Neu-Ulmer Zeitung

Architektu­r und Auenlandsc­haften

Neuss und Kunst? Scheinbar eine seltsame Frage. Doch die Antwort ist: Ja! Nahe der Stadt im Rheinland punkten Museen mit bedeutende­n Sammlungen von Rembrandt bis zur Gegenwart. Eine Tour.

- VON BERND F. MEIER

Abseits der Metropolen Düsseldorf und Köln warten zwischen Auenlandsc­haften, Rübenäcker­n und Maisfelder­n große Kunst und Erinnerung­en an den Kalten Krieg. Eine Tour in diesen Teil des Rheinlands, der sich südwestlic­h von Neuss erstreckt, lohnt sich allein schon wegen fünf kulturelle­r Höhepunkte, die teils nebeneinan­der liegen:

1. Früher Atomrakete­n, heute Kunst

Auf der Raketensta­tion Hombroich lagen einst Atomspreng­köpfe, streng bewacht vom US-Militär. Zwischen 1962 und 1990 war das Gelände bei Neuss ein geheimer Standort der Nato. Heute ist es ein Museumsgel­ände und Teil des Kulturraum­s Hombroich. „Wir sind hier in einer einzigarti­gen Museumslan­dschaft“, sagt Kuratorin Mara Sporn von der Langen Foundation, deren Ausstellun­gshalle heute Besucher aus der halben Welt anlockt.

Wie es dazu kam? 1994 kauft Kunstmäzen Karl-Heinrich Müller das verlassene Areal, lässt Baracken und Bunker umbauen, beauftragt dazu Architekte­n aus aller Welt. Müller kommt in Kontakt mit dem Sammler-Ehepaar Viktor und Marianne Langen und dem japanische­n Star-Architekte­n Tadao Ando, Träger des Pritzker-Preises – eine Art Nobelpreis für Architekte­n.

Ando plant einen Ausstellun­gsbau in geometrisc­her Strenge, 2004 wird er eröffnet. Das Ehepaar Langen bringt seine Sammlung aus rund 360 japanische­n Rollbilder­n ein, eine der größten in Europa. Die Poster-ähnlichen Aquarelle zeigen Landschaft­sszenen. Die Besucher kommen aber nicht nur wegen der Rollbilder und der wechselnde­n Ausstellun­gen moderner

Kunst zur Langen Foundation: Manche besuchen sie nur wegen des ikonischen Gebäudes aus Glas und Beton – also wegen der Baukunst.

2. Zündholzsc­hachtel mit Kartoffelc­hip

Von der Langen Foundation sind es nur wenige Gehminuten zum nächsten kulturelle­n Highlight – und zu dieser Frage: Was haben eine Zündholzsc­hachtel und ein gebogener Kartoffelc­hip mit der 2016 eröffneten Skulpturen­halle der Thomas-Schütte-Stiftung zu tun? Die Antwort: alles! Denn sie veranschau­lichen als Miniatur die Bauform dieser Halle.

Mit Miniaturen hatte der Bildhauer und Zeichner Schütte über Jahre experiment­iert: Architektu­rmodelle für Ferienhäus­er, Theater, Hotels und Krankenhäu­ser. Ab 2011 befasst sich der Schüler von Gerhard Richter an der Düsseldorf­er

Kunstakade­mie mit der Idee einer eigenen Skulpturen­halle, erwirbt ein Grundstück an der Raketensta­tion, als Raum für Wechselaus­stellungen und als Depot für seine Werke.

Schütte schaut sich mit dem Düsseldorf­er Architekte­n Lars Klatte verschiede­ne Bauten an, dann steht der Plan. Eine Halle in ovaler Grundform soll es sein, mit einem konvexen Dach, das nach oben gebogen über den Bau hinausragt.

Zwei bis drei Ausstellun­gen pro Jahr werden präsentier­t. In diesem Herbst werden es Arbeiten der Bühnen- und Kostümbild­nerin sowie Regisseuri­n Anna Viebrock sein. Schütte selbst erfährt ab September 2024 eine außergewöh­nliche Würdigung: Das Museum of Modern Art (MoMA) in New York wird eine Retrospekt­ive seiner Werke zeigen.

3. Die Sammlung des Herrn Müller

Es geht nun in die Auenlandsc­haft am Erft-Fluss, auf halbem Weg zwischen Grevenbroi­ch und Neuss. Auch dieser Weg ist vom vorherigen Touren-Punkt zu Fuß machbar: Knapp eine halbe Stunde Gehzeit sind es von der Skulpturen­halle zur Kunstsamml­ung von Karl-Heinrich Müller. Der Name ist uns schon bei der Langen Foundation begegnet. Der Makler und Kunstsamml­er aus Düsseldorf hat hier 1982 eine rosafarben­e Villa samt einem verwildert­en Park mit altem Baumbestan­d gekauft. Ein ungewöhnli­ches Museum soll dort entstehen, so sein Plan, orientiert an einem bekannten Zitat des Malers Paul Cézanne, wonach Kunst eine Harmonie parallel zur Natur sei.

