In der Kochnische
Frauen sind in der Spitzengastronomie eine Seltenheit. Das hat eben wieder die Preisverleihung des Guide Michelin gezeigt. Drei, die ganz oben mitkochen, erzählen von ihren Hürden. Und eine von ihnen sagt: Der Stern der Frauen geht gerade erst auf.
Ulm Heute ist einer der schönsten Tage des Jahres für Alina Meissner-Bebrout. Aber auch einer der stressigsten. Später, am Abend, serviert die Sterneköchin mit ihrem Team zum ersten Mal die neue Frühlingskarte. „Ein absolutes Wohlfühlmenü“sei es geworden. Gerade ist sie vom absoluten Wohlfühlen aber noch weit entfernt. Die 33-Jährige sitzt in Kochjacke an einem Ecktisch ihres Restaurants Bibraud in Ulm und telefoniert. Gleich bringt eine Gärtnerei die Oleanderbäumchen, die passend zum Menü dem Restaurant einen neuen Look verleihen sollen. Hinten in der kleinen Küche zerteilt schon einer ihrer Köche die Gelbschwanzmakrele, auch Hamachi genannt.
„Bis ein Gericht auf dem Teller funktioniert, rattert es durchgängig in meinem Kopf. Dann bin ich nicht zu ertragen“, sagt Alina Meissner-Bebrout. Sie lacht. „Aber wenn es dann so weit ist, ist das Glücksgefühl pur.“Die Küchenchefin, die auf einer Berghütte und auf Mallorca ebenso am Herd stand wie im Wolfsburger Drei-Sterne-Lokal Aqua, wird nachher mitkochen, bis um 23 Uhr der letzte Gang serviert ist.
„Sorry“, sie entschuldigt sich erst mal für die Hektik, atmet kurz durch. Es heißt zwar „Küchenchefin“, aber eigentlich ist sie in ihrem kleinen Restaurant für alles verantwortlich, für den Oleander vor der Eingangstür genauso wie für die Büroarbeit. Und sie ist eine der wenigen ihrer Art.
Die Welt der Spitzengastronomie ist fast so männlich wie die Umkleidekabine eines Kreisklassen-Fußballvereins oder die Siegerliste bei einem Wettbewerb im Baumstammwerfen. Das zeigte sich etwa Ende März, als die Macher der Gastro-Bibel „Guide Michelin“in Hamburg ihre berühmten Sterne verliehen. In dem rot beleuchteten Raum, in dem sich an diesem Abend die Gourmetszene feierte, betraten fast ausschließlich Männer die Bühne.
340 Sternerestaurants hat der Gourmetführer in Deutschland gekürt – 36 sind ganz neu dazugekommen. Nur in drei dieser Neuzugänge sind Frauen Küchenchefinnen. Wer TV-Kochshows schaut, wird in aller Regel Tim Mälzer, Tim Raue, Steffen Henssler, Frank Rosin oder Nelson Müller begegnen. Und auf der Liste der „100 Best Chefs“für Deutschland waren im Jahr 2023 ganze acht Frauen. Meissner-Bebrout
steht auf Platz 20. Und sie war eine der wenigen Köchinnen, die mitfeierten bei der Michelin-Party in Hamburg. Zum zweiten Mal erhielten sie und ihr Team einen Stern.
Die heute 33-Jährige hat ihr halbes Leben in der Küche verbracht und weiß: „Wenn es Richtung Spitze geht, wird die Zahl der Frauen weniger.“Dabei stellte sie bei der Alltagsarbeit in den Profiküchen keinen Unterschied zwischen den Geschlechtern fest. „Seit ich mit 17 Jahren meine Ausbildung begonnen habe, hatte ich nie das Gefühl, in der Küche anders behandelt zu werden. Solange du deine Arbeit gut machst, ist es egal, welches Geschlecht du hast oder woher du kommst.“Frauen, die vor Jahrzehnten ausgebildet wurden, würden möglicherweise etwas anderes erzählen: Machotypen, cholerische Chefköche, Belästigungen, dieses Bild von Spitzenküchen hielt sich lange und hartnäckig.
