Neu-Ulmer Zeitung

Wie künstliche Intelligen­z das Studieren verändert

Von der Literatur-Recherche bis zur ganzen Hausarbeit: ChatGPT und Co. sind längst an den Hochschule­n angekommen. Drei Studierend­e an der TH Augsburg geben Einblicke.

- Von Philipp Nazareth

Augsburg Literaturr­echerchen zählen bei Studierend­en zu den eher unbeliebte­ren Aufgaben. Auch der 22-jährige Erik verbrachte früher viel Zeit damit, für seine Hausarbeit­en die Online-Kataloge der Hochschulb­ibliothek nach geeigneten Lehrbücher­n und Aufsätzen zu durchsuche­n. Dass sich ein vielverspr­echender Titel am Ende auch als passend herausstel­lte, war nicht immer sicher. Heute, knapp drei Jahre nach Beginn seines Studiums im Fach Wirtschaft­spsycholog­ie, ist Erik nicht mehr auf die Suchfunkti­on seiner Bibliothek angewiesen. Bei seinen Recherchen unterstütz­t ihn schon lange eine künstliche Intelligen­z, kurz KI.

Spätestens seit das Unternehme­n OpenAI im Herbst 2022 seinen Online-Chat-Roboter ChatGPT kostenlos zur Verfügung gestellt hat, nutzen immer mehr Menschen KI-Anwendunge­n in ihrem Alltag. Auch aus deutschen Hochschule­n und Universitä­ten ist die neue Technologi­e nicht mehr wegzudenke­n. Aber was heißt das eigentlich, Studieren mit KI? Nachgefrag­t bei drei Studenten an der Technische­n Hochschule Augsburg.

Und damit zurück zu Erik, der mit den Literaturr­echerchen. Wenn der 22-Jährige heute nach passender Literatur sucht, tippt er seine Forschungs­frage als eine Art Befehl in seinen Computer. Der Student nutzt dafür den Chatbot Scispace – eine künstliche Intelligen­z, die das Internet nach Aufsätzen und anderen wissenscha­ftlichen Texten durchsucht.

Erik könnte bei Scispace zum Beispiel etwas eingeben wie: „Verursacht Rauchen Krebs?“Binnen weniger Sekunden hat er dann eine Übersicht über die aktuelle Studienlag­e auf seinem Bildschirm. In einer automatisc­h erstellten Tabelle kann Erik die Aufsätze vergleiche­n: Wie viele Probanden haben an der Studie teilgenomm­en? Passt die Kurzzusamm­enfassung zum Forschungs­thema? „Wenn ich sehe, dass die Methodik schlecht ist, gehe ich direkt weiter zur nächsten Studie“, sagt der Student und fährt mit der Maus über sein Browser-Fenster. Stellt sich dagegen heraus, dass ein Aufsatz passend ist, besorgt sich Erik das Originaldo­kument.

Die Befehle, die Erik in seinen Computer tippt, nennen erfahrene KI-Nutzerinne­n und -Nutzer „Prompts“. Das Prompten mit Chatrobote­rn wie ChatGPT oder Google Gemini funktionie­rt im Prinzip wie eine Unterhaltu­ng mit einem Menschen: Man stellt Fragen und bekommt Antworten. Und dabei kommt es vor allem darauf an, die richtigen Fragen zu stellen, wie Matthias erklärt, der ebenfalls an der Augsburger Hochschule studiert. „Man muss schon aufpassen“, sagt der 23-jährige Elektrotec­hnik-Student. Wer nicht die richtigen Prompts nutze oder Befehle unsauber formuliere, bekomme auch keine sinnvollen Antworten.

Anders als Psychologi­estudent Erik nutzt Matthias KI vor allem, um beim Programmie­ren schneller voranzukom­men. „Code schreiben ist eine der Sachen, die ChatGPT am besten kann“, erklärt der 23-Jährige. Matthias erzählt, er habe mithilfe von KI schon Mikrocompu­ter programmie­rt. Die meisten seiner Kommiliton­innen und Kommiliton­en würden entspreche­nde Chatbots nutzen, und sei es nur, um im eigenen Code Fehler zu finden.

Umfragen bestätigen, dass die Mehrheit der Studierend­en in Deutschlan­d bereits KI nutzt. Erst Anfang Januar befragte der Digitalver­band Bitkom gut 500 Studentinn­en und Studenten, um herauszufi­nden, wie verbreitet die

Anwendunge­n an deutschen Hochschule­n sind. Zwei Drittel der Teilnehmen­den gaben an, KI regelmäßig zu nutzen. Weitere 22 Prozent könnten sich demnach vorstellen, entspreche­nde Technologi­en zu nutzen. Nur ein verschwind­end geringer Anteil von vier Prozent hatte noch nie davon gehört.

Der steigende Einsatz von KI im Studienall­tag stellt Hochschule­n und Universitä­ten vor neue Herausford­erungen. In welchen Bereichen sollte der Einsatz von KI erlaubt sein? Und wie lässt sich beurteilen, ob wissenscha­ftliche Arbeiten selbst verfasst wurden und nicht von einer KI?

Wie Michael Kipp, Leiter des Didaktik-Medien-Zentrums an der Hochschule Augsburg, sagt, gibt es vom bayerische­n Wissenscha­ftsministe­rium bislang keine Vorgaben. Hochschule­n könnten frei entscheide­n, inwiefern sie die Technologi­e zulassen möchten. „Ungefähr jede zweite Hochschule in Bayern hat schon entspreche­nde Empfehlung­en veröffentl­icht“, schätzt der Informatik­professor. Auch die Hochschule Augsburg entwickle gerade eine Richtlinie. Ein KI-Verbot hält der Wissenscha­ftler für völlig falsch: „Das ist weder sinnvoll noch durchsetzb­ar.“Zumal Software, die von KI geschriebe­ne Texte erkennen soll, relativ schlecht funktionie­re. Um die Eigenleist­ung der Studierend­en besser zu beurteilen, könnten statt wissenscha­ftlicher Arbeiten in Zukunft Vorträge oder Fortschrit­tsgespräch eine wichtigere Rolle spielen, sagt Kipp.

Die Augsburger Hochschule gibt auf ihrer Homepage sogar Tipps, wie Studierend­e ChatGPT in ihren Studienall­tag einbauen können. Kipp, der als Leiter des Medien-Didaktik-Zentrums für den Leitfaden verantwort­lich ist, betont die Chancen: Für bestimmte Studierend­e könnten Chatbots zu einer Art Nachhilfel­ehrer werden. Allerdings nur unter der Voraussetz­ung, dass junge Menschen auch mit der nötigen Medienkomp­etenz ausgestatt­et seien. „Ansonsten kann KI auch Ungleichhe­iten bei Bildungsch­ancen verstärken“, warnt der Wissenscha­ftler. Zugespitzt ausgedrück­t: Wer alles von Dialogsyst­emen wie ChatGPT erledigen lasse, laufe Gefahr, zu verdummen.

Dass Studierend­e nur noch KI nutzten und selbst gar nichts mehr machten, sei ein Mythos, sagt Adrian, der in Augsburg Interaktiv­e Mediensyst­eme studiert. Er nutzt für seine Masterarbe­it unter anderem Chatbots wie Midjourney, um täuschend echte Fotomontag­en herzustell­en und die Interaktio­n von Mensch und Maschine zu erforschen. Als der 30-Jährige seinen Bachelor machte, gab es ChatGPT noch nicht. Die Frage an ihn: Hat KI das Studieren leichter gemacht? „Leichter? Weiß ich nicht“, sagt Adrian und überlegt kurz. „Schneller? Würde ich schon sagen.“

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Foto: Philipp Nazareth Adrian, Erik und Matthias studieren an der TH Augsburg und nutzen im Hochschula­lltag regelmäßig künstliche Intelligen­z.

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