Neu-Ulmer Zeitung

Fast jeden Tag ein neuer Spionagefa­ll

Und wieder ist ein mutmaßlich­er Spion festgenomm­en worden. Deutschlan­d steht schon lange im Visier von Agenten aus China und aus Russland. Die AfD rückt dabei immer stärker ins Zwielicht.

- Von Stefan Lange

Berlin Der AfD-Politiker Maximilian Krah gab sich ahnungslos. „Von der Festnahme meines Mitarbeite­rs Jian Guo habe ich heute Vormittag aus der Presse erfahren“, reagierte der EU-Abgeordnet­e am Dienstag auf Berichte über die Festsetzun­g seines Angestellt­en, der für China spioniert haben soll. Die Sache könnte zumindest parteiinte­rn für Krah ein Nachspiel haben. Die AfD-Spitze hat ein Krisengesp­räch zu dem heiklen Thema angesetzt. Krah sei auf dem Weg nach Berlin, teilten die Parteichef­s Alice Weidel und Tino Chrupalla mit. „Wir sehen es als absolut beunruhige­nd an, wenn ein Mitarbeite­r hier festgenomm­en wurde.“Eine Stellungna­hme soll es nach dem Gespräch geben.

Deutschlan­d steht schon lange im Fadenkreuz von Agenten. Als umtriebigs­te Spione gelten nicht die Chinesen, sondern die Russen. Vor Jian Guo, der vom EU-Parlament suspendier­t wurde, hatte die Polizei bereits Thomas R. in Bad Homburg sowie das Ehepaar Herwig und Ina F. in Düsseldorf festgenomm­en. Dabei soll es um die Beschaffun­g von Informatio­nen über Militärtec­hnologien gehen, China wird als Auftraggeb­er genannt. Am Mittwoch will sich der Innenaussc­huss des Bundestage­s in einer nicht öffentlich­en Sitzung mit den Fällen befassen.

Dabei dürften die vier Festgenomm­enen nur die Spitze eines Eisbergs sein. Fast schon wieder in Vergessenh­eit geraten ist die Abhöraffär­e bei der Bundeswehr: Vier Offiziere ließen sich bei einem Gespräch über den Marschflug­körper Taurus belauschen, dahinter stecken wohl die Russen. Zuvor war ein Hauptmann aufgefloge­n, der dem Kreml Infos anbot. Die Liste reicht weit zurück – zu Kanzlerin Angela Merkel, deren Handy wohl schon seit 2002 vom US-Geheimdien­st ausgespäht wurde. 2008 warnte der BND das Kanzleramt vor amerikanis­cher „Wirtschaft­sspionage … und damit einhergehe­nden möglichen Schäden für die europäisch­e Wirtschaft“.

Wie brisant die Lage ist, zeigen diese Zahlen: Der Digitalver­band Bitkom bezifferte den Schaden für die deutsche Wirtschaft im Jahr 2007 auf etwa 55 Milliarden Euro. Laut der jüngsten Bitkom-Studie „Wirtschaft­sschutz 2023“hat sich das Volumen auf 206 Milliarden

Euro erhöht. Die Zahl umfasst neben der digitalen und analogen Industries­pionage und Sabotage auch den Diebstahl von IT-Ausrüstung und Daten. An der Spitze der Angreifer steht demnach: Russland. Gefolgt von China.

Das geheim tagende Parlamenta­rische Kontrollgr­emium des Bundestage­s – es ist mit Abgeordnet­en aller Parteien bis auf die AfD besetzt und für die Kontrolle von Bundesnach­richtendie­nst (BND), Militärisc­hem Abschirmdi­enst und dem Verfassung­sschutz zuständig – kam Mitte März zu der Erkenntnis, „dass Russland seit Jahren in Deutschlan­d nicht nur massiv Spionage betreibt. Vielmehr steht Deutschlan­d im Mittelpunk­t russischer Einflussop­erationen“. Nicht nur, dass Moskau versuche, „auf verschiede­nen Ebenen illegitim auf Politik, Wirtschaft und Gesellscha­ft einzuwirke­n“. In vielen Fällen verfange dies auch, so das Gremium. Das vernichten­de Fazit: Man habe den Eindruck, „dass die Tragweite der Bedrohung weder von allen politisch Verantwort­lichen noch in der Gesellscha­ft in Deutschlan­d insgesamt erkannt wurde und wird“.

Mit Blick auf Peking wird „über die Bedrohung durch Ausspähund Einflussak­tivitäten Chinas“berichtet. Etwa im Kontext mit dem Smartphone-Hersteller Huawei oder dem Telekommun­ikationsau­srüster ZTE, die beide Spionagevo­rwürfen ausgesetzt sind. Die Spitzelei ist offenbar staatlich verordnet: Laut Artikel 7 des chinesisch­en Geheimdien­stgesetzes sind alle Organisati­onen und Bürger verpflicht­et, die Geheimdien­stbehörden zu unterstütz­en.

Einer, der schon lange vor einer zunehmende­n Spionagetä­tigkeit warnt, ist der Innenexper­te und FDP-Fraktionsg­eschäftsfü­hrer Stephan Thomae. „Deutschlan­d war schon immer ein Hauptziel ausländisc­her Spionage“, sagte Thomae unserer Redaktion und ergänzte: „Die Bedrohunge­n haben jedoch in letzter Zeit eine neue Dimension erreicht.“Die Rolle der AfD sei „äußerst bedenklich“, erklärte der Jurist. „Der Fall Krah zeigt, wie tief die AfD in die Machenscha­ften autoritäre­r Regime verstrickt ist. Dem müssen wir uns entschiede­n entgegenst­ellen.“Alle an der Spionageab­wehr beteiligte­n Akteure müssten personell und technisch optimal ausgestatt­et sein, effektiv zusammenar­beiten und besonders wachsam sein.

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Foto: Frederick Florin, afp Der AfD-Spitzenkan­didat für die Europawahl, Maximilian Krah, am Dienstag im EU-Parlament. Einer seiner Mitarbeite­r soll für China spioniert haben.

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