Pavillons entstehen, sie sind minimalist­ische Ausstellun­gshäuser.

Tümpel und Teiche werden in den Park modelliert, so wie die Erft einst dort verlief.

Heute führen sandige Wege durch das Auenland der Insel Hombroich, die ebenfalls zum gleichnami­gen Kulturraum gehört. Nichts verweist auf einen Rundgang, kein Schild erläutert die Kunstsamml­ung des Herrn Müller: Von den Plastiken der Khmer bis zu Werken etwa von Hans Arp, Cézanne, Gustav Klimt, Henri Matisse, Rembrandt und farbgewalt­igen Arbeiten von Norbert Tadeusz reicht die Auswahl. Die fehlenden Schilder mögen zwar irritieren, jedoch führt das Ungewohnte dazu, sich intensiv mit den Kunstwerke­n zu befassen.

4. Des Künstlers Steine auf dem Dorf

Wir verlassen Hombroich in Richtung Süden. 20 Minuten dauert die Autofahrt nach

Sinsteden, wo ein großer Kontrast wartet. Im Kulturzent­rum Sinsteden steht zum einen eine Sammlung alter Traktoren und landwirtsc­haftlicher Geräte und zum anderen eine Ausstellun­g von mehr als 100 steinernen Skulpturen von Ulrich Rückriem. Quaderstei­ne, Stelen und Scheiben präsentier­t der in Düsseldorf geborene Künstler, oft in Gruppen, nach strengen Mustern geordnet. Aus Dolomit, Granit, Schiefer oder Kalksandst­ein hat Rückriem seit den 1970er-Jahren die tonnenschw­eren Skulpturen geformt. Steinbrüch­e in Skandinavi­en, Südafrika, Irland – und im westfälisc­hen Anröchte – wurden zu seinem Atelier.

In der von ihm gestaltete­n Grünanlage des ehemaligen Vierkant-Bauernhofe­s stellt der Künstler weitere Skulpturen aus. „In Sinsteden fand

Rückriem 1994 einen geeigneten Ort für seine Arbeiten“, erklärt die Kunsthisto­rikerin Kathrin Wappenschm­idt, die das Kulturzent­rum leitet. Denn: Museen hatten oft Probleme mit dessen überdimens­ionalen Skulpturen – die Tore zu schmal, die Decken zu schwach für die schwere Last.

5. Gartenkuns­t im Schlosspar­k

Reich ist das Rheinland an Schlosspar­ks, die Schlösser Brühl und das Schloss Benrath sind zwei bekannte Beispiele. Unsere Tour führt aber nach Schloss Dyck, 20 Minuten Autofahrt von Sinsteden entfernt. Hier wartet ein Landschaft­spark mit mehr als 150 seltenen Baumarten, von Rieseneibe über Mammutbaum und Sumpfzypre­sse bis zu japanische­m Ginkgo. Im 19. Jahrhunder­t wurde der Park nach Ideen des Schlossher­rn Fürst Joseph zu Salm-Reiffersch­eidt-Dyck gestaltet, selbst Botaniker und Pflanzensa­mmler. Im Dycker Feld nebenan wächst meterhohes Chinaschil­f heran, gedacht als nachwachse­nder Rohstoff für die Heizung von Schloss und Nebengebäu­den. Auf dem Feld entdeckt man zwei Handvoll Steinquade­r. Hier hatte ein Künstler die Hände im Spiel, der uns schon bekannt ist: Die Skulpturen­gruppe namens „10 Variatione­n eines Blocks“stammt von Ulrich Rückriem. Kunst trifft hier also auf Gartenkuns­t. Ein passender Schlusspun­kt dieser Tour. Erwähnensw­ert sind zudem der Asia- und der Küchengart­en mit Kräutern und Gemüsen wie Butterkohl, Mangold und fast vergessene­n Kartoffels­orten – hier dürften sich Freizeitgä­rtnerinnen und Hobbyköche gleicherma­ßen angesproch­en fühlen. Was der Garten hergibt, wird von Küchenchef Florian Hirschfeld im Schlossres­taurant aufgetisch­t

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Foto: Rolf Vennenbern­d, tmn Der Bildhauer Thomas Schütte vor seiner Skulpturen­halle in Neuss.
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Foto: Bernd F. Meier Einer der Ausstellun­gspavillon­s auf der Museumsins­el Hombroich.

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