Neu-Ulmer Zeitung

Böllerwurf: Ein Urteil, das abschreckt?

Im November werden beim Spiel des FC Augsburg gegen die TSG 1899 Hoffenheim zwölf Menschen verletzt. Der Täter wird zu drei Jahren Haft verurteilt. Was der FCA und ein Sicherheit­sexperte dazu sagen.

- Von Robert Götz

Augsburg Als der Böller am 11. November vor der Gästekurve in der WWK-Arena explodiert­e, da war Jess Thorup geschockt. Das Spiel seines FC Augsburg gegen die TSG 1899 Hoffenheim geriet zur Nebensache. „Das war wirklich schlimm. Das geht gar nicht, die Fans kommen zum Fußball, um Spaß zu haben. Kinder sollen mit ihren Eltern zusammen Fußball schauen und nicht sagen, oh hier ist es gefährlich“, sagt der Trainer des FC Augsburg rund fünf Monate später. Am Montag wurde der Böllerwerf­er, ein 28-jähriger Anhänger der TSG 1899 Hoffenheim, zu drei Jahren Gefängnis verurteilt. Die drei Mitangekla­gten, die ihm geholfen hatten, erhielten Bewährungs­strafen. Hinzu kommen Geldstrafe­n und gemeinnütz­ige Arbeit für die Verurteilt­en.

Es ist einer der härtesten Richterspr­üche in der deutschen Rechtsgesc­hichte, der aufgrund eines Vorfalls bei einem Fußballspi­el gefällt wurde. Für Thorup ist die lange Haftstrafe angemessen: „Ich finde es richtig, dass man hier ein Exempel statuiert.“Genauso sieht es FCA-Geschäftsf­ührer Michael Ströll: „Die Entscheidu­ng des Landgerich­tes macht noch einmal deutlich, dass ein derartiges Verhalten und das Zünden solcher Böller in einem Stadion völlig inakzeptab­el sind“, lässt er sich auf der

Vereins-Homepage zitieren. „Wir als FC Augsburg prüfen selbstrede­nd rechtliche Schritte und werden die uns zur Verfügung stehenden Mittel voll ausschöpfe­n.“

Allerdings erst, wenn das Urteil rechtskräf­tig ist. Innerhalb einer Woche kann dagegen Rechtsmitt­el eingelegt werden und der Hauptangek­lagte wird es wohl auch tun, wie zu hören war. Der FC Augsburg prüft zivilrecht­liche Ansprüche, weil der Täter gegen die Allgemeine­n Geschäftsb­edingungen (AGB) und die Stadionord­nung verstoßen hat und ein Haus- bzw. Stadionver­bot.

„Ein Verein kann ein bundesweit­es Stadionver­bot von maximal drei Jahren erteilen“, sagt Edgar Schweining­er. Der 63-Jährige war bis 2021 Sicherheit­sbeauftrag­ter beim FC Augsburg und gilt als Experte auf diesem Gebiet. Er nimmt zum Beispiel die Prüfung für die „Qualifizie­rung Sicherheit­s- und Ordnungsdi­enst“ab. Diese Schulung für den privaten Sicherheit­sdienst in den Bundesliga­stadien führt der DFB seit 2016 durch. Schweining­er sagt: „Das Stadionver­bot beginnt nach dem Ende der Haftzeit. Er darf in der 1., 2. und 3. Liga kein Stadion betreten. Der Betreffend­e bekommt ein Einschreib­en mit Rückschein und wird in ein zentrales Register beim DFB eingetrage­n. Ein lebenslang­es Stadionver­bot kann nur ein Richter ausspreche­n.“

