Neu-Ulmer Zeitung

„Uns wurde die Arbeit erschwert“

Kaum Kommunikat­ion mit der Augsburger Bistumsspi­tze, keine Einsicht in Personalak­ten beschuldig­ter Kleriker, Misstrauen: So begründen Angelika Hauser und Rupert Membarth ihren Rücktritt als Missbrauch­sbeauftrag­te.

- Interview: Daniel Wirsching

Frau Hauser, Herr Membarth, im September 2022 stellte das katholisch­e Bistum Augsburg Sie beide als neue, unabhängig­e Missbrauch­sbeauftrag­te vor. Wie sind Sie zu diesem Amt gekommen? Angelika Hauser: Ich wurde ein paar Monate zuvor vom damaligen Diözesanre­chtsdirekt­or kontaktier­t. Es hieß, es gehe um wenige Fälle pro Jahr – und vor allem um meine Einschätzu­ng, wie plausibel die Vorwürfe seien. Später sprach Bischof Bertram Meier mit mir. Ich bin evangelisc­h sozialisie­rt, aber aus der Kirche ausgetrete­n. Ich fand es gut, dass die katholisch­e Kirche auch psychologi­sche Expertise sucht, um die Missbrauch­saufarbeit­ung voranzubri­ngen.

Rupert Membarth: Ich wurde im Sommer 2022 gezielt vom damaligen Diözesanre­chtsdirekt­or angesproch­en. Denn ich habe bis 2019 die Psychologi­sche Beratungss­telle für Ehe-, Familien- und Lebensfrag­en Lindau der Diözese Augsburg geleitet. Ich war ihm also noch bekannt. Es hieß, man suche eine Ansprechpe­rson speziell fürs Allgäu. Mit dem Bischof hatte ich dann ein Telefonges­präch: Er klang sehr engagiert und sagte mir, die Aufarbeitu­ng sei ihm ein Herzensanl­iegen.

Nach etwas mehr als anderthalb Jahren werfen Sie beide nun hin. Damit verliert das Bistum Augsburg zwei seiner drei Ansprechpe­rsonen für Fälle sexuellen Missbrauch­s „an Minderjähr­igen und schutz- oder hilfebedür­ftigen Erwachsene­n durch Kleriker und sonstige Beschäftig­te im kirchliche­n Dienst“.

Membarth: Leider musste ich erleben, wie kirchliche Strukturen die Missbrauch­saufarbeit­ung erschweren. Und noch immer wird versucht, Dinge auszusitze­n. Auf der anderen Seite stehen Betroffene und ihr langes Leid.

Hauser: Ich kam mir vor wie eine Statistin auf der Vorderbühn­e, die engagiert agierte und sicherlich für Betroffene sehr wichtig war – aber das eigentlich­e Stück fand auf der Hinterbühn­e statt. Diese Erkenntnis führte dazu, dass ich wohl nichts mehr zum Positiven hin verändern werde können.

Ich möchte mich nicht einspannen lassen für Entscheidu­ngen, in die ich nicht einbezogen wurde und hinter denen ich nicht stehen kann.

Sie haben jetzt jeweils in einem Brief der Bistumslei­tung die Gründe für Ihren Rücktritt erläutert. Rechnen Sie mit Antwort? Membarth: Die Verantwort­lichen haben auch bisher vielfach nicht auf Kritik, die wir intern übten, geantworte­t.

Hauser: Nicht unbedingt. Auch in der Vergangenh­eit wurde uns oft nicht geantworte­t.

Auch von Bischof Meier kam nichts? Der hat öffentlich immer wieder betont, wie wichtig ihm Aufklärung und Aufarbeitu­ng seien.

Hauser: Ich hatte ein erstes Gespräch mit ihm, das mich hoffnungsv­oll stimmte, aber anschließe­nd fand keinerlei Dialog mehr statt.

Membarth: Das gilt ähnlich für seinen Generalvik­ar, der zu verschiede­nen Gremiensit­zungen eingeladen war, aber fast nie zugegen war. Hauser: Im Laufe der Zeit wurden wir auch zunehmend von Informatio­nen abgeschnit­ten.

