieg. Russland soll sehen, dass das Militärbündnis gut vorbereitet ist. Bis auf ein paar Kleinigkeiten.
Berlin Vor gut drei Dutzend Jahren pflügten US-Panzer durch die Äcker der Republik und lange Militärkolonnen auf den Autobahnen legten den Verkehr lahm. Die Übung „Reforger“war das für viele Jahre letzte wirklich große NatoManöver in Deutschland. Seit Wochenbeginn rollen die Panzer wieder, das Manöver „Quadriga 2024“ist eingebunden in die größte Nato-Verteidigungsübung seit dem Kalten Krieg. Sie wird womöglich im Alltag nicht ganz so sichtbar wie ihre Vorgänger, aber: „Das Übungsgeschehen wird Einfluss haben, wird Auswirkungen haben auf den Alltag in Deutschland“, wie der Generalinspekteur der Bundeswehr, Carsten Breuer, am Montag in Berlin erklärte. Der Sinn der Veranstaltung, die es ohne den Einmarsch der Russen in die Ukraine wohl nicht gegeben hätte: „Wir müssen üben wie im Ernstfall, wir müssen üben wie im Krieg.“
Für die Bevölkerung bedeutet das zweierlei. Sie muss mit Einschränkungen im Straßenverkehr rechnen, weil schwere Militärlaster von den Niederlanden durch Deutschland und dann über Polen nach Litauen rollen. Es kann Einschränkungen im Zugverkehr geben, weil ein Teil der Militärgüter über die Schiene transportiert wird. Es kann laut werden, es kann Schäden geben. Letztere werden entweder von speziellen Offizieren vor Ort oder über das Landratsamt geregelt.
Schwerer als die zeitweise Beeinträchtigung des Alltags wird sich das Land womöglich damit tun, dass nach Jahrzehnten überhaupt wieder Manöver in dieser Dimension stattfinden. Rund 90.000 Soldatinnen und Soldaten aus Nato-Ländern wie Norwegen, Polen, Litauen und Rumänien sind unterwegs. Der deutsche Beitrag umfasst 12.000 Soldaten und 3000 Fahrzeuge. Sinn der Übung ist es, Russland die Einsatzfähigkeit der Bundeswehr und der Nato insgesamt zu beweisen. „Geschwindigkeit und effektive militärische Mobilität sind ein signifikanter Beitrag der Abschreckung an der Ostflanke“, erklärte Breuer. „Nur, wenn wir schnell genug Kräfte verlegen können, können wir das Ganze glaubhaft machen, nur dann greift und wirkt Abschreckung.“
Generalleutnant Alexander Sollfrank, Kommandeur des NatoUnterstützungskommandos JSEC in Ulm, betonte, die schnelle Kräfteverlegung müsse zu einem Zeitpunkt erfolgen, „wenn noch nicht der erste Schuss gefallen ist“. Die Übung sende das Signal aus:
„Wage es nicht, versuche es nicht, wir sind vorbereitet.“Dahinter steckt die Sorge, dass Russland nach der Ukraine ein anderes Land überfällt, möglicherweise eines der Nato-Mitglieder im Baltikum. Nach Artikel 5 des Nato-Vertrages hätten die Bündnispartner die Verpflichtung, militärischen Beistand zu leisten.
„Quadriga“wird zeigen, inwieweit Deutschland dazu in der Lage ist. Der Wille ist da, wie Breuer seine Eindrücke aus der Truppe zusammenfasste. Doch die Umsetzung ist eine andere Sache. So werden die Soldatinnen und Soldaten marode Brücken zu überwinden oder zu umfahren haben. „Wir sind auf eine funktionierende Infrastruktur angewiesen“, sagte Breuer. Dass es die allerdings nicht immer gebe, zeige ja schon der Blick aus dem Autofenster. „Wir haben unsere Methoden, um damit umzugehen“, erklärte der General.
Umzugehen ist zudem mit der Bürokratie. Ein Panzer auf einem Anhänger ist ein Schwertransport, der eine Genehmigung benötigt. Beim Grenzübergang verlangt der Zoll nach den richtigen Papieren. „Wir sind bei unseren bürokratischen Auflagen“, fasste es General
Sollfrank höflich zusammen, „nicht ganz gut, wir müssen da besser werden.“Handlungsbedarf gebe es auch in vielen Nachbarländern. Abhilfe soll ein Musterkorridor für Truppenverlegungen schaffen. Deutschland, die Niederlande und Polen arbeiten eng zusammen, um ein „Military Schengen“zu etablieren und Truppensowie Materialtransporte damit schneller zu machen.
Als Verteidigungsminister Boris Pistorius im Herbst letzten Jahres das Wort „Kriegstüchtigkeit“in den Mund nahm, verschlug es vielen vor Schreck die Sprache. Dieser Begriff habe, konstatierte Breuer, aufrütteln sollen. Es sei deutlich geworden, „dass Sicherheit nicht zum Nulltarif zu haben ist“, erklärte der ranghöchste Soldat der Bundeswehr. Das habe er bei seinen Gesprächen in der Bevölkerung auch so erlebt. In den Umfragen gebe es eine mehr als 80-prozentige Zustimmung zur Bundeswehr, das gelte ähnlich auch für den Verteidigungshaushalt.
Womöglich drückt sich das trotz der ernsten Lage in einer spürbaren Zuwendung für die Soldatinnen und Soldaten aus. „Ich weiß, dass sich die Truppe immer wieder über ein freundliches Zuwinken freut, über ein interessiertes Gespräch oder ein Like auf Social Media“, sagte Breuer.