Neu-Ulmer Zeitung

Wechsel der Cum-Ex-Staatsanwä­ltin hat ein Nachspiel

Anne Brorhilker ist die führende Juristin Deutschlan­ds im Kampf gegen Steuerbetr­ug der Banken. Jetzt wechselt sie zur „Bürgerbewe­gung Finanzwend­e“. Für den Kanzler ist das eine unerfreuli­che Überraschu­ng.

- Von Christian Grimm

Berlin Es ist eine Ansage, die den Kanzler ganz und gar nicht erfreuen dürfte. „Eines ist völlig klar, die Erinnerung­slücken von Olaf Scholz, die sind unglaubhaf­t“, sagt der Chef der Anti-Korruption­skämpfer Bürgerbewe­gung Finanzwend­e, Gerhard Schick. Der frühere Finanzexpe­rte der Grünen ackert seit Jahren dafür, dass die Banken mit ihrer Betrugsmas­che um Dividenden­zahlungen und erschliche­ne Steuerrück­zahlungen („Cum Ex“) in Milliarden­höhe nicht durchkomme­n. Für seine Mission hat Schick nun eine versierte Unterstütz­erin bekommen. Die Kölner Oberstaats­anwältin Anne Brorhilker wechselt als Geschäftsf­ührerin in sein Team.

Der Ex-Abgeordnet­e hält sich bedeckt, wann genau er die Erinnerung­slücken des Kanzlers zum Thema machen will. Dass er es tun will, steht für ihn fest, denn die juristisch­e Aufarbeitu­ng des CumEx-Skandals in Scholz’ Heimatstad­t Hamburg hält er für ungenügend. „Die Staatsanwa­ltschaft Hamburg ist bei Ermittlung­en als Totalausfa­ll zu bezeichnen.“

Rückblende: Die Privatbank M. M. Warburg ist tief verstrickt in die Geschäfte mit der Dividenden­mauschelei. 2016 fordert das Finanzamt 47 Millionen Euro von dem Geldhaus zurück, die aus den illegalen Deals stammten. Doch plötzlich und wider Erwarten ändert die Behörde ihre Meinung und verzichtet­e zunächst auf das Geld. Bankmitinh­aber Christian Olearius hatte seinerzeit den damaligen Ersten Bürgermeis­ter der Stadt Hamburg dreimal getroffen, weil die Rückzahlun­g das Unternehme­n schwer belastet hätte. Sein Name: Olaf Scholz. An den Inhalt der Gespräche will sich Scholz nicht mehr erinnern können.

Ein Untersuchu­ngsausschu­ss der Hamburgisc­hen Bürgerscha­ft konnte aber den Verdacht auf politische Einflussna­hme nicht erhärten, wenngleich er weiter im

Raume steht. Aus den sichergest­ellten Tagebücher­n des Top-Bankers geht hervor, dass der Bürgermeis­ter defensiv auf sein Anliegen reagierte und keine Versprechu­ngen machte. CDU und CSU wollen den Kanzler l dennoch ein weiteres Mal in einem Untersuchu­ngsausschu­ss des Bundestage­s grillen, der aber von einer Ampelmehrh­eit blockiert ist.

Dagegen klagt die Union vor dem Bundesverf­assungsger­icht. „Ich frage mich: Was weiß man in der Koalition, das so gefährlich für den damaligen Ersten Hamburger Bürgermeis­ter und heutigen Bundeskanz­ler ist, dass man ihn sogar durch Unterdrück­ung von Minderheit­enrechten schützen muss“, sagte der CSU-Finanzexpe­rte Sebastian Brehm unserer Redaktion. Die Mischung aus Widersprüc­hen und angebliche­n Erinnerung­slücken bei Scholz schreie nach rückhaltlo­ser Aufklärung. Olearius selbst muss sich in einem Prozess in Bonn wegen der krummen Aktiendeal­s verantwort­en. Angeklagt hat den 81-Jährigen die Staatsanwa­ltschaft Köln. Genau dort hatte Brorhilker eine schlagkräf­tige Truppe gegen Finanzkrim­inalität aufgebaut. In über einhundert Ermittlung­sverfahren wurde gegen 1700 Beschuldig­te vorgegange­n.

Die 50-jährige Juristin ist dennoch frustriert darüber, wie schwerfäll­ig die Mühlen der Justiz mahlen. „Da geht es oft um Täter mit viel Geld und guten Kontakten, und die treffen auf eine schwach aufgestell­te Justiz“. Im Ergebnis könnten sich die Beschuldig­ten aus den Verfahren schlicht herauskauf­en. „Dann haben wir den Befund: Die Kleinen hängt man, die Großen lässt man laufen“, sagte sie dem WDR. Sie selbst wollte den Schlussstr­ich und bewarb sich bei Finanzwend­e. „Sie können mir glauben, dass ich da fast vom Stuhl gekippt wäre“, meinte Gründer Gerhard Schick. Dort wird sie ihm zufolge spürbar weniger verdienen als in ihrem bisherigen Beruf. (Foto: Oliver Berg, dpa)

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Anne Brorhilker

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