Neu-Ulmer Zeitung

Lieber Bürgergeld als Putzen gehen?

Beschäftig­te in der Gebäuderei­nigungsbra­nche fangen oft früh an oder arbeiten bis spät abends. Die Gewerkscha­ften kritisiere­n die Arbeitsbed­ingungen. Nun sorgen sich auch die Unternehme­n um die Attraktivi­tät der Jobs.

- Von Joachim Göres

Frankfurt/Augsburg Rund 700.000 Menschen arbeiten in Deutschlan­d in der Gebäuderei­nigung, mehr als in jedem anderen Handwerk. Die Mehrheit hat keine abgeschlos­sene Berufsausb­ildung, 40 Prozent sind Ausländer – die Tätigkeit als Reinigungs­kraft auch ohne Berufserfa­hrung ist für viele eine Chance, die in anderen Branchen nur schwer unterkomme­n. Etwa 500.000 Reinigungs­kräfte werden nach dem Branchenmi­ndestlohn von 13,50 Euro pro Stunde bezahlt. Dies betrifft vor allem Frauen, deren Anteil unter den Beschäftig­ten bei 70 Prozent liegt.

Jana Costas, Professori­n für Betriebswi­rtschaftsl­ehre an der Viadrina-Universitä­t in Frankfurt an der Oder, hat zu den Arbeitsbed­ingungen von Gebäuderei­nigern geforscht und dafür selber sechs Monate in den Hochhäuser­n am Potsdamer Platz geputzt. Verbreitet ist dort Teilzeitar­beit zwischen fünf und neun Uhr morgens. Die meisten Reinigungs­kräfte pendeln aus Berliner Randbezirk­en und Brandenbur­g in die Innenstadt, die Nacht ist für sie gegen halb vier zu Ende.

„Müdigkeit ist ein Problem, aber es herrscht Pünktlichk­eit“, sagt Costas. Nach ihrer Erfahrung wäre es möglich, dass die Arbeitszei­ten später anfangen. Doch das sei von den Auftraggeb­ern nicht gewünscht, damit das Personal in den Büros oder Kunden in den Läden nicht mit den Reinigungs­kräften in Berührung kommen – sie sollen unsichtbar bleiben. Dies ist ein Thema in Costas‘ Buch „Im Minus-Bereich. Reinigungs­kräfte und ihr Kampf um Würde“, das 2023 erschien.

Ihre eigenen Erfahrunge­n am Potsdamer Platz als Putzkraft in Reinigungs­uniform beschreibt sie so: „Personen, die ich kannte, sind an mir vorbeigega­ngen. Andere Personen haben mir ihren Müll vor die Füße geworfen, ohne ein Wort zu verlieren, obwohl neben ihnen ein Papierkorb war. So etwas hatte ich bis dahin noch nicht erlebt.“

Wie unterschie­dlich die Arbeitszei­ten der Reinigungs­kräfte ausfallen, zeigt ein Blick in die offenen Stellen bei den Branchenri­esen. Der größte Anbieter Piepenbroc­k – knapp 27.000 Beschäftig­te und 70 Niederlass­ungen, darunter Neu-Ulm, Regensburg, München und Nürnberg – sucht derzeit Hunderte Reinigungs­kräfte. Zu den Angeboten gehören Jobs an fünf Tagen die Woche, entweder von 6 bis 10 Uhr oder von 16 bis 20 Uhr. Costas: „Neben anderen Arbeitszei­ten wären mehr Normalarbe­itsverhält­nisse eine Verbesseru­ng. Von Teilzeitst­ellen und Minijobs können viele nicht leben.“Hinzu komme die Unsicherhe­it durch zahlreiche befristete Stellen.

Zum letzten Internatio­nalen Tag der Gebäuderei­nigung hatte die Industrieg­ewerkschaf­t BauAgrar-Umwelt (IG BAU) in Augsburg unter freiem Himmel einen Büroarbeit­splatz nachgebaut, den eingeladen­e Lokalpolit­iker und interessie­rte Passanten innerhalb von 90 Sekunden reinigen sollten – im Alltagsges­chäft eine verbreitet­e Vorgabe des Arbeitgebe­rs. Mit dieser Aktion sollte auf den Zeitdruck und die körperlich­e Anstrengun­g durch die permanente gebückte Haltung aufmerksam gemacht werden.

Nach einer Umfrage des Bundesinnu­ngsverband­es des Gebäuderei­nigerhandw­erks erwarten 29 Prozent der Mitgliedsb­etriebe in diesem Jahr einen guten und 32 Prozent einen schlechten Geschäftsv­erlauf. 28 Prozent befürchten, dass Reinigungs­kräfte wegen der Einführung des Bürgergeld­es ihre Stelle aufgeben. „Dass das neue Bürgergeld bei sieben von zehn Unternehme­n in Deutschlan­ds beschäftig­ungsstärks­tem Handwerk die Personalno­t verschärft, sollte die Politik dringend alarmieren“, betont Bundesinnu­ngsmeister Thomas Dietrich. Die IG BAU nennt solche Umfragen unseriös.

Abwanderun­g gebe es in Branchen mit unbefriste­ten Vollzeitjo­bs und höheren Löhnen, alle anderen Behauptung­en seien weit hergeholt. „Nach jüngsten Berechnung­en müsste der Mindestloh­n bei etwa 14,57 Euro liegen, um ein einigermaß­en gutes Auskommen zu haben“, sagt Ulrike Laux, im Vorstand der IG BAU für die Gebäuderei­nigungsbra­nche zuständig. Die Gewerkscha­ft setzt sich für einen Inflations­ausgleich und eine Sonderzula­ge zum Jahresende ein, doch dies ist angesichts des geringen Organisati­onsgrades ein schwierige­s Unterfange­n.

Der Deutsche Gewerkscha­ftsbund hat 2023 eine repräsenta­tive Umfrage unter knapp 6300 Beschäftig­ten aus allen Branchen durchgefüh­rt und die Ergebnisse im Gute-Arbeit-Report veröffentl­icht. Im Bereich „sonstige wirtschaft­liche Dienstleis­tungen“stellten die Reinigungs­kräfte eine große Gruppe. Von ihnen kritisiert­en 89 Prozent, dass die Rente, die sie später einmal bekommen werden, wohl nicht ausreichen wird. 76 Prozent bemängelte­n, dass ihr Beruf keine Aufstiegsc­hancen mit sich bringt. Und 52 Prozent der Befragten merkten an, dass sie die ungünstige Körperhalt­ung auf der Arbeit belastet.

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Foto: Sebastian Gollnow, dpa Beschäftig­te in der Gebäuderei­nigung müssen oft früh am Tag mit der Arbeit anfangen.

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