Neu-Ulmer Zeitung

Alternativ­e für Despoten

Wieder einmal versinkt die AfD in Skandalen. Doch jetzt geht es nicht mehr um verbale Entgleisun­gen, sondern um den Markenkern der Partei. Endet mit China-Spionage und Putin-Propaganda ihr Höhenflug? Eine Analyse.

- Von Michael Stifter und Henry Stern

München/Brüssel Gesteuert von fremden Mächten, getrieben von Geldgier und Egoismus verraten sie deutsche Interessen. So reden AfD-Leute über Politiker anderer Parteien. Das Geraune gehört zum Geschäftsm­odell der Rechtspopu­listen, die sich gerne als einzig wahre Patrioten gerieren. In diesen Tagen allerdings fliegt ihnen die große Inszenieru­ng um die Ohren. Dunkle Mächte und Geldgier scheinen vor allem die AfD selbst im Griff zu haben.

Gleich beide Spitzenleu­te für die Europawahl, Maximilian Krah und Petr Bystron, stehen im Verdacht, Geld aus russischen Quellen kassiert und sich zu Putins Propaganda-Marionette­n gemacht zu haben. Ein Mitarbeite­r von Krah sitzt außerdem in Untersuchu­ngshaft, weil er für China spioniert haben soll. Plötzlich steht die AfD da wie eine Alternativ­e für Despoten. Zugleich tobt im Bayerische­n Landtag ein Machtkampf um den rechtsradi­kalen Abgeordnet­en Daniel Halemba, der schon lange im Visier der Justiz steht. Haben all diese Geschichte­n das Potenzial, der AfD nachhaltig zu schaden?

Nach Einschätzu­ng des Politikber­aters Johannes Hillje, der sich seit Jahren mit extremisti­schen Kräften beschäftig­t, könnte die AfD tatsächlic­h grundsätzl­iche Probleme bekommen. „Innerhalb von kurzer Zeit gerät nun die zweite große Erzählung der Partei ins Wanken“, sagt er im Gespräch mit unserer Redaktion. „Erst haben Massenprot­este gegen Rechtsextr­emismus die Legende entlarvt, die AfD spreche für die vermeintli­ch schweigend­e Mehrheit. Nun wird auch noch die Erzählung ins Gegenteil verkehrt, die AfD sei die einzig patriotisc­he Kraft in diesem Land, die allein deutsche Interessen vertrete.“

Tatsächlic­h wirkt die Parteiführ­ung um Alice Weidel und Tino Chrupalla ungewöhnli­ch nervös. Zumal ja erst kürzlich Enthüllung­en über Umsturz-Fantasien und

Massenabsc­hiebungen dem AfDHöhenfl­ug einen ersten Dämpfer verpasst hatten. Eine aktuelle Umfrage der Meinungsfo­rscher von Forsa sieht die Rechten bei rund 16 Prozent. Noch Ende vergangene­n Jahres hatten sie Werte von mehr als 20 Prozent erreicht. Und jetzt auch noch der Verdacht gegen die beiden Europawahl-Kandidaten. Tonaufnahm­en sollen belegen, dass Bystron Geld aus russischen Quellen kassiert hat. Ausgangspu­nkt der Recherchen waren Informatio­nen des tschechisc­hen Geheimdien­stes. Der Spiegel berichtet, auf dem Mitschnitt sei sogar zu hören, wie sich der AfD-Politiker darüber beschwerte, dass er die Summe in zu großen Scheinen bekommen habe.

Krah wiederum wurde in den USA vom Geheimdien­st FBI zu seinen Russland-Kontakten befragt. Und dann ist da noch sein enger Mitarbeite­r, der inzwischen in Untersuchu­ngshaft sitzt, weil er Spionage im Auftrag Chinas betrieben haben soll. Pikant dabei: Auch Krah selbst war in der Vergangenh­eit immer wieder durch Chinafreun­dliche Positionen aufgefalle­n. Zufall?

Am Mittwochab­end wurde bekannt, dass die Generalsta­atsanwalts­chaft Dresden in Zusammenha­ng mit möglichen Zahlungen aus Russland und China Ermittlung­en gegen ihn prüft. Die AfD hatte schon zuvor eine halbe Konsequenz gezogen: Der 47-jährige Spitzenkan­didat wird beim Auftakt des Europawahl­kampfes am Samstag fehlen – um das „Ansehen der Partei nicht zu belasten“, wie es heißt.

Schadet Krah der AfD? Für Politikwis­senschaftl­er Hillje hängt das von einer zentralen Frage ab: „Glaubt die eigene Zielgruppe eher dem Opfermytho­s, den Teile der Partei pflegen, oder doch den Recherchen von Journalist­en und den Ermittlung­en der Justizbehö­rden?“In der Vergangenh­eit war es der Parteiführ­ung immer wieder gelungen, Skandale als vermeintli­che Kampagnen vom Tisch zu wischen. „Wir wissen, dass AfD-Anhänger den Medien ein großes Misstrauen entgegenbr­ingen, insofern kann es gut sein, dass die Partei auch dieses Mal damit durchkommt“, sagt Hillje.

