Über Umwege in die Kita
In den Einrichtungen fehlen fast 15.000 Fachkräfte. Sozialministerin Ulrike Scharf setzt deshalb auf Quereinsteiger wie Carola Wagner. Was sie zu diesem Schritt bewogen hat.
Meitingen Die Seepferdchen sind für heute ausgeflogen. Draußen, in der Garderobe der Krippengruppe, reihen sich die Gummistiefel aneinander. Drinnen sitzt Carola Wagner zwischen Spielküche, Leseecke und Spielturm und sagt: „Früher hätte ich mir nie vorstellen können, im Kindergarten zu arbeiten.“
Doch die 47-Jährige hat sich bewusst für einen beruflichen Neuanfang entschieden. Heute genießt es die Meitingerin, mit Kindern zu malen, Lieder zu singen oder wenn sie ihre Kuscheltiere sprechen lassen kann, wie Leonard, den Hasen. Seit zwei Jahren arbeitet sie hier im Haus für Kinder am Freibad in Meitingen.
Wenn es nach Bayerns Familienministerin Ulrike Scharf geht, sind Quereinsteigerinnen ein wichtiger Baustein, um den Erzieherinnenmangel im Land zu beheben. Im Freistaat fehlen 14.400 Fach- und Ergänzungskräfte, um Kinder bis zur Einschulung adäquat zu betreuen. Mithilfe eines „Gesamtkonzepts für die berufliche Weiterbildung“will Scharf Quereinsteigerinnen und Quereinsteiger für Kitas gewinnen.
Ein Erfolg, betont die CSUFrau: Seit Herbst 2022 hätten sich mehr als 5700 Frauen und Männer zur Assistenzkraft, Ergänzungskraft
oder Fachkraft qualifizieren lassen. In der Seepferdchengruppe entlastet Carola Wagner die Gruppenleitung und die beiden Kinderpflegerinnen. „Ich habe festgestellt, die Arbeit mit Menschen macht mir Spaß, egal ob alt oder jung“, sagt die Assistenzkraft. Und erzählt von ihrer Ausbildung zur Krankenschwester, der Arbeit im Krankenhaus, die unter diesen Bedingungen immer schwieriger wurde – zu viele Patienten, zu wenige Kollegen, zu viel Verantwortung. „Das war wirklich Knochenarbeit.“
Später stand sie einem kranken Mädchen als Individualbegleiterin im Kindergarten zur Seite. Doch dann kam Corona und das Mädchen konnte wegen einer anstehenden Operation nicht mehr in die Kita – Carola Wagner aber blieb und half als Springerin aus. „Das war mein Türöffner.“
200 Stunden Unterricht hat sie für die Qualifikation zur Assistenzkraft absolviert. Im aktuellen Modul, das sie zur Ergänzungskraft weiterbildet, sind es noch einmal so viele. Dann ist sie einer Kinderpflegerin gleichgestellt, kann Elterngespräche führen oder Eingewöhnungen übernehmen.
Mehrere Verbände kritisierten zuletzt in einem Brandbrief, die berufsbegleitende Qualifizierung sei viel zu kurz und zu wenig praxisorientiert. Ergänzungskräfte würden mit geringer Fundierung und ohne verpflichtende fachliche Begleitung bei den Praktika mit zweijährig ausgebildeten Kinderpflegerinnen gleichgestellt. Zudem stören sich die Vertreter der Fachakademien und Berufsverbände daran, dass die Quereinsteiger von Multiplikatoren ausgebildet werden. Diese bieten ihre Modulkurse als freie Bildungsträger gegen Bezahlung an, nehmen aber zugleich die Prüfungen ab..
Katrin Frindert ist eine dieser Multiplikatorinnen. Die Augsburgerin hat selbst Kitas geleitet und war als Fachberatung und Fachaufsicht
für Kindertageseinrichtungen bei der Stadt Augsburg tätig. Heute ist sie freiberufliche Dozentin, systemische Beraterin und Coachin. Sie sagt: „Es geht darum, Menschen zu gewinnen, die mit Herzblut mit Kindern arbeiten wollen.“Die Teilnehmer brächten Lebenserfahrung und Kompetenzen aus anderen Berufszweigen mit.
In Frinderts Kursen sitzen ehemalige Bauzeichner, Ingenieure oder Friseurinnen. Manche sind 30 Jahre alt, andere über 50. Gerade für ältere Teilnehmer sei der klassische Schulbetrieb einer Fachakademie nicht mehr passend. Frindert hält nichts davon, die klassische Erzieherausbildung und die Quereinsteiger gegeneinander auszuspielen: „Es gibt kein „Besser“und kein „Schlechter“. Es hängt immer von der Motivation der Teilnehmer ab.“
3000 Euro kostet die Weiterbildung von der Assistenz- zur Ergänzungskraft. Zum Teil übernehmen die Träger die Kosten, erklärt Frindert. „Die Not ist groß auf dem Markt.“Im Meitinger Rathaus weiß man, wie wichtig es ist, Quereinsteiger für die Kita zu unterstützen. „Über die Jahre ist es viel schwieriger geworden, Personal für die Kitas zu bekommen“, erklärt Amtsleiter Bruno Höfer. „Die Bewerbungen werden einfach weniger.“
Carola Wagner schaut auf die Uhr. Sie muss los, ihr OnlineWorkshop steht an. Heute geht es in Modul 4, Lerneinheit 1, um die Rolle einer Ergänzungskraft, um die Frage, welche Werte in der Arbeit mit Kindern und im Team wichtig sind. Carola Wagner hat einen Diamanten gebastelt, der all das veranschaulichen soll.
Was folgt, wenn sie im Oktober ihre Prüfung abgelegt hat? Die 47-Jährige zuckt mit den Schultern. Sie hat noch keine genauen Pläne gemacht. Schließlich war auch der Weg in die Kita mit einigen Überraschungen verbunden.
In den Kursen: Bauzeichner, Ingenieure, Friseurinnen