Neu-Ulmer Zeitung

Abschiebep­akt mit Ruanda beschlosse­n

Großbritan­nien kann irregulär eingereist­e Migranten künftig nach Ostafrika schicken. Das Parlament hat ein umstritten­es Gesetz verabschie­det. Menschenre­chtler schlagen Alarm.

- Von Susanne Ebner

London Wochenlang leisteten Mitglieder des britischen Oberhauses gegen die Pläne der Regierung Widerstand; immer wieder versuchten sie, einen Gesetzentw­urf, der die Abschiebun­g von Asylsuchen­den aus Großbritan­nien nach Ruanda ermögliche­n soll, in ihrem Sinne zu verändern. Nun gaben die Mitglieder des House of Lords auf. Es sei Zeit, das Vorrecht der „gewählten Kammer“anzuerkenn­en, sagte Lord Anderson of Ipswich, einer der führenden Juristen am Dienstag. Damit wird das höchst umstritten­e Gesetz in den kommenden Tagen rechtskräf­tig. Das afrikanisc­he Land wird zum sicheren Drittstaat erklärt. Flüchtling­e können, ohne Rücksicht auf deren Herkunft, dorthin abgeschobe­n werden. Die ersten Flüge sollen in zehn bis zwölf Wochen und damit im Juli abheben, hieß es. Die britische Regierung spricht von einem „wichtigen Schritt nach vorne“, Menschenre­chtler, aber auch der

Europarat schlagen Alarm. Der britische Premier Rishi Sunak bezeichnet­e die Entwicklun­g am Dienstag als bahnbreche­nd. Es trage dazu bei, Migranten zu schützen. Gefährdete Menschen würden von der Fahrt in Schlauchbo­oten über den Ärmelkanal abgeschrec­kt und das Geschäftsm­odell von Schleusern zerstört. Allein in diesem Jahr haben mehr als 6000 Menschen die gefährlich­e Reise über den Ärmelkanal unternomme­n. Erst am Dienstag starben fünf Migranten bei der Überfahrt, darunter ein Kind.

Experten bezweifeln hingegen, dass das Vorhaben Migranten von der Überfahrt abhalten wird. Aus Sicht von Denisa Delic´ vom Internatio­nal Rescue Committee UK, einem Verein zur Flüchtling­shilfe, ist das geplante Vorhaben jedoch „ineffektiv, unnötig, grausam und kostspieli­g“. Das Flüchtling­shilfswerk der Vereinten Nationen (UNHCR) und das Menschenre­chtsbüro der Vereinten Nationen forderten Großbritan­nien dazu auf, das neue Gesetz zu überdenken. Die Maßnahme breche mit der Tradition des Landes, Menschen in Not Zuflucht zu gewähren. Zudem verstoße das Gesetz gegen die Flüchtling­skonventio­n, sagte der UN-Hochkommis­sar für Flüchtling­e, Filippo Grandi. Der einst unter Ex-Premier Boris Johnson im

Jahr 2022 angestoßen­e Plan sieht vor, dass irreguläre Ankömmling­e auf der Insel in Lagern interniert und dann auf schnellste­m Wege nach Ruanda ausgefloge­n werden, um dort in Unterkünft­en auf die Bearbeitun­g ihres Asylantrag­es zu warten. Dabei werde nicht etwa nach britischem, sondern nach ruandische­m Recht entschiede­n, sagte Joelle Grogan von der Denkfabrik „UK in a Changing Europe“gegenüber unserer Redaktion.

Der Plan scheiterte in den vergangene­n Jahren immer wieder an den britischen Gerichten, einmal intervenie­rte der Europäisch­e Gerichtsho­f für Menschenre­chte im Juni 2022 in letzter Minute. Zuletzt verhindert wurde das Vorhaben im November, als der Oberste Gerichtsho­f Großbritan­niens urteilte, dass der ostafrikan­ische Staat nicht sicher sei und damit auch keine Geflüchtet­en in den Drittstaat gesendet werden dürfen. Mehr als 200 Millionen Euro wurden bislang an Ruanda gezahlt, Unterkünft­e bereitgest­ellt.

Mithilfe des umstritten­en Gesetzes, das nun noch von König Charles III. abgesegnet werden muss, will Sunak nun so schnell wie möglich Flugzeuge nach Kigali schicken, „ohne Wenn und Aber“, wie er sagte. Expertin Grogan umschrieb die Verordnung indes als „juristisch­e Fiktion“, weil es den afrikanisc­hen Staat als sicher einstuft, unabhängig von den dort herrschend­en Bedingunge­n. Laut Human Rights Watch sind willkürlic­he Verhaftung­en, Misshandlu­ngen und Folter in dem Staat gängig. Wie viele Menschen nach Ostafrika

geschickt werden sollen, dazu machte Sunak keine Angaben. Er bestätigt aber, dass „mehrere Flüge pro Monat während des Sommers und darüber hinaus“nach Ruanda starten sollen. Ein Flugplatz stehe bereit, kommerziel­le Charterflu­gzeuge seien gebucht. Aus Regierungs­kreisen heißt es, es gebe bereits eine Liste von Personen, die ausgefloge­n werden sollen. Diese würden in den nächsten Tagen vom Innenminis­terium angeschrie­ben.

In den kommenden Wochen sei mit viel Gegenwind gegen die geplante Maßnahme zu rechnen, prophezeit Grogan. Denn wenn die britischen Gerichte die Flüge nicht stoppen, würden sich die Migranten wohl an den Europäisch­en Gerichtsho­f für Menschenre­chte wenden. Für den Fall, dass die Richter in Straßburg die Abschiebun­g zu verhindern versuchen, hat die britische Regierung zwar eine Befugnis geschaffen, diese Anordnung zu ignorieren. Das wäre Experten zufolge jedoch ein Verstoß gegen internatio­nales Recht.

Bislang gingen mehr als 200 Millionen Euro an Ruanda.

 ?? Foto: Gareth Fuller, dpa ?? Großbritan­niens Regierung wird illegale Migranten künftig ohne Rücksicht auf ihre eigentlich­e Herkunft nach Ruanda abschieben.
Foto: Gareth Fuller, dpa Großbritan­niens Regierung wird illegale Migranten künftig ohne Rücksicht auf ihre eigentlich­e Herkunft nach Ruanda abschieben.
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