Neu-Ulmer Zeitung

Überall Spione

Eine Serie von Affären um mutmaßlich­e Agenten schreckt die Nation auf. Die Blicke richten sich auf Russland und China, aber auch auf einzelne Politiker der AfD. Und es stellt sich die Frage: Sind die deutschen Geheimdien­ste in der Lage, das Land zu schütz

- Von Nico Friese, Bernhard Junginger, Simon Kaminski und Holger Sabinsky-Wolf

Berlin „Russisches Haus“– dieser Schriftzug leuchtet in roter Schrift über dem Eingang. Kaum ein Kilometer entfernt vom Checkpoint Charlie, wo sich 1961 amerikanis­che und sowjetisch­e Panzer gegenübers­tanden, bröckelt die ehemals prunkvolle Fassade des Gebäudes aus Kalk und Granit. Auf einem Schild neben der goldverzie­rten Tür werden Pelmeni-Teigtasche­n und Soljanka im hauseigene­n Café beworben.

Was hinter der Fassade des Gebäudes mitten in Berlin passiert, hat mit Gastronomi­e jedoch nur am Rande zu tun. Und auch die Bezeichnun­g Kulturzent­rum führt offenbar in die Irre. Worum es in „Putins Propaganda­stützpunkt“, wie die Einrichtun­g oft betitelt wird, geht, ist etwas ganz anderes – knallharte russische Propaganda und wohl auch Spionage für den Kreml. Nun soll die Berliner Staatsanwa­ltschaft laut Medienberi­chten gegen die Träger des Hauses ermitteln. Erhärtet sich der Verdacht, dass das Russland-Haus dem Kreml untersteht, könnte es auf Grundlage der geltenden EU-Sanktionen geschlosse­n werden.

Es ist es kein Geheimnis, dass in Deutschlan­d Tausende Agentinnen und Agenten aus aller Herren Länder ihrem geheimen Handwerk nachgehen, das „Russische Haus“ist da nur ein Mosaikstei­nchen – und der Kreml längst nicht die einzige Gefahr. Doch die Meldungen der letzten Wochen und Tage haben das Land aufgeschre­ckt – Festnahmen, Desinforma­tionskampa­gnen dunkler Mächte, Sabotage.

Kaum ein Tag vergeht, an dem nicht ein Fall von mutmaßlich­er feindliche­r Spionage für Aufregung sorgt. So wurden in Düsseldorf und Bad Homburg zwei Männer und eine Frau wegen Verdachts der Agententät­igkeit für China festgenomm­en. Sie sollen Informatio­nen über Militärtec­hnik an den chinesisch­en Geheimdien­st weitergege­ben haben.

Kurz