Neu-Ulmer Zeitung

Immer mehr Agrarfläch­en verschwind­en

Jahr um Jahr wird mehr Grund in Bayern mit Gewerbe, Wohnungen und Straßen überbaut – seit 1980 5000 Quadratkil­ometer. Den politische­n Bekenntnis­sen zur Bekämpfung der Entwicklun­g folgt wenig.

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München Bayern hat in weniger als 50 Jahren mindestens 5000 Quadratkil­ometer Felder, Wiesen und Weiden verloren. 1980 belief sich die landwirtsc­haftliche Fläche in Bayern demnach noch auf knapp 37.600 Quadratkil­ometer, 2022 waren es dann noch 32.500, wie ein Vergleich des Statistisc­hen Landesamts aus mehreren Jahrzehnte­n zeigt.

Die tatsächlic­hen Verluste in jüngerer Vergangenh­eit könnten sogar noch höher sein: In der im Januar veröffentl­ichten jüngsten Agrarstruk­turerhebun­g der Fürther Behörde wird die bayerische Landwirtsc­haftsfläch­e sogar mit nur noch gut 30.000 Quadratkil­ometern angegeben.

Da es bei den Messmethod­en im vergangene­n Jahrzehnt größere Änderungen gab, sind die Zahlen nicht uneingesch­ränkt vergleichb­ar, wie aus Erläuterun­gen der Fürther Behörde hervorgeht. So lag den Flächenerh­ebungen bis 2011 das Liegenscha­ftsbuch zugrunde, mittlerwei­le wurde dies auf ein „Amtliches Liegenscha­ftskataste­r – Tatsächlic­he Nutzung“(ALKIS – TN) umgestellt, für das laut Behörde überwiegen­d aktuelle Luftbilder genutzt werden.

An der generellen Entwicklun­g großer Agrarfläch­enverluste gibt es jedoch keinen Zweifel. Blickt man noch länger in die Vergangenh­eit zurück, so könnte Bayern seit der Nachkriegs­zeit um die 9000 Quadratkil­ometer Landwirtsc­haftsfläch­e

verloren haben. Das entspräche nahezu der gesamten Oberpfalz oder fast dreißigmal der Fläche Münchens. Im Statistisc­hen Jahrbuch 1952 wurde die bayerische Agrarfläch­e noch auf 39.266 Quadratkil­ometer beziffert.

Die jahrelange­n Proteste sowohl aus der Landwirtsc­haft als auch von Umweltverb­änden gegen den Flächenfra­ß zeigen bislang offenkundi­g wenig Wirkung, obwohl die Staatsregi­erung seit Jahr und Tag bekundet, diesen begrenzen zu wollen. „Der Flächenver­brauch ist ein massives Problem“, sagt Günther Felßner, der Präsident des Bayerische­n Bauernverb­ands. Der BBV-Chef argumentie­rt, dass die Landwirtsc­haft vier Funktionen erfüllen müsse: die Ernährung sigen cherstelle­n, regenerati­ve Energieerz­eugung, die Herstellun­g biologisch abbaubarer Produkte, sowie den Schutz von Boden, Wasser, Artenvielf­alt und Klima. „Damit das gelingen kann, brauchen wir Nutzfläche­n, der Flächenver­brauch muss gestoppt werden.“

Die für die Landwirtsc­haft verlorenen Flächen sind zwar nicht sämtlich der Bautätigke­it zum Opfer gefallen. So hat Bayern dank der Vermehrung der Baggerseen heute auch etwas mehr Gewässer als früher. In den Nachkriegs­jahrzehnte­n wurden Siedlungs- und Verkehrsfl­ächen zudem noch nicht in der amtlichen Statistik erfasst. Doch dass der Hauptgrund für die bislang unaufhalts­ame Entwicklun­g in der Bautätigke­it liegt, zeiallein die Zahlen aus der jüngeren Vergangenh­eit. Im Statistisc­hen Jahrbuch 1989 waren knapp 5980 Quadratkil­ometer als Siedlungsu­nd Verkehrsfl­äche erfasst, 8,5 Prozent der Landesfläc­he. 2021 waren es dann schon gut 8630 Quadratkil­ometer, ein Anteil von über 12 Prozent.

Ein Teil dieser Verluste war unvermeidl­ich, weil die bayerische Bevölkerun­g seit 1951 von damals gut neun auf heute über 13 Millionen Menschen gewachsen und Bayern sich vom Agrar- zum Industries­taat gewandelt hat.

Dass in Bayern seit Jahrzehnte­n weit mehr Boden verbraucht wird als bei besserer Planung möglich wäre, bezweifelt kaum jemand. So sind für viele Kommunen neue Gewerbe

und Industriea­nsiedlunge­n eine wesentlich­e Einnahmequ­elle, da neue Betriebe zusätzlich­e Gewerbeste­uern bringen. Das verstärkt den Trend zur Zersiedlun­g, manche Kritiker sehen die kommunale Planungsho­heit als eine der Ursachen.

Wird eine Umgehungss­traße gebaut, dauert es häufig nicht lang, bis das nächste Gewerbegeb­iet mit Super-, Möbel-, Bau-, Schuh- und sonstigen Märkten entsteht. Das führt dann wiederum regelmäßig zu Geschäftsa­ufgaben alteingese­ssener Einzelhänd­ler in den Ortskernen.

An der kommunalen Planungsho­heit will die Staatsregi­erung jedoch nicht rühren, auch die Forderunge­n der Opposition nach rechtlich bindenden Einschränk­ungen des Flächenver­brauchs lehnt die CSU/Freie Wähler-Koalition ab. Aiwangers Wirtschaft­sministeri­um verweist darauf, dass ins Landesplan­ungsgesetz für das Jahr 2030 ein Richtwert von fünf Hektar Flächenver­brauch pro Tag aufgenomme­n wurde.

Davon ist Bayern noch weit entfernt. Die aktuellste Zahl stammt aus dem Jahr 2022: 12,2 Hektar am Tag. Der Bauernverb­and sieht im anhaltende­n Verlust land- und forstwirts­chaftliche­r Nutzfläche­n ein Risiko für die sichere Lebensmitt­elversorgu­ng in Bayern. Im Raum steht nach wie vor die Drohung eines Volksbegeh­rens. (Carsten Hoefer, dpa)

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 ?? Foto: Carsten Hoefer, dpa ?? Der auf ehemaligen Feldern des am Rande Münchens entstehend­e Stadtteil Freiham: Hier soll in Zukunft bis zu 25.000 Menschen eine Wohnung geboten werden.
Foto: Carsten Hoefer, dpa Der auf ehemaligen Feldern des am Rande Münchens entstehend­e Stadtteil Freiham: Hier soll in Zukunft bis zu 25.000 Menschen eine Wohnung geboten werden.

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