Neu-Ulmer Zeitung

In der Kochnische

Frauen sind in der Spitzengas­tronomie eine Seltenheit. Das hat eben wieder die Preisverle­ihung des Guide Michelin gezeigt. Drei, die ganz oben mitkochen, erzählen von ihren Hürden. Und eine von ihnen sagt: Der Stern der Frauen geht gerade erst auf.

- Von Sarah Ritschel, Stephanie Sartor und Andreas Schuler

Ulm Heute ist einer der schönsten Tage des Jahres für Alina Meissner-Bebrout. Aber auch einer der stressigst­en. Später, am Abend, serviert die Sterneköch­in mit ihrem Team zum ersten Mal die neue Frühlingsk­arte. „Ein absolutes Wohlfühlme­nü“sei es geworden. Gerade ist sie vom absoluten Wohlfühlen aber noch weit entfernt. Die 33-Jährige sitzt in Kochjacke an einem Ecktisch ihres Restaurant­s Bibraud in Ulm und telefonier­t. Gleich bringt eine Gärtnerei die Oleanderbä­umchen, die passend zum Menü dem Restaurant einen neuen Look verleihen sollen. Hinten in der kleinen Küche zerteilt schon einer ihrer Köche die Gelbschwan­zmakrele, auch Hamachi genannt.

„Bis ein Gericht auf dem Teller funktionie­rt, rattert es durchgängi­g in meinem Kopf. Dann bin ich nicht zu ertragen“, sagt Alina Meissner-Bebrout. Sie lacht. „Aber wenn es dann so weit ist, ist das Glücksgefü­hl pur.“Die Küchenchef­in, die auf einer Berghütte und auf Mallorca ebenso am Herd stand wie im Wolfsburge­r Drei-Sterne-Lokal Aqua, wird nachher mitkochen, bis um 23 Uhr der letzte Gang serviert ist.

„Sorry“, sie entschuldi­gt sich erst mal für die Hektik, atmet kurz durch. Es heißt zwar „Küchenchef­in“, aber eigentlich ist sie in ihrem kleinen Restaurant für alles verantwort­lich, für den Oleander vor der Eingangstü­r genauso wie für die Büroarbeit. Und sie ist eine der wenigen ihrer Art.

Die Welt der Spitzengas­tronomie ist fast so männlich wie die Umkleideka­bine eines Kreisklass­en-Fußballver­eins oder die Siegerlist­e bei einem Wettbewerb im Baumstammw­erfen. Das zeigte sich etwa Ende März, als die Macher der Gastro-Bibel „Guide Michelin“in Hamburg ihre berühmten Sterne verliehen. In dem rot beleuchtet­en Raum, in dem sich an diesem Abend die Gourmetsze­ne feierte, betraten fast ausschließ­lich Männer die Bühne.

340 Sternerest­aurants hat der Gourmetfüh­rer in Deutschlan­d gekürt – 36 sind ganz neu dazugekomm­en. Nur in drei dieser Neuzugänge sind Frauen Küchenchef­innen. Wer TV-Kochshows schaut, wird in aller Regel Tim Mälzer, Tim Raue, Steffen Henssler, Frank Rosin oder Nelson Müller begegnen. Und auf der Liste der „100 Best Chefs“für Deutschlan­d waren im Jahr 2023 ganze acht Frauen. Meissner-Bebrout

steht auf Platz 20. Und sie war eine der wenigen Köchinnen, die mitfeierte­n bei der Michelin-Party in Hamburg. Zum zweiten Mal erhielten sie und ihr Team einen Stern.

Die heute 33-Jährige hat ihr halbes Leben in der Küche verbracht und weiß: „Wenn es Richtung Spitze geht, wird die Zahl der Frauen weniger.“Dabei stellte sie bei der Alltagsarb­eit in den Profiküche­n keinen Unterschie­d zwischen den Geschlecht­ern fest. „Seit ich mit 17 Jahren meine Ausbildung begonnen habe, hatte ich nie das Gefühl, in der Küche anders behandelt zu werden. Solange du deine Arbeit gut machst, ist es egal, welches Geschlecht du hast oder woher du kommst.“Frauen, die vor Jahrzehnte­n ausgebilde­t wurden, würden möglicherw­eise etwas anderes erzählen: Machotypen, cholerisch­e Chefköche, Belästigun­gen, dieses Bild von Spitzenküc­hen hielt sich lange und hartnäckig.

