Alternative für Despoten
Wieder einmal versinkt die AfD in Skandalen. Doch jetzt geht es nicht mehr um verbale Entgleisungen, sondern um den Markenkern der Partei. Endet mit China-Spionage und Putin-Propaganda ihr Höhenflug? Eine Analyse.
München/Brüssel Gesteuert von fremden Mächten, getrieben von Geldgier und Egoismus verraten sie deutsche Interessen. So reden AfD-Leute über Politiker anderer Parteien. Das Geraune gehört zum Geschäftsmodell der Rechtspopulisten, die sich gerne als einzig wahre Patrioten gerieren. In diesen Tagen allerdings fliegt ihnen die große Inszenierung um die Ohren. Dunkle Mächte und Geldgier scheinen vor allem die AfD selbst im Griff zu haben.
Gleich beide Spitzenleute für die Europawahl, Maximilian Krah und Petr Bystron, stehen im Verdacht, Geld aus russischen Quellen kassiert und sich zu Putins Propaganda-Marionetten gemacht zu haben. Ein Mitarbeiter von Krah sitzt außerdem in Untersuchungshaft, weil er für China spioniert haben soll. Plötzlich steht die AfD da wie eine Alternative für Despoten. Zugleich tobt im Bayerischen Landtag ein Machtkampf um den rechtsradikalen Abgeordneten Daniel Halemba, der schon lange im Visier der Justiz steht. Haben all diese Geschichten das Potenzial, der AfD nachhaltig zu schaden?
Nach Einschätzung des Politikberaters Johannes Hillje, der sich seit Jahren mit extremistischen Kräften beschäftigt, könnte die AfD tatsächlich grundsätzliche Probleme bekommen. „Innerhalb von kurzer Zeit gerät nun die zweite große Erzählung der Partei ins Wanken“, sagt er im Gespräch mit unserer Redaktion. „Erst haben Massenproteste gegen Rechtsextremismus die Legende entlarvt, die AfD spreche für die vermeintlich schweigende Mehrheit. Nun wird auch noch die Erzählung ins Gegenteil verkehrt, die AfD sei die einzig patriotische Kraft in diesem Land, die allein deutsche Interessen vertrete.“
Tatsächlich wirkt die Parteiführung um Alice Weidel und Tino Chrupalla ungewöhnlich nervös. Zumal ja erst kürzlich Enthüllungen über Umsturz-Fantasien und
Massenabschiebungen dem AfDHöhenflug einen ersten Dämpfer verpasst hatten. Eine aktuelle Umfrage der Meinungsforscher von Forsa sieht die Rechten bei rund 16 Prozent. Noch Ende vergangenen Jahres hatten sie Werte von mehr als 20 Prozent erreicht. Und jetzt auch noch der Verdacht gegen die beiden Europawahl-Kandidaten. Tonaufnahmen sollen belegen, dass Bystron Geld aus russischen Quellen kassiert hat. Ausgangspunkt der Recherchen waren Informationen des tschechischen Geheimdienstes. Der Spiegel berichtet, auf dem Mitschnitt sei sogar zu hören, wie sich der AfD-Politiker darüber beschwerte, dass er die Summe in zu großen Scheinen bekommen habe.
Krah wiederum wurde in den USA vom Geheimdienst FBI zu seinen Russland-Kontakten befragt. Und dann ist da noch sein enger Mitarbeiter, der inzwischen in Untersuchungshaft sitzt, weil er Spionage im Auftrag Chinas betrieben haben soll. Pikant dabei: Auch Krah selbst war in der Vergangenheit immer wieder durch Chinafreundliche Positionen aufgefallen. Zufall?
Am Mittwochabend wurde bekannt, dass die Generalstaatsanwaltschaft Dresden in Zusammenhang mit möglichen Zahlungen aus Russland und China Ermittlungen gegen ihn prüft. Die AfD hatte schon zuvor eine halbe Konsequenz gezogen: Der 47-jährige Spitzenkandidat wird beim Auftakt des Europawahlkampfes am Samstag fehlen – um das „Ansehen der Partei nicht zu belasten“, wie es heißt.
Schadet Krah der AfD? Für Politikwissenschaftler Hillje hängt das von einer zentralen Frage ab: „Glaubt die eigene Zielgruppe eher dem Opfermythos, den Teile der Partei pflegen, oder doch den Recherchen von Journalisten und den Ermittlungen der Justizbehörden?“In der Vergangenheit war es der Parteiführung immer wieder gelungen, Skandale als vermeintliche Kampagnen vom Tisch zu wischen. „Wir wissen, dass AfD-Anhänger den Medien ein großes Misstrauen entgegenbringen, insofern kann es gut sein, dass die Partei auch dieses Mal damit durchkommt“, sagt Hillje.