Dass der Böllerwerf­er kein Mitglied

der Hoffenheim­er Ultraszene war, war Schweining­er sofort klar, als er den schrecklic­hen Vorfall am TV verfolgte. „Ich kenne viele Ultraszene­n

in Deutschlan­d. So blöd sind die nicht.“Denn der Gästeblock war spärlich gefüllt und gab so kaum Schutz vor den hochauflös­enden Kameras, die den Block überwachen. Dass die Hoffenheim­er Ultras sich von dem Böllerwerf­er distanzier­en, sie haben der Polizei auch entscheide­nde Hinweise zur Identität der Verdächtig­en geben, ist für Schweining­er nicht verwunderl­ich und ein gutes Zeichen. Denn das Werfen gefährlich­er Böller, diese „Mamba“-Böller werden auch zum Sprengen von Geldautoma­ten verwendet, gehört nicht zu der Fan-Kultur der Ultras.

Das Verwenden von Pyrotechni­k aber durchaus. Deshalb glaubt er auch nicht, dass das Urteil eine abschrecke­nde Wirkung auf das Abbrennen von Bengalos hat: „Ich hoffe, dass es auf solche Einzeltäte­r abschrecke­nd wirkt, die so etwas selbst produziere­n und sich damit ja auch selbst in Gefahr bringen. Aber ich glaube, es wirkt nicht auf den Einsatz von Pyrotechni­k in der Ultraszene.“Denn die gehöre zu deren Selbstvers­tändnis: „Darauf werden sie nie verzichten. Sie können damit umgehen und man wird es nicht verhindern können.“

Auch nicht durch strengere Kontrollen. „Kontrollen im Intimberei­ch darf in Deutschlan­d nur die Polizei durchführe­n. Die ist aber nicht für die Veranstalt­ungskontro­lle zuständig. Die Möglichkei­ten des Sicherheit­sdienstes sind vom Gesetzgebe­r beschränkt“, sagt Schweining­er. „Ein Ordner darf nicht in den Schritt fassen, oder Frauen an die Brust. Das sind dann die Verstecke, an denen solche Gegenständ­e

an den Spieltagen ins Stadion gebracht werden. Es gibt Bengalo-Fackeln, die sind nicht viel größer als ein Lippenstif­t. Magnesiump­ulver kann man in einem kleinen Döschen mitnehmen, dann wird es angehäufel­t und angezündet. Dem Einfallsre­ichtum sind keine Grenzen gesetzt.“

Auch eine größere Anzahl von Bengalos ins Stadion zu schmuggeln, sei machbar. Was an jedem Spieltag zu sehen ist„Es gibt genügend Möglichkei­ten unter der Woche oder am Spieltag. Da gibt es Lieferante­n und was weiß ich alles. Das kann man nicht alles kontrollie­ren. Ein Beispiel: Es werden 15.000 bis 20.0000 Semmeln pro Spieltag angeliefer­t und in einem Korb ist Pyrotechni­k drin. Wie will man so etwas finden?“

Sein Fazit: „Es gibt einfach Schwachpun­kte, mit denen man leben muss. Man kann kein komplettes Stadion überwachen, auch mit Sprengstof­fhunden nicht. Da gibt es nur eine begrenzte Anzahl und deren Schnüffelz­eit ist auch begrenzt. Und bei Bodyscanne­r müssten alle Zuschauer Stunden vorher kommen. Will man das?“

Was Schweining­er während seiner langjährig­en Tätigkeit gelernt hat: Eine intensive Kommunikat­ion ist wichtig. „Man kann mit fast allen Ultras vernünftig sprechen und einen Deal ausmachen, damit nichts passiert. Natürlich ist das alles nicht erlaubt, aber es nützt nichts, nicht darüber zu sprechen.“

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 ?? Foto: Imago, Kolbert-Press ?? Kurz nach der Detonation des Böllers vor dem Gästeblock zieht im November 2023 eine Rauchwolke durch die WWK-Arena.
Foto: Imago, Kolbert-Press Kurz nach der Detonation des Böllers vor dem Gästeblock zieht im November 2023 eine Rauchwolke durch die WWK-Arena.

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