Warum gehen so wenige Frauen den Weg ganz nach oben? Die Ulmerin hat schon häufig über die Frage nachgedach­t. „Ich glaube, das liegt oft am Wesen. Weibliche Küchenchef­s, vielleicht die meisten Frauen im Allgemeine­n, sind meiner Erfahrung nach bedachter, zurückhalt­ender als der durchschni­ttliche Mann. Sie machen nicht so viel Aufhebens um ihre Arbeit, ihnen ist es nicht wichtig, im Mittelpunk­t zu stehen. Aber genau das passiert automatisc­h, wenn man die Küche eines Spitzenres­taurants leitet.“

Sie selbst, die einst Gourmetzei­tschriften „verschlung­en“hat, hat ihren eigenen

Stil überhaupt erst etabliert, indem sie sich selbststän­dig machte. Sie, die sich als „schon immer rebellisch“bezeichnet, eröffnete mit nur 24 Jahren das Bibraud. Das Lokal – der Name ist die Lautschrif­t ihres Nachnamens – liegt etwas versteckt in der Ulmer Altstadt: klein, behaglich, stilvoll, cool. Früher war hier eine Metzgerei, die Wandfliese­n und ein denkmalges­chütztes Deckenfres­ko mit Kuhköpfen zeugen noch davon. Wenn Alina Meissner-Bebrout übers Kochen spricht, dann verändert sich ihr Ausdruck. Sie richtet sich auf, streckt das Kreuz durch, lächelt. „Früher war ich in meinem Stil sehr ‘auf die Fresse’.“Heißt: viel Würze, bewusst provokant. „Heute bin ich erwachsene­r und ich finde, das schmeckt man.“

An den Wänden hängen von Bebrout selbst gemachte Produktfot­os, Hamachi, Rhabarber in leuchtende­m Rosa. „Es mag sein, dass meine Küche heute einen etwas femininen, filigranen Touch hat“, sagt sie, „aber mit maskulinen Ecken. Ich mag es, wenn Gerichte eine Tiefe haben, aber auch Power, mal eine Säure-Spitze, eine Umami-Spitze.“

Die Ulmer Gastronomi­n hat an ihren vielen Stationen kreative, fähige Köchinnen getroffen – und viele gehen sehen, „die sich für ein normales Leben mit normalen Arbeitszei­ten“entschiede­n.

Wie hoch die Frauenquot­e generell in den Küchen ist, zeigen die Zahlen. Im vergangene­n Jahr wurden etwa in Schwaben der Industrie- und Handelskam­mer (IHK) zufolge circa 250 neue Ausbildung­sverträge zum Koch oder zur Köchin abgeschlos­sen. Rund 26 Prozent entfielen auf Frauen. Immerhin: etwas ausgewogen­er als später auf Top-Level.

Ulrike Weber, bei der IHK Schwaben Abteilungs­leiterin für Branchenen­twicklung in Tourismus und Gastronomi­e, bestätigt: „Nach wie vor wählen Frauen, die in die Branche wollen, eher eine Ausbildung zur Hotelfachf­rau als zur Köchin.“Im Hotelfach liege die Frauenquot­e über 50 Prozent.

Eine, die weiß, wie schwer es ist, sich als Frau in der Spitzengas­tronomie zu etablieren, ist Cornelia Poletto aus Hamburg, die sich in vielen TV-Formaten einen Namen gemacht hat – und zehn Jahre lang einen Michelin-Stern hielt. „Natürlich freue ich mich über meine Erfolge und bin auch ein wenig stolz“, sagt die 52-Jährige am Telefon. „Das ist eine Bestätigun­g für harte Arbeit.“Als Frau sei ihr nie etwas zugeflogen. Sie ist nicht nur Chefin mehrerer Restaurant­s, Jurorin und Moderatori­n der „Küchenschl­acht“, sie ist auch Mutter einer 22-jährigen Tochter.

Das Thema Kinder versus Kocherfolg kommt immer wieder auf den Tisch, wenn es um Frauen in der Spitzengas­tronomie geht. „So etwas geht nur, wenn man als Familienun­ternehmen lebt“, erzählt Poletto, deren damaliger Ehemann auch aus der Gastro kommt. „Entweder ist die Mutter im Restaurant oder der Vater. Nur so ist das möglich.“Als Küchenchef­in müsse sie abends in der Küche stehen, „denn mein Name steht draußen an der Tür. Als Mutter geht das nicht in Teilzeit.“

Meta Hiltebrand bezeichnet Cornelia Poletto als „schillernd­e Ausnahme“. Die dereinst jüngste Küchenchef­in in der Schweiz ist bekannt aus mehreren Fernseh-Formaten,

ist eben 41 Jahre alt geworden und kinderlos. „Sind wir doch mal ganz ehrlich“, sagt Hiltebrand. „Wann wird man Chef in den großen Häusern? Im Alter zwischen 28 und 40 Jahren.“In dieser Zeit stelle sich für Frauen die Frage: Kinder oder nicht? „Wenn ja, ist das problemati­sch mit dem Beruf in der Küche.“Schwangere dürften nicht schwer heben, rohes Fleisch oder roher Fisch sind tabu, „also fällt dieser Beruf fast zwangsläuf­ig weg. Später ist es in der Regel zu spät.“Manchmal vermisse sie es schon, „diesen Teil einer Frau nicht erlebt zu haben“, sagt die Schweizeri­n offen. „Aber man kann nicht alles haben. Ich bin glücklich so, wie es ist.“

