Böllerwurf: Ein Urteil, das abschreckt?
Im November werden beim Spiel des FC Augsburg gegen die TSG 1899 Hoffenheim zwölf Menschen verletzt. Der Täter wird zu drei Jahren Haft verurteilt. Was der FCA und ein Sicherheitsexperte dazu sagen.
Augsburg Als der Böller am 11. November vor der Gästekurve in der WWK-Arena explodierte, da war Jess Thorup geschockt. Das Spiel seines FC Augsburg gegen die TSG 1899 Hoffenheim geriet zur Nebensache. „Das war wirklich schlimm. Das geht gar nicht, die Fans kommen zum Fußball, um Spaß zu haben. Kinder sollen mit ihren Eltern zusammen Fußball schauen und nicht sagen, oh hier ist es gefährlich“, sagt der Trainer des FC Augsburg rund fünf Monate später. Am Montag wurde der Böllerwerfer, ein 28-jähriger Anhänger der TSG 1899 Hoffenheim, zu drei Jahren Gefängnis verurteilt. Die drei Mitangeklagten, die ihm geholfen hatten, erhielten Bewährungsstrafen. Hinzu kommen Geldstrafen und gemeinnützige Arbeit für die Verurteilten.
Es ist einer der härtesten Richtersprüche in der deutschen Rechtsgeschichte, der aufgrund eines Vorfalls bei einem Fußballspiel gefällt wurde. Für Thorup ist die lange Haftstrafe angemessen: „Ich finde es richtig, dass man hier ein Exempel statuiert.“Genauso sieht es FCA-Geschäftsführer Michael Ströll: „Die Entscheidung des Landgerichtes macht noch einmal deutlich, dass ein derartiges Verhalten und das Zünden solcher Böller in einem Stadion völlig inakzeptabel sind“, lässt er sich auf der
Vereins-Homepage zitieren. „Wir als FC Augsburg prüfen selbstredend rechtliche Schritte und werden die uns zur Verfügung stehenden Mittel voll ausschöpfen.“
Allerdings erst, wenn das Urteil rechtskräftig ist. Innerhalb einer Woche kann dagegen Rechtsmittel eingelegt werden und der Hauptangeklagte wird es wohl auch tun, wie zu hören war. Der FC Augsburg prüft zivilrechtliche Ansprüche, weil der Täter gegen die Allgemeinen Geschäftsbedingungen (AGB) und die Stadionordnung verstoßen hat und ein Haus- bzw. Stadionverbot.
„Ein Verein kann ein bundesweites Stadionverbot von maximal drei Jahren erteilen“, sagt Edgar Schweininger. Der 63-Jährige war bis 2021 Sicherheitsbeauftragter beim FC Augsburg und gilt als Experte auf diesem Gebiet. Er nimmt zum Beispiel die Prüfung für die „Qualifizierung Sicherheits- und Ordnungsdienst“ab. Diese Schulung für den privaten Sicherheitsdienst in den Bundesligastadien führt der DFB seit 2016 durch. Schweininger sagt: „Das Stadionverbot beginnt nach dem Ende der Haftzeit. Er darf in der 1., 2. und 3. Liga kein Stadion betreten. Der Betreffende bekommt ein Einschreiben mit Rückschein und wird in ein zentrales Register beim DFB eingetragen. Ein lebenslanges Stadionverbot kann nur ein Richter aussprechen.“
Dass der Böllerwerfer kein Mitglied
der Hoffenheimer Ultraszene war, war Schweininger sofort klar, als er den schrecklichen Vorfall am TV verfolgte. „Ich kenne viele Ultraszenen
in Deutschland. So blöd sind die nicht.“Denn der Gästeblock war spärlich gefüllt und gab so kaum Schutz vor den hochauflösenden Kameras, die den Block überwachen. Dass die Hoffenheimer Ultras sich von dem Böllerwerfer distanzieren, sie haben der Polizei auch entscheidende Hinweise zur Identität der Verdächtigen geben, ist für Schweininger nicht verwunderlich und ein gutes Zeichen. Denn das Werfen gefährlicher Böller, diese „Mamba“-Böller werden auch zum Sprengen von Geldautomaten verwendet, gehört nicht zu der Fan-Kultur der Ultras.
Das Verwenden von Pyrotechnik aber durchaus. Deshalb glaubt er auch nicht, dass das Urteil eine abschreckende Wirkung auf das Abbrennen von Bengalos hat: „Ich hoffe, dass es auf solche Einzeltäter abschreckend wirkt, die so etwas selbst produzieren und sich damit ja auch selbst in Gefahr bringen. Aber ich glaube, es wirkt nicht auf den Einsatz von Pyrotechnik in der Ultraszene.“Denn die gehöre zu deren Selbstverständnis: „Darauf werden sie nie verzichten. Sie können damit umgehen und man wird es nicht verhindern können.“
Auch nicht durch strengere Kontrollen. „Kontrollen im Intimbereich darf in Deutschland nur die Polizei durchführen. Die ist aber nicht für die Veranstaltungskontrolle zuständig. Die Möglichkeiten des Sicherheitsdienstes sind vom Gesetzgeber beschränkt“, sagt Schweininger. „Ein Ordner darf nicht in den Schritt fassen, oder Frauen an die Brust. Das sind dann die Verstecke, an denen solche Gegenstände
an den Spieltagen ins Stadion gebracht werden. Es gibt Bengalo-Fackeln, die sind nicht viel größer als ein Lippenstift. Magnesiumpulver kann man in einem kleinen Döschen mitnehmen, dann wird es angehäufelt und angezündet. Dem Einfallsreichtum sind keine Grenzen gesetzt.“
Auch eine größere Anzahl von Bengalos ins Stadion zu schmuggeln, sei machbar. Was an jedem Spieltag zu sehen ist„Es gibt genügend Möglichkeiten unter der Woche oder am Spieltag. Da gibt es Lieferanten und was weiß ich alles. Das kann man nicht alles kontrollieren. Ein Beispiel: Es werden 15.000 bis 20.0000 Semmeln pro Spieltag angeliefert und in einem Korb ist Pyrotechnik drin. Wie will man so etwas finden?“
Sein Fazit: „Es gibt einfach Schwachpunkte, mit denen man leben muss. Man kann kein komplettes Stadion überwachen, auch mit Sprengstoffhunden nicht. Da gibt es nur eine begrenzte Anzahl und deren Schnüffelzeit ist auch begrenzt. Und bei Bodyscanner müssten alle Zuschauer Stunden vorher kommen. Will man das?“
Was Schweininger während seiner langjährigen Tätigkeit gelernt hat: Eine intensive Kommunikation ist wichtig. „Man kann mit fast allen Ultras vernünftig sprechen und einen Deal ausmachen, damit nichts passiert. Natürlich ist das alles nicht erlaubt, aber es nützt nichts, nicht darüber zu sprechen.“