Fast jeden Tag ein neuer Spionagefall
Und wieder ist ein mutmaßlicher Spion festgenommen worden. Deutschland steht schon lange im Visier von Agenten aus China und aus Russland. Die AfD rückt dabei immer stärker ins Zwielicht.
Berlin Der AfD-Politiker Maximilian Krah gab sich ahnungslos. „Von der Festnahme meines Mitarbeiters Jian Guo habe ich heute Vormittag aus der Presse erfahren“, reagierte der EU-Abgeordnete am Dienstag auf Berichte über die Festsetzung seines Angestellten, der für China spioniert haben soll. Die Sache könnte zumindest parteiintern für Krah ein Nachspiel haben. Die AfD-Spitze hat ein Krisengespräch zu dem heiklen Thema angesetzt. Krah sei auf dem Weg nach Berlin, teilten die Parteichefs Alice Weidel und Tino Chrupalla mit. „Wir sehen es als absolut beunruhigend an, wenn ein Mitarbeiter hier festgenommen wurde.“Eine Stellungnahme soll es nach dem Gespräch geben.
Deutschland steht schon lange im Fadenkreuz von Agenten. Als umtriebigste Spione gelten nicht die Chinesen, sondern die Russen. Vor Jian Guo, der vom EU-Parlament suspendiert wurde, hatte die Polizei bereits Thomas R. in Bad Homburg sowie das Ehepaar Herwig und Ina F. in Düsseldorf festgenommen. Dabei soll es um die Beschaffung von Informationen über Militärtechnologien gehen, China wird als Auftraggeber genannt. Am Mittwoch will sich der Innenausschuss des Bundestages in einer nicht öffentlichen Sitzung mit den Fällen befassen.
Dabei dürften die vier Festgenommenen nur die Spitze eines Eisbergs sein. Fast schon wieder in Vergessenheit geraten ist die Abhöraffäre bei der Bundeswehr: Vier Offiziere ließen sich bei einem Gespräch über den Marschflugkörper Taurus belauschen, dahinter stecken wohl die Russen. Zuvor war ein Hauptmann aufgeflogen, der dem Kreml Infos anbot. Die Liste reicht weit zurück – zu Kanzlerin Angela Merkel, deren Handy wohl schon seit 2002 vom US-Geheimdienst ausgespäht wurde. 2008 warnte der BND das Kanzleramt vor amerikanischer „Wirtschaftsspionage … und damit einhergehenden möglichen Schäden für die europäische Wirtschaft“.
Wie brisant die Lage ist, zeigen diese Zahlen: Der Digitalverband Bitkom bezifferte den Schaden für die deutsche Wirtschaft im Jahr 2007 auf etwa 55 Milliarden Euro. Laut der jüngsten Bitkom-Studie „Wirtschaftsschutz 2023“hat sich das Volumen auf 206 Milliarden
Euro erhöht. Die Zahl umfasst neben der digitalen und analogen Industriespionage und Sabotage auch den Diebstahl von IT-Ausrüstung und Daten. An der Spitze der Angreifer steht demnach: Russland. Gefolgt von China.
Das geheim tagende Parlamentarische Kontrollgremium des Bundestages – es ist mit Abgeordneten aller Parteien bis auf die AfD besetzt und für die Kontrolle von Bundesnachrichtendienst (BND), Militärischem Abschirmdienst und dem Verfassungsschutz zuständig – kam Mitte März zu der Erkenntnis, „dass Russland seit Jahren in Deutschland nicht nur massiv Spionage betreibt. Vielmehr steht Deutschland im Mittelpunkt russischer Einflussoperationen“. Nicht nur, dass Moskau versuche, „auf verschiedenen Ebenen illegitim auf Politik, Wirtschaft und Gesellschaft einzuwirken“. In vielen Fällen verfange dies auch, so das Gremium. Das vernichtende Fazit: Man habe den Eindruck, „dass die Tragweite der Bedrohung weder von allen politisch Verantwortlichen noch in der Gesellschaft in Deutschland insgesamt erkannt wurde und wird“.
Mit Blick auf Peking wird „über die Bedrohung durch Ausspähund Einflussaktivitäten Chinas“berichtet. Etwa im Kontext mit dem Smartphone-Hersteller Huawei oder dem Telekommunikationsausrüster ZTE, die beide Spionagevorwürfen ausgesetzt sind. Die Spitzelei ist offenbar staatlich verordnet: Laut Artikel 7 des chinesischen Geheimdienstgesetzes sind alle Organisationen und Bürger verpflichtet, die Geheimdienstbehörden zu unterstützen.
Einer, der schon lange vor einer zunehmenden Spionagetätigkeit warnt, ist der Innenexperte und FDP-Fraktionsgeschäftsführer Stephan Thomae. „Deutschland war schon immer ein Hauptziel ausländischer Spionage“, sagte Thomae unserer Redaktion und ergänzte: „Die Bedrohungen haben jedoch in letzter Zeit eine neue Dimension erreicht.“Die Rolle der AfD sei „äußerst bedenklich“, erklärte der Jurist. „Der Fall Krah zeigt, wie tief die AfD in die Machenschaften autoritärer Regime verstrickt ist. Dem müssen wir uns entschieden entgegenstellen.“Alle an der Spionageabwehr beteiligten Akteure müssten personell und technisch optimal ausgestattet sein, effektiv zusammenarbeiten und besonders wachsam sein.