Warum gehen so wenige Frauen den Weg ganz nach oben? Die Ulmerin hat schon häufig über die Frage nachgedacht. „Ich glaube, das liegt oft am Wesen. Weibliche Küchenchefs, vielleicht die meisten Frauen im Allgemeinen, sind meiner Erfahrung nach bedachter, zurückhaltender als der durchschnittliche Mann. Sie machen nicht so viel Aufhebens um ihre Arbeit, ihnen ist es nicht wichtig, im Mittelpunkt zu stehen. Aber genau das passiert automatisch, wenn man die Küche eines Spitzenrestaurants leitet.“
Sie selbst, die einst Gourmetzeitschriften „verschlungen“hat, hat ihren eigenen
Stil überhaupt erst etabliert, indem sie sich selbstständig machte. Sie, die sich als „schon immer rebellisch“bezeichnet, eröffnete mit nur 24 Jahren das Bibraud. Das Lokal – der Name ist die Lautschrift ihres Nachnamens – liegt etwas versteckt in der Ulmer Altstadt: klein, behaglich, stilvoll, cool. Früher war hier eine Metzgerei, die Wandfliesen und ein denkmalgeschütztes Deckenfresko mit Kuhköpfen zeugen noch davon. Wenn Alina Meissner-Bebrout übers Kochen spricht, dann verändert sich ihr Ausdruck. Sie richtet sich auf, streckt das Kreuz durch, lächelt. „Früher war ich in meinem Stil sehr ‘auf die Fresse’.“Heißt: viel Würze, bewusst provokant. „Heute bin ich erwachsener und ich finde, das schmeckt man.“
An den Wänden hängen von Bebrout selbst gemachte Produktfotos, Hamachi, Rhabarber in leuchtendem Rosa. „Es mag sein, dass meine Küche heute einen etwas femininen, filigranen Touch hat“, sagt sie, „aber mit maskulinen Ecken. Ich mag es, wenn Gerichte eine Tiefe haben, aber auch Power, mal eine Säure-Spitze, eine Umami-Spitze.“
Die Ulmer Gastronomin hat an ihren vielen Stationen kreative, fähige Köchinnen getroffen – und viele gehen sehen, „die sich für ein normales Leben mit normalen Arbeitszeiten“entschieden.
Wie hoch die Frauenquote generell in den Küchen ist, zeigen die Zahlen. Im vergangenen Jahr wurden etwa in Schwaben der Industrie- und Handelskammer (IHK) zufolge circa 250 neue Ausbildungsverträge zum Koch oder zur Köchin abgeschlossen. Rund 26 Prozent entfielen auf Frauen. Immerhin: etwas ausgewogener als später auf Top-Level.
Ulrike Weber, bei der IHK Schwaben Abteilungsleiterin für Branchenentwicklung in Tourismus und Gastronomie, bestätigt: „Nach wie vor wählen Frauen, die in die Branche wollen, eher eine Ausbildung zur Hotelfachfrau als zur Köchin.“Im Hotelfach liege die Frauenquote über 50 Prozent.
Eine, die weiß, wie schwer es ist, sich als Frau in der Spitzengastronomie zu etablieren, ist Cornelia Poletto aus Hamburg, die sich in vielen TV-Formaten einen Namen gemacht hat – und zehn Jahre lang einen Michelin-Stern hielt. „Natürlich freue ich mich über meine Erfolge und bin auch ein wenig stolz“, sagt die 52-Jährige am Telefon. „Das ist eine Bestätigung für harte Arbeit.“Als Frau sei ihr nie etwas zugeflogen. Sie ist nicht nur Chefin mehrerer Restaurants, Jurorin und Moderatorin der „Küchenschlacht“, sie ist auch Mutter einer 22-jährigen Tochter.
Das Thema Kinder versus Kocherfolg kommt immer wieder auf den Tisch, wenn es um Frauen in der Spitzengastronomie geht. „So etwas geht nur, wenn man als Familienunternehmen lebt“, erzählt Poletto, deren damaliger Ehemann auch aus der Gastro kommt. „Entweder ist die Mutter im Restaurant oder der Vater. Nur so ist das möglich.“Als Küchenchefin müsse sie abends in der Küche stehen, „denn mein Name steht draußen an der Tür. Als Mutter geht das nicht in Teilzeit.“
Meta Hiltebrand bezeichnet Cornelia Poletto als „schillernde Ausnahme“. Die dereinst jüngste Küchenchefin in der Schweiz ist bekannt aus mehreren Fernseh-Formaten,
ist eben 41 Jahre alt geworden und kinderlos. „Sind wir doch mal ganz ehrlich“, sagt Hiltebrand. „Wann wird man Chef in den großen Häusern? Im Alter zwischen 28 und 40 Jahren.“In dieser Zeit stelle sich für Frauen die Frage: Kinder oder nicht? „Wenn ja, ist das problematisch mit dem Beruf in der Küche.“Schwangere dürften nicht schwer heben, rohes Fleisch oder roher Fisch sind tabu, „also fällt dieser Beruf fast zwangsläufig weg. Später ist es in der Regel zu spät.“Manchmal vermisse sie es schon, „diesen Teil einer Frau nicht erlebt zu haben“, sagt die Schweizerin offen. „Aber man kann nicht alles haben. Ich bin glücklich so, wie es ist.“
Im Bibraud in Ulm klopfen zwei Gärtnereiangestellte an die Tür. Sie bringen Oleander und Strelitzien. Gleichzeitig klingelt Bebrouts Handy, schon wieder. Nach und nach trudeln ihre Serviceangestellten ein, in gut drei Stunden kommen die Gäste. „Die Arbeitszeiten in der Gastronomie sind anders als nine to five, aber nicht unbedingt schlechter“, sagt die 33-Jährige. Sie steht beim Thema Kinder eher auf der Seite von Cornelia Poletto. „Ich halte es für möglich, Spitzenküche und Familie zu kombinieren. Sollten mein
Unter den „100 Best Chefs“sind nur acht Frauen.
Cornelia Poletto hat ihren Stern bewusst abgegeben.
Mann und ich mal ein Kind haben, wird es im Notfall an mich rangeschnallt und kommt mit.“Im Job für einen längeren Zeitraum auszusetzen, das könne sie sich aber nicht leisten. „Das ist aus meiner Sicht eins der größten Probleme im deutschen Sozialsystem: Es gibt viel zu wenig Unterstützung für selbstständige Frauen. Die Politik muss sich darum kümmern, dass sich das ändert.“
Das Geschlechterverhältnis in ihrem Ulmer Team liegt mittlerweile bei fast 50:50 – obwohl Meissner-Bebrout nicht gezielt Frauen einstellt, ebenso wenig wie Poletto, die sagt: „Wenn ich einen Posten besetzen muss, geht es mir um Erfahrung, Wissen oder Verantwortung. Das Geschlecht ist kein Thema.“Ihren Stern hat sie bewusst abgegeben, entschied sich für einen Feinkostladen mit Restaurant, es kamen Kochschule und Event-Gastronomie hinzu. „Ich finde, wir kochen weiterhin auf Sterne-Niveau, aber ich brauche diesen Stern nicht mehr“, erzählt sie glaubwürdig. „Mir geht es um gutes Essen, zufriedene Gäste und ein glückliches Team.“
Von Geschlechtergleichheit ist die TopGastronomie also so weit entfernt wie ein stumpfes Schneidewerkzeug von einem handgefertigten japanischen Edelmesser. Branchenexpertin Ulrike Weber von der IHK schaut dennoch positiv in die Zukunft. „Der Frauenanteil steigt deutlich. Vor 30 Jahren waren die Zahlen viel niedriger.“Vor allem in der Spitzengastronomie sei es damals überhaupt nicht üblich gewesen, dass eine Frau Küchenchefin ist. Weber geht sogar so weit zu sagen: „Heute gibt es da keine Hürden mehr.“
Auch Thomas Geppert, Landesgeschäftsführer des Bayerischen Hotel- und Gaststättenverbandes, sagt: „Die Zahlen steigen leicht an. Und grundsätzlich ist das Gastgewerbe eine Branche, wo Frauen sehr gute Aufstiegschancen haben.“Das müsse nicht in einer Küche sein, man können etwa auch den Weg ins Hotelmanagement einschlagen. „Aber gerade als Köchin hat man aktuell gute Chancen, weil es einen großen Mangel gibt“, sagt Geppert. „Deswegen sind auch die Verdienstmöglichkeiten gut.“
Im Ulmer Sternerestaurant Bibraud werden in der Küche die Spritzfläschchen mit Rhabarbersud hergerichtet, die tiefen weißen Teller für die Vorspeise. Gelbschwanzmakrele – Rhabarber – Ingwer, so wird es später in der Menükarte stehen. Alina Meissner-Bebrout legt die Pinzette zum Anrichten bereit. „Der Trend geht dahin, dass sich auch junge Frauen in die Küchen trauen“, sagt sie. „Da kommt ganz viel Potenzial nach.“70 Prozent derer, die sich heute bei ihr bewerben, sind Frauen. „Ich denke, das liegt unter anderem daran, dass ich als junge Spitzenköchin für manche ein Vorbild sein kann.“