Neu-Ulmer Zeitung

Pekings langer Arm

In Deutschlan­d wurden vier mutmaßlich­e Spione für den chinesisch­en Geheimdien­st verhaftet. Die Führung um Xi streitet sämtliche Vorwürfe ab – und schürt gleichzeit­ig die Angst im eigenen Land.

- Von Rainer Werner

Berlin/Peking Klassische Spionage, Cyberangri­ffe, wirtschaft­liche Abhängigke­iten schaffen, Technologi­e absaugen – deutsche Behörden beobachten mit Sorge, wie weit der Arm chinesisch­er Geheimdien­ste inzwischen reicht. Gleich zwei Vorfälle sorgten zuletzt für öffentlich­e Aufmerksam­keit: Am Montag war in Dresden ein Mitarbeite­r des AfD-Europaabge­ordneten Maximilian Krah festgenomm­en worden. Er soll für einen chinesisch­en Geheimdien­st tätig sein. Krah war auch innerhalb seiner Partei in den vergangene­n Jahren mit besonders unkritisch­en Positionen zu China und Russland aufgefalle­n. Kurz zuvor waren drei mutmaßlich­e Spione in Düsseldorf und Bad Homburg festgenomm­en worden. Die beiden Männer und eine Frau sollen in Deutschlan­d Informatio­nen über Militärtec­hnik beschafft haben, um sie an den chinesisch­en Geheimdien­st weiterzuge­ben. „China und Russland untergrabe­n unsere Demokratie und Sicherheit und die radikale Rechte ist ihr trojanisch­es Pferd!“, mahnte Guy Verhofstad­t,

belgischer Politiker im EU-Parlament.

In Peking wischt man die Anschuldig­ungen kategorisc­h beiseite. Wang Wenbin, Sprecher des chinesisch­en Außenminis­teriums, betonte, es handle sich um eine „böswillige Verleumdun­g“, die „völlig aus der Luft gegriffen“sei: „Die Absicht hinter diesem Hype ist ganz offensicht­lich, nämlich China zu verleumden, zu unterdrück­en und die Atmosphäre der Zusammenar­beit zwischen China und Europa zu untergrabe­n“. Die Reaktion ist wenig überrasche­nd, die Parteiführ­ung reagiert auf Kritik meist nach dem gleichen Muster: Anschuldig­ungen werden nicht anerkannt, als Diffamieru­ng gebrandmar­kt und schlussend­lich in einen Gegenangri­ff umgemünzt.

In Berlin verfängt die Argumentat­ion nicht. Nicht nur der deutsche Bundesjust­izminister Marco Buschmann betonte die Schwere der Vorwürfe. Auch die Geheimdien­ste selbst wählen deutliche Worte. „Wir sehen zunehmend Versuche der Einflussna­hme mit illegitime­n Mitteln auf Politik, Wirtschaft und Wissenscha­ft, aber auch klassische Spionage“, sagte der Vizepräsid­ent des Bundesamte­s für Verfassung­sschutz (BfV), Sinan Selen, bei einer gemeinsame­n Veranstalt­ung seiner Behörde und der Allianz für Sicherheit in der Wirtschaft (ASW). Es sei höchste Zeit, hier zu einer realistisc­heren Einschätzu­ng zu kommen.

Selen sagte, die chinesisch­e Führung sei auf dem Weg zu ihrem langfristi­gen Ziel, der „Weltführer­schaft“, unter anderem stark interessie­rt an Know-how zu Robotik,

Luft- und Raumfahrt und Automatisi­erung. Abschottun­g sei keine Lösung. Notwendig sei es vielmehr, Risiken zu erkennen. Überrasche­nd ist die Erkenntnis nicht. In der öffentlich­en Debatte Chinas finden solche Anschuldig­ungen – auch wegen einer flächendec­kenden Zensur – praktisch nicht statt. Wer auf der führenden chinesisch­en Online-Plattform „Weibo“nach dem Schlagwort „Spionage“sucht, erhält als ersten Treffer den patriotisc­hen Aufruf eines Chinesen: „Es ist Zeit für uns, etwas zu unternehme­n. Das ganze Volk sollte sich vereinen, um Verräter, Verräter und Spione zu fangen, die das Mutterland verraten“. Das Posting ist mit der roten Fahne der Volksrepub­lik unterlegt.

Tatsächlic­h schwört Präsident Xi Jinping seine Bevölkerun­g massiv darauf ein, dass die Gefahren aus dem Ausland kommen. Universitä­ten und Oberschule­n berichten auf ihren Social-Media-Accounts stolz von Anti-SpionageKu­rsen, in Peking müssen selbst die Pädagoginn­en staatliche­r Kindergärt­en pro forma ihre Reisepässe abgeben, und in Staatsbetr­ieben wird auf den Fluren in Plakaten vor ausländisc­hen Spitzeln gewarnt. Regelmäßig ruft die Staatssich­erheit ihre Bürger dazu auf, verdächtig­e Aktivitäte­n bei den Behörden zu melden.

Und immer häufiger werden selbst internatio­nale Geschäftsl­eute oder Akademiker wegen Spionage-Verdachts festgenomm­en. Ob die Vorwürfe stimmen oder politisch motiviert sind, lässt sich aufgrund der Intranspar­enz des Systems kaum überprüfen: Selbst Diplomaten bleibt der Zugang zum Gerichtssa­al verwehrt. Doch es fällt auf, dass die Vorwürfe vor allem Staatsbürg­er aus politisch verfeindet­en Nationen trifft – insbesonde­re Menschen aus Japan, den USA und dem angelsächs­ischen Raum. Erst vor einer Woche warnte der deutsche Bundesverb­and der Arzneimitt­el-Hersteller (BAH): Immer mehr Inspekteur­e würden sich nicht mehr nach China trauen, um dort Unternehme­n zu untersuche­n. Da die Branche jedoch ohne regelmäßig­e Inspektion­en keines der notwendige­n Zertifikat­e ausstellen kann, drohe schon bald eine Versorgung­sunsicherh­eit von Arzneimitt­eln in Deutschlan­d und Europa. (mit dpa)

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Foto: Kay Nietfeld, dpa Die Flaggen von Deutschlan­d und China wehen vor der Kuppel des Reichstags.

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