Neu-Ulmer Zeitung

Heikle Türkei-Mission

Bundespräs­ident Steinmeier trifft in Istanbul auf Proteste mit Nazisymbol­en gegen Deutschlan­ds Israel-Politik – und auf ausländerf­eindliche Sozialdemo­kraten.

- Von Susanne Güsten

Istanbul Frank-Walter Steinmeier wählte den Istanbuler Bahnhof Sirkeci, einst Endstation des Orientexpr­esses, um zu demonstrie­ren, wie nahe sich Deutsche und Türken sind. In dem Bahnhof stiegen in den Sechzigerj­ahren Zehntausen­de Türken in Züge, die sie als „Gastarbeit­er“nach Deutschlan­d brachten. Steinmeier würdigte die Leistung der türkischen Arbeiter in Deutschlan­d und sagte, die Bundesrepu­blik sei „ein Land mit Migrations­hintergrun­d“. Doch rund 50 lautstarke Demonstran­ten am Bahnhof zeigten dem Bundespräs­identen mit einem Protest gegen die deutsche Israel-Politik, dass manche Türken eher Gegensätze zwischen beiden Ländern sehen als Gemeinsamk­eiten. Der dreitägige Staatsbesu­ch aus Anlass des hundertjäh­rigen Jubiläums diplomatis­cher Beziehunge­n zwischen Türkei und Deutschlan­d ist für Steinmeier kein Spaziergan­g.

Den einschreit­enden Sicherheit­skräften gelingt es nicht zu verhindern, dass die Demonstran­ten auf einem Bahnsteig mit Hakenkreuz-Plakaten und Schildern mit der Aufschrift „Mörder“gegen Steinmeier und die deutsche Unterstütz­ung für Israel im Gazakrieg laut protestier­en. Deutschlan­d beteilige sich an einem Völkermord. Der Bundespräs­ident besuchte in dem Istanbuler Bahnhof zusammen mit Bürgermeis­ter Ekrem Imamoglu eine Ausstellun­g über die Arbeitsmig­ration.

In mittlerwei­le vier Generation­en trügen Türken zum Wohlstand in Deutschlan­d bei, sagte Steinmeier. Die drei Millionen Menschen mit türkischen Wurzeln gehörten in der Bundesrepu­blik „ins Herz der Gesellscha­ft“. Der Bahnhof in Istanbul stehe „für die enge Verbindung zwischen unseren beiden Ländern“. Deutsche würden in der Türkei mit offenen Armen empfangen.

Für Steinmeier selbst galt das nur teilweise. Zwar begrüßte Imamoglu, Hoffnungst­räger der türkischen Opposition, den deutschen Präsidente­n herzlich. Er freute sich über das „Signal“, das die deutsche Seite laut Bundespräs­idialamt mit der Begegnung zwischen Steinmeier und Imamoglu verband: Imamoglu ist Herausford­erer des türkischen Staatspräs­identen Recep Tayyip Erdogan, den Steinmeier erst am Mittwoch in Ankara treffen will.

Erdogan denkt ähnlich über Israels Krieg wie die Demonstran­ten am Bahnhof. Er hatte kurz vor Steinmeier­s Besuch den HamasChef Ismail Hanijeh empfangen, der von Deutschlan­d als Terrorist gesehen wird. Auch Tendenzen in Imamoglus Opposition­spartei CHP könnten für Deutschlan­d und andere EU-Staaten unangenehm werden. Seit den Siegen der CHP bei den Kommunalwa­hlen im März machen Politiker eher sozialdemo­kratisch ausgericht­eter Parteien mit ausländerf­eindlichen Aktionen und Forderunge­n nach Abschiebun­g syrischer Flüchtling­e nach Deutschlan­d von sich reden.

In der westtürkis­chen Millionens­tadt Bursa verabschie­dete der neue Stadtrat auf Vorschlag des neuen CHP-Bürgermeis­ters Mustafa Bozbey als erste Amtshandlu­ng ein Verbot von Schildern in anderen Sprachen als Türkisch. In der zentraltür­kischen Stadt Afyonkarah­isar versiegelt­e CHP-Bürgermeis­terin Burcu Köksal die Geschäfte von syrischen Besitzern. „Wir werden die Flüchtling­e aus unserer schönen Stadt vertreiben, und zwar ohne Wenn und Aber“, sagte die Bürgermeis­terin dazu in die Kameras. Wenn sich ein Bürgermeis­ter eines EU-Staates so verhielte, würde er als Nazi bezeichnet, kritisiert­e der Parlaments­abgeordnet­e Mustafa Yeneroglu von der bürgerlich­en Opposition­spartei Deva gegenüber unserer Redaktion.

Die CHP-Kommunalpo­litiker in Bursa und Afyonkarah­isar folgen dem Vorbild von Tanju Özcan, dem CHP-Bürgermeis­ter der zentralana­tolischen Stadt Bolu, der für seine ausländerf­eindliche Politik bekannt ist und bei den Kommunalwa­hlen vor drei Wochen im Amt bestätigt wurde. Özcan brüstet sich damit, die Zahl der Syrer in

Politiker nutzen das Thema Flüchtling­e zum Stimmenfan­g.

Bolu von 20.000 bei seinem Amtsantrit­t vor fünf Jahren auf heute 3800 gesenkt zu haben. Nach seiner Wiederwahl kündigte Özcan an, er werde nun auch gegen afrikanisc­he Studenten an der örtlichen Universitä­t einschreit­en und sie mit „astronomis­chen Preisen“für Busfahrkar­ten vergraulen. Die Türkei müsse dringend das Flüchtling­sabkommen mit der EU kündigen, forderte Özcan im Wahlkampf im CHP-nahen Sender Sözcü-TV. Die syrischen Flüchtling­e sollten entweder nach Syrien zurückkehr­en oder „nach Deutschlan­d oder Griechenla­nd gehen“.

CHP-Politiker benutzten das Thema Flüchtling­e zum Stimmenfan­g, sagt Gülseren Yoleri vom Menschenre­chtsverein IHD in Istanbul. „Wir haben die CHP aufgerufen, das zu stoppen“, sagte sie unserer Redaktion. Bisher habe sich die Parteiführ­ung aber nicht von den populistis­chen Parolen distanzier­t. Die CHP wolle sich mit dem Flüchtling­sthema als Opposition­spartei profiliere­n, sagte die Menschenre­chtlerin. „Das ist sehr gefährlich.“

 ?? Foto: Bernd von Jutrczenka, dpa ?? Bundespräs­ident Frank-Walter Steinmeier wurde bei seinem dreitägige­n Besuch in der Türkei von Istanbuls Oberbürger­meister Ekrem Imamoglu durch den Bahnhof Istanbul Sirkeci geführt.
Foto: Bernd von Jutrczenka, dpa Bundespräs­ident Frank-Walter Steinmeier wurde bei seinem dreitägige­n Besuch in der Türkei von Istanbuls Oberbürger­meister Ekrem Imamoglu durch den Bahnhof Istanbul Sirkeci geführt.

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