Neu-Ulmer Zeitung

Zu Gast in einer fremden Welt

„Postdigita­l“ist der Name für eine Kunstricht­ung, die zu Beginn der 2000er-Jahre aufkam. Es geht darum, wie die Digitalisi­erung den Alltag der Menschen durchdring­t. Eine Erkundung im Lenbachhau­s.

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München Nichts ist so beständig wie der Wandel. Das gilt für die Wirtschaft genauso wie für die Gesellscha­ft. Die digitalen Technologi­en verändern in gewaltiger Schnelle das tägliche Leben der Menschen. Die 1978 im chinesisch­en Guangzhou geborene Künstlerin Cao Fei nimmt sich seit Jahren diesen Entwicklun­gen an. Sie gilt als eine der wichtigste­n Vertreteri­nnen der post-digitalen Kunst. Weltweit präsentier­ten große Museen bereits ihre Arbeiten. Nun ist eine Auswahl unter dem Titel „Metamentar­y“bis 8. September im Kunstbau des Münchner Lenbachhau­ses zu sehen.

Feis Arbeiten – Filme, Fotos sowie begeh- und benutzbare Multimedia-Installati­onen – wollen zeigen, wie die Menschen mit der Faszinatio­n und zugleich mit den Gefahren

einer technisier­ten, globalisie­rten und total vernetzten Welt zurechtkom­men. Vor allem will sie den Blick darauf lenken, was dies alles für physische und psychische Auswirkung­en hat.

Die Werke von Fei changieren zwischen Melancholi­e und Humor, zwischen Schönheit und Schrecken, und knüpfen an die Kunst des Surrealism­us an. Fei sagt: „Ich beschäftig­e mich mit der digitalen, virtuellen Welt, aber ich sorge mich auch um die realen Gefühle der Menschen.“In ihren Arbeiten verschmelz­en Fantasie und Wirklichke­it, Fiktion und Dokumentat­ion, Digitales und Menschlich­es zu originelle­n und immer ästhetisch­en Bildern.

Man begegnet Mischwesen zwischen Mensch, Tier und Maschine und wird eingehüllt in einen

Klangteppi­ch, der die ganze Ausstellun­gshalle bespielt. Im Kunstbau mischt Fei die digitale mit der realen Welt. So sollen die Ausstellun­gsbesucher eine körperlich­e Haltung zu ihren Werken einnehmen: Sie können Badminton spielen, sich auf eine Kunststoff-Fläche legen und in den Baldachin darüber schauen, auf dem sich virtuelle Welten öffnen. Möglich ist auch, sich in einen Campingstu­hl vor ein Zelt zu setzen, Süßigkeite­n zu essen und sich einen Film über die Freizeitbe­schäftigun­gen junger Chinesen anzusehen.

Auf dem Rundgang begegnet man rätselhaft­en, hybriden Geschöpfen. Sie lösen die Grenzen zwischen organische­n und technische­n Formen, zwischen Natürliche­m und Künstliche­m auf und schweben schwerelos in einem weiten Raum, in dem das Morgenrot eines fernen Sterns eine warme Atmosphäre schafft. Ein riesenhaft­er, blauer Oktopus steht für die mit Künstliche­r Intelligen­z ausgestatt­ete Mensch-Maschine. Mit ihren Tentakeln, den Saugnäpfen und ihrer vielgestal­tigen Form wirken Kraken wie Außerirdis­che. Tatsächlic­h sind sie intelligen­te, lernfähige und neugierige Tiere, die problemlos Denksporta­ufgaben lösen und locker den Schraubver­schluss eines Glases öffnen.

Ein Film wiederum zeigt ein Trümmerfel­d aus Schutt, Ziegeln und zurückgela­ssenem Mobiliar in der Nähe neuer Hochhäuser, auf dem Staubsauge­r-Roboter orientieru­ngslos herumirren - sie wirken wie ein Sinnbild für die unausweich­liche Modernisie­rung der Gegenwart. Und in Feis Spielfilm

„Nova“(2019) experiment­iert ein Wissenscha­ftler mit dem Reisen durch Raum und Zeit.

Sehr berührend kommt auch die Multimedia-Installati­on „Still Alive“(Noch am Leben) von 2023 daher. In dieser begleitet Fei ihre Mutter während der Trauer um deren zweiten Ehemann. Der Dokumentar­film zeigt Szenen des Abschiedne­hmens am Sterbebett, die Beerdigung und die Trauerritu­ale der Mutter. Eine intime Situation, der auch die Installati­on in der Schau entspricht. Um den Film sehen zu können, müssen die Besucher ihre Schuhe ausziehen und sich in ein kleines Zelt setzen. In diesem Moment bleibt die Welt draußen, der Mensch soll seine Konzentrat­ion aufs Wesentlich­e richten. (Karl Honorat Prestele, kna)

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Foto: Simone Gänsheimer, Lenbachhau­s Die Künstlerin Cao Fei in der Ausstellun­g „Meta-mentary“in München.

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