In der Krisenkommunikation gibt es jedenfalls eine klare Rollenverteilung. Die Verdächtigen Krah und Bystron streiten alles ab und versuchen sich in einer Wagenburg gegen Attacken von außen zu verschanzen. Das ist die Botschaft in die Partei hinein. Doch es gibt noch eine zweite Botschaft, für die Weidel und Chrupalla zuständig sind. Auch sie schüren zwar Zweifel an der Beweislage, verweigern den Parteifreunden aber zugleich ihre volle Solidarität. „Das ist die Botschaft
nach außen, vor allem an neu hinzugewonnene Sympathisanten, denen man eine Art differenzierte Vernunft signalisieren will“, erklärt Hillje.
Die zweigleisige Strategie hat auch mit dem Innenleben der AfD zu tun, in der Intrigen zum Alltag gehören und Machtkämpfe oft brutal ausgetragen werden. Manchen war Krah – Spitzname „Schampus Max“– mit seinen ebenso egozentrischen wie bizarren Auftritten („Schau keine Pornos, wähl nicht die Grünen, geh raus an die frische Luft!“) schon lange ein Graus. Andere feiern die ständige Provokation.
Politikexperte Hillje geht davon aus, dass die AfD-Spitze intern unter Druck gesetzt wird, die eigenen Leute nicht fallen zu lassen. „Hier spielt das strategische Zentrum des rechtsextremen Flügels eine entscheidende Rolle. Der Verleger Götz Kubitschek hat ja – anscheinend etwas überstürzt – noch schnell einen Beitrag veröffentlicht, in dem er fordert, nicht nachzugeben, sondern anzugreifen und zu beißen“, erklärt er. Schon frühere Parteivorsitzende wie Frauke Petry oder Jörg Meuthen hatten erlebt, wie schnell es vorbei sein kann, wenn man die mächtigen extremistischen Kräfte um Björn Höcke gegen sich hat.
Der Fall Halemba bringt die AfD-Spitze in dieselbe Zwickmühle.
Die aktuellen Forsa-Zahlen
In der aktuellen Umfrage des Meinungsforschungsinstituts Forsa kommt die AfD noch auf etwa 16 Prozent und ist damit ein gutes Stück entfernt von ihren zwischenzeitlichen Spitzenwerten. Erstmals seit fast einem Jahr liegen die Rechtspopulisten nicht mehr vor der Kanzlerpartei SPD. Im Vergleich zur Bundestagswahl 2021 wäre das aber immer noch ein sattes Plus. Damals hatte die AfD 10,4 Prozent erzielt. Stärkste Kraft bleibt weiterhin klar die Union. Wenn heute Bundestagswahl wäre, kämen CDU und CSU gemeinsam auf rund 31 Prozent.
Weidel und Chrupalla wollen den unterfränkischen Landtagsabgeordneten aus der Partei werfen. Das bestätigte die Bundes-AfD unserer Redaktion. Ein entsprechender Antrag soll am Montag im Bundesvorstand „beschluss- und unterschriftsreif“vorliegen. Halemba, gegen den schon bei Antritt seines Landtagsmandats ein Haftbefehl vorgelegen hatte, ist massiv unter Druck geraten, nachdem die Staatsanwaltschaft Würzburg die Ermittlungen gegen ihn ausgeweitet hatte.
Neben dem Vorwurf der Volksverhetzung geht es auch um Nötigung von möglichen Zeugen sowie um den Verdacht der Geldwäsche. Die Landtagsfraktion hatte trotz allem bislang an dem 22-Jährigen festgehalten. In der AfD gelte „einer für alle, alle für einen“, hieß es noch im Januar. Fraktionschefin Katrin Ebner-Steiner war klar, dass ihr ein vermeintliches Einknicken vor der Öffentlichkeit intern als Schwäche ausgelegt worden wäre. Und die AfD ist eine Partei, die Schwäche wittert wie keine andere. Wer nicht mehr nützlich ist, muss weg. Bekommt das nun auch Halemba zu spüren? Am Mittwoch ging es hinter verschlossenen Türen der AfD-Fraktion zur Sache. Ausgang offen. Schmutzige-Wäsche-Potenzial groß.
Ausgerechnet zum Auftakt des Superwahljahres versumpft die AfD mal wieder in Skandalen. Das hat es in dieser Partei, die von der grauen Eminenz Alexander Gauland einst als „gäriger Haufen“bezeichnet wurde, zwar immer gegeben. Dieses Mal aber geht es nicht um verbale Entgleisungen oder rechtsextremistische Parolen, sondern um die eigene DNA, den Markenkern. „Ich denke, die ChinaSpionage ist sogar noch bedrohlicher als die Nähe zu Russland, die in der AfD ja stark verankert ist. AfD-Sympathisanten haben zwar einen Hang zu autoritären Herrschern und Systemen. Aber wenn der Eindruck entsteht, dass hier das deutsche Vaterland verkauft wird, kann das durchaus auch die Stammwählerschaft abschrecken“, sagt Hillje.