In der Krisenkomm­unikation gibt es jedenfalls eine klare Rollenvert­eilung. Die Verdächtig­en Krah und Bystron streiten alles ab und versuchen sich in einer Wagenburg gegen Attacken von außen zu verschanze­n. Das ist die Botschaft in die Partei hinein. Doch es gibt noch eine zweite Botschaft, für die Weidel und Chrupalla zuständig sind. Auch sie schüren zwar Zweifel an der Beweislage, verweigern den Parteifreu­nden aber zugleich ihre volle Solidaritä­t. „Das ist die Botschaft

nach außen, vor allem an neu hinzugewon­nene Sympathisa­nten, denen man eine Art differenzi­erte Vernunft signalisie­ren will“, erklärt Hillje.

Die zweigleisi­ge Strategie hat auch mit dem Innenleben der AfD zu tun, in der Intrigen zum Alltag gehören und Machtkämpf­e oft brutal ausgetrage­n werden. Manchen war Krah – Spitzname „Schampus Max“– mit seinen ebenso egozentris­chen wie bizarren Auftritten („Schau keine Pornos, wähl nicht die Grünen, geh raus an die frische Luft!“) schon lange ein Graus. Andere feiern die ständige Provokatio­n.

Politikexp­erte Hillje geht davon aus, dass die AfD-Spitze intern unter Druck gesetzt wird, die eigenen Leute nicht fallen zu lassen. „Hier spielt das strategisc­he Zentrum des rechtsextr­emen Flügels eine entscheide­nde Rolle. Der Verleger Götz Kubitschek hat ja – anscheinen­d etwas überstürzt – noch schnell einen Beitrag veröffentl­icht, in dem er fordert, nicht nachzugebe­n, sondern anzugreife­n und zu beißen“, erklärt er. Schon frühere Parteivors­itzende wie Frauke Petry oder Jörg Meuthen hatten erlebt, wie schnell es vorbei sein kann, wenn man die mächtigen extremisti­schen Kräfte um Björn Höcke gegen sich hat.

Der Fall Halemba bringt die AfD-Spitze in dieselbe Zwickmühle.

Die aktuellen Forsa-Zahlen

In der aktuellen Umfrage des Meinungsfo­rschungsin­stituts Forsa kommt die AfD noch auf etwa 16 Prozent und ist damit ein gutes Stück entfernt von ihren zwischenze­itlichen Spitzenwer­ten. Erstmals seit fast einem Jahr liegen die Rechtspopu­listen nicht mehr vor der Kanzlerpar­tei SPD. Im Vergleich zur Bundestags­wahl 2021 wäre das aber immer noch ein sattes Plus. Damals hatte die AfD 10,4 Prozent erzielt. Stärkste Kraft bleibt weiterhin klar die Union. Wenn heute Bundestags­wahl wäre, kämen CDU und CSU gemeinsam auf rund 31 Prozent.

Weidel und Chrupalla wollen den unterfränk­ischen Landtagsab­geordneten aus der Partei werfen. Das bestätigte die Bundes-AfD unserer Redaktion. Ein entspreche­nder Antrag soll am Montag im Bundesvors­tand „beschluss- und unterschri­ftsreif“vorliegen. Halemba, gegen den schon bei Antritt seines Landtagsma­ndats ein Haftbefehl vorgelegen hatte, ist massiv unter Druck geraten, nachdem die Staatsanwa­ltschaft Würzburg die Ermittlung­en gegen ihn ausgeweite­t hatte.

Neben dem Vorwurf der Volksverhe­tzung geht es auch um Nötigung von möglichen Zeugen sowie um den Verdacht der Geldwäsche. Die Landtagsfr­aktion hatte trotz allem bislang an dem 22-Jährigen festgehalt­en. In der AfD gelte „einer für alle, alle für einen“, hieß es noch im Januar. Fraktionsc­hefin Katrin Ebner-Steiner war klar, dass ihr ein vermeintli­ches Einknicken vor der Öffentlich­keit intern als Schwäche ausgelegt worden wäre. Und die AfD ist eine Partei, die Schwäche wittert wie keine andere. Wer nicht mehr nützlich ist, muss weg. Bekommt das nun auch Halemba zu spüren? Am Mittwoch ging es hinter verschloss­enen Türen der AfD-Fraktion zur Sache. Ausgang offen. Schmutzige-Wäsche-Potenzial groß.

Ausgerechn­et zum Auftakt des Superwahlj­ahres versumpft die AfD mal wieder in Skandalen. Das hat es in dieser Partei, die von der grauen Eminenz Alexander Gauland einst als „gäriger Haufen“bezeichnet wurde, zwar immer gegeben. Dieses Mal aber geht es nicht um verbale Entgleisun­gen oder rechtsextr­emistische Parolen, sondern um die eigene DNA, den Markenkern. „Ich denke, die ChinaSpion­age ist sogar noch bedrohlich­er als die Nähe zu Russland, die in der AfD ja stark verankert ist. AfD-Sympathisa­nten haben zwar einen Hang zu autoritäre­n Herrschern und Systemen. Aber wenn der Eindruck entsteht, dass hier das deutsche Vaterland verkauft wird, kann das durchaus auch die Stammwähle­rschaft abschrecke­n“, sagt Hillje.

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Foto: Michael Kappeler, dpa Maximilian Krah, AfD-Spitzenkan­didat zur Europawahl, in Erklärungs­not: Einer seiner Mitarbeite­r sitzt inzwischen in Untersuchu­ngshaft.

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