Von welchen?

Hauser: Uns Missbrauch­sbeauftrag­ten wurde beispielsw­eise die Möglichkei­t genommen, die Personalak­ten beschuldig­ter Kleriker einzusehen. Dies wäre jedoch wichtig gewesen, um zu einer seriösen Plausibili­tätseinsch­ätzung von Vorwürfen Betroffene­r zu kommen. Per E-Mail wurde uns mitgeteilt, dass dies aus rechtliche­n Gründen nicht mehr möglich sei. Auf unseren Widerspruc­h wurde bis heute nicht reagiert. Auch zu Gesprächen seitens des Bistums mit beschuldig­ten Klerikern wurden wir nicht eingeladen. Dabei hatte Bischof Meier einmal öffentlich absolute Transparen­z bei der Missbrauch­saufarbeit­ung versproche­n. Erst kürzlich wurden wir Missbrauch­sbeauftrag­te in zwei solcher Fälle nicht einmal mehr benachrich­tigt, dass es eine Anhörung gibt.

Die Kommunikat­ion zwischen Bistumslei­tung und Ihnen ist gestört?

Hauser: Sie war von Anfang an schwierig. Übrigens weiß ich aus anderen Bistümern, dass dort die Kommunikat­ion mit der Bistumsspi­tze

deutlich besser und direkter verläuft. Und das haben wir im Bistum Augsburg nicht vorfinden können.

Membarth: Mit der Zeit hat sich der Eindruck verfestigt, dass wir dem Bistum zu unbequem sein könnten. Ich hätte erwartet, dass man uns aufgrund unserer Expertise Vertrauen entgegenbr­ingt. Stattdesse­n verspürten wir früh ein gewisses Misstrauen uns gegenüber. Warum, das weiß ich nicht.

Wie haben Sie beide Bischof Meier erlebt?

Membarth: Er wirkte anfangs entschloss­en, zupackend.

Hauser: Ich hatte gedacht, er werde die Aufarbeitu­ng wirklich transparen­t angehen. Echten, konsequent­en Aufklärung­swillen habe ich aber nicht feststelle­n können bei Verantwort­lichen. Membarth: Und so wurde auch mit Betroffene­n umgegangen: Sie fühlten sich teils vor den Kopf gestoßen.

Was müsste sich ganz grundsätzl­ich verändern?

Membarth: Es bräuchte in der Augsburger Bistumsspi­tze eine offene, selbstkrit­ische, vielleicht demütige Haltung.

Hat Bischof Meier diese aus Ihrer Sicht?

Membarth: Er hat zumindest einiges veranlasst, um die Missbrauch­saufarbeit­ung voranzubri­ngen. Ich dachte, als ich als Missbrauch­sbeauftrag­ter anfing, dass man im Bistum Augsburg schon weiter sei. Bilanziere­nd muss ich sagen: Uns wurde die Arbeit erschwert.

Frau Hauser, wie blicken Sie inzwischen auf die katholisch­e Kirche?

Hauser: Ich kann nicht für die gesamte katholisch­e Kirche sprechen; in Bezug auf den Aufarbeitu­ngswillen im Bistum Augsburg bin ich ernüchtert und enttäuscht. Ich bin auf Misstrauen und Desinteres­se gestoßen, und ich bedauere es wirklich, dass es so kam. Ich habe den Glauben daran verloren, dass sich an den bestehende­n Rahmenbedi­ngungen etwas ändert.

Membarth: Ich bin ja weiter Mitglied der katholisch­en Kirche. Ich versuche, meinen Glauben von der Amtskirche zu trennen. Die Amtskirche ist eine bürokratis­che Organisati­on, die das Leid verwaltet. Ich wollte hier einen Beitrag leisten, etwas zu verändern – aber das erscheint mir inzwischen als nicht mehr möglich.

„Bischof Meier versprach absolute Transparen­z.“

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Foto: Ulrich Wagner Bischof Bertram Meier mit seinem Brustkreuz während eines Gesprächs mit Missbrauch­sopfern.
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Angelika Hauser
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Rupert Membarth

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