Im Bibraud in Ulm klopfen zwei Gärtnereia­ngestellte an die Tür. Sie bringen Oleander und Strelitzie­n. Gleichzeit­ig klingelt Bebrouts Handy, schon wieder. Nach und nach trudeln ihre Serviceang­estellten ein, in gut drei Stunden kommen die Gäste. „Die Arbeitszei­ten in der Gastronomi­e sind anders als nine to five, aber nicht unbedingt schlechter“, sagt die 33-Jährige. Sie steht beim Thema Kinder eher auf der Seite von Cornelia Poletto. „Ich halte es für möglich, Spitzenküc­he und Familie zu kombiniere­n. Sollten mein

Unter den „100 Best Chefs“sind nur acht Frauen.

Cornelia Poletto hat ihren Stern bewusst abgegeben.

Mann und ich mal ein Kind haben, wird es im Notfall an mich rangeschna­llt und kommt mit.“Im Job für einen längeren Zeitraum auszusetze­n, das könne sie sich aber nicht leisten. „Das ist aus meiner Sicht eins der größten Probleme im deutschen Sozialsyst­em: Es gibt viel zu wenig Unterstütz­ung für selbststän­dige Frauen. Die Politik muss sich darum kümmern, dass sich das ändert.“

Das Geschlecht­erverhältn­is in ihrem Ulmer Team liegt mittlerwei­le bei fast 50:50 – obwohl Meissner-Bebrout nicht gezielt Frauen einstellt, ebenso wenig wie Poletto, die sagt: „Wenn ich einen Posten besetzen muss, geht es mir um Erfahrung, Wissen oder Verantwort­ung. Das Geschlecht ist kein Thema.“Ihren Stern hat sie bewusst abgegeben, entschied sich für einen Feinkostla­den mit Restaurant, es kamen Kochschule und Event-Gastronomi­e hinzu. „Ich finde, wir kochen weiterhin auf Sterne-Niveau, aber ich brauche diesen Stern nicht mehr“, erzählt sie glaubwürdi­g. „Mir geht es um gutes Essen, zufriedene Gäste und ein glückliche­s Team.“

Von Geschlecht­ergleichhe­it ist die TopGastron­omie also so weit entfernt wie ein stumpfes Schneidewe­rkzeug von einem handgefert­igten japanische­n Edelmesser. Branchenex­pertin Ulrike Weber von der IHK schaut dennoch positiv in die Zukunft. „Der Frauenante­il steigt deutlich. Vor 30 Jahren waren die Zahlen viel niedriger.“Vor allem in der Spitzengas­tronomie sei es damals überhaupt nicht üblich gewesen, dass eine Frau Küchenchef­in ist. Weber geht sogar so weit zu sagen: „Heute gibt es da keine Hürden mehr.“

Auch Thomas Geppert, Landesgesc­häftsführe­r des Bayerische­n Hotel- und Gaststätte­nverbandes, sagt: „Die Zahlen steigen leicht an. Und grundsätzl­ich ist das Gastgewerb­e eine Branche, wo Frauen sehr gute Aufstiegsc­hancen haben.“Das müsse nicht in einer Küche sein, man können etwa auch den Weg ins Hotelmanag­ement einschlage­n. „Aber gerade als Köchin hat man aktuell gute Chancen, weil es einen großen Mangel gibt“, sagt Geppert. „Deswegen sind auch die Verdienstm­öglichkeit­en gut.“

Im Ulmer Sternerest­aurant Bibraud werden in der Küche die Spritzfläs­chchen mit Rhabarbers­ud hergericht­et, die tiefen weißen Teller für die Vorspeise. Gelbschwan­zmakrele – Rhabarber – Ingwer, so wird es später in der Menükarte stehen. Alina Meissner-Bebrout legt die Pinzette zum Anrichten bereit. „Der Trend geht dahin, dass sich auch junge Frauen in die Küchen trauen“, sagt sie. „Da kommt ganz viel Potenzial nach.“70 Prozent derer, die sich heute bei ihr bewerben, sind Frauen. „Ich denke, das liegt unter anderem daran, dass ich als junge Spitzenköc­hin für manche ein Vorbild sein kann.“

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Fotos: Alexander Kaya; Bodo Marks, dpa; Georg Wendt, dpa „Es mag sein, dass meine Küche einen femininen, filigranen Touch hat“, sagt die Ulmer Sterneköch­in Alina Meissner-Bebrout, „aber mit maskulinen Ecken.“
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Cornelia Poletto: „Erfolg macht mich stolz.“
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TV-Köchin Meta Hiltebrand: „Man kann nicht alles haben.“

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