Wie künstliche Intelligenz das Studieren verändert
Von der Literatur-Recherche bis zur ganzen Hausarbeit: ChatGPT und Co. sind längst an den Hochschulen angekommen. Drei Studierende an der TH Augsburg geben Einblicke.
Augsburg Literaturrecherchen zählen bei Studierenden zu den eher unbeliebteren Aufgaben. Auch der 22-jährige Erik verbrachte früher viel Zeit damit, für seine Hausarbeiten die Online-Kataloge der Hochschulbibliothek nach geeigneten Lehrbüchern und Aufsätzen zu durchsuchen. Dass sich ein vielversprechender Titel am Ende auch als passend herausstellte, war nicht immer sicher. Heute, knapp drei Jahre nach Beginn seines Studiums im Fach Wirtschaftspsychologie, ist Erik nicht mehr auf die Suchfunktion seiner Bibliothek angewiesen. Bei seinen Recherchen unterstützt ihn schon lange eine künstliche Intelligenz, kurz KI.
Spätestens seit das Unternehmen OpenAI im Herbst 2022 seinen Online-Chat-Roboter ChatGPT kostenlos zur Verfügung gestellt hat, nutzen immer mehr Menschen KI-Anwendungen in ihrem Alltag. Auch aus deutschen Hochschulen und Universitäten ist die neue Technologie nicht mehr wegzudenken. Aber was heißt das eigentlich, Studieren mit KI? Nachgefragt bei drei Studenten an der Technischen Hochschule Augsburg.
Und damit zurück zu Erik, der mit den Literaturrecherchen. Wenn der 22-Jährige heute nach passender Literatur sucht, tippt er seine Forschungsfrage als eine Art Befehl in seinen Computer. Der Student nutzt dafür den Chatbot Scispace – eine künstliche Intelligenz, die das Internet nach Aufsätzen und anderen wissenschaftlichen Texten durchsucht.
Erik könnte bei Scispace zum Beispiel etwas eingeben wie: „Verursacht Rauchen Krebs?“Binnen weniger Sekunden hat er dann eine Übersicht über die aktuelle Studienlage auf seinem Bildschirm. In einer automatisch erstellten Tabelle kann Erik die Aufsätze vergleichen: Wie viele Probanden haben an der Studie teilgenommen? Passt die Kurzzusammenfassung zum Forschungsthema? „Wenn ich sehe, dass die Methodik schlecht ist, gehe ich direkt weiter zur nächsten Studie“, sagt der Student und fährt mit der Maus über sein Browser-Fenster. Stellt sich dagegen heraus, dass ein Aufsatz passend ist, besorgt sich Erik das Originaldokument.
Die Befehle, die Erik in seinen Computer tippt, nennen erfahrene KI-Nutzerinnen und -Nutzer „Prompts“. Das Prompten mit Chatrobotern wie ChatGPT oder Google Gemini funktioniert im Prinzip wie eine Unterhaltung mit einem Menschen: Man stellt Fragen und bekommt Antworten. Und dabei kommt es vor allem darauf an, die richtigen Fragen zu stellen, wie Matthias erklärt, der ebenfalls an der Augsburger Hochschule studiert. „Man muss schon aufpassen“, sagt der 23-jährige Elektrotechnik-Student. Wer nicht die richtigen Prompts nutze oder Befehle unsauber formuliere, bekomme auch keine sinnvollen Antworten.
Anders als Psychologiestudent Erik nutzt Matthias KI vor allem, um beim Programmieren schneller voranzukommen. „Code schreiben ist eine der Sachen, die ChatGPT am besten kann“, erklärt der 23-Jährige. Matthias erzählt, er habe mithilfe von KI schon Mikrocomputer programmiert. Die meisten seiner Kommilitoninnen und Kommilitonen würden entsprechende Chatbots nutzen, und sei es nur, um im eigenen Code Fehler zu finden.
Umfragen bestätigen, dass die Mehrheit der Studierenden in Deutschland bereits KI nutzt. Erst Anfang Januar befragte der Digitalverband Bitkom gut 500 Studentinnen und Studenten, um herauszufinden, wie verbreitet die
Anwendungen an deutschen Hochschulen sind. Zwei Drittel der Teilnehmenden gaben an, KI regelmäßig zu nutzen. Weitere 22 Prozent könnten sich demnach vorstellen, entsprechende Technologien zu nutzen. Nur ein verschwindend geringer Anteil von vier Prozent hatte noch nie davon gehört.
Der steigende Einsatz von KI im Studienalltag stellt Hochschulen und Universitäten vor neue Herausforderungen. In welchen Bereichen sollte der Einsatz von KI erlaubt sein? Und wie lässt sich beurteilen, ob wissenschaftliche Arbeiten selbst verfasst wurden und nicht von einer KI?
Wie Michael Kipp, Leiter des Didaktik-Medien-Zentrums an der Hochschule Augsburg, sagt, gibt es vom bayerischen Wissenschaftsministerium bislang keine Vorgaben. Hochschulen könnten frei entscheiden, inwiefern sie die Technologie zulassen möchten. „Ungefähr jede zweite Hochschule in Bayern hat schon entsprechende Empfehlungen veröffentlicht“, schätzt der Informatikprofessor. Auch die Hochschule Augsburg entwickle gerade eine Richtlinie. Ein KI-Verbot hält der Wissenschaftler für völlig falsch: „Das ist weder sinnvoll noch durchsetzbar.“Zumal Software, die von KI geschriebene Texte erkennen soll, relativ schlecht funktioniere. Um die Eigenleistung der Studierenden besser zu beurteilen, könnten statt wissenschaftlicher Arbeiten in Zukunft Vorträge oder Fortschrittsgespräch eine wichtigere Rolle spielen, sagt Kipp.
Die Augsburger Hochschule gibt auf ihrer Homepage sogar Tipps, wie Studierende ChatGPT in ihren Studienalltag einbauen können. Kipp, der als Leiter des Medien-Didaktik-Zentrums für den Leitfaden verantwortlich ist, betont die Chancen: Für bestimmte Studierende könnten Chatbots zu einer Art Nachhilfelehrer werden. Allerdings nur unter der Voraussetzung, dass junge Menschen auch mit der nötigen Medienkompetenz ausgestattet seien. „Ansonsten kann KI auch Ungleichheiten bei Bildungschancen verstärken“, warnt der Wissenschaftler. Zugespitzt ausgedrückt: Wer alles von Dialogsystemen wie ChatGPT erledigen lasse, laufe Gefahr, zu verdummen.
Dass Studierende nur noch KI nutzten und selbst gar nichts mehr machten, sei ein Mythos, sagt Adrian, der in Augsburg Interaktive Mediensysteme studiert. Er nutzt für seine Masterarbeit unter anderem Chatbots wie Midjourney, um täuschend echte Fotomontagen herzustellen und die Interaktion von Mensch und Maschine zu erforschen. Als der 30-Jährige seinen Bachelor machte, gab es ChatGPT noch nicht. Die Frage an ihn: Hat KI das Studieren leichter gemacht? „Leichter? Weiß ich nicht“, sagt Adrian und überlegt kurz. „Schneller? Würde ich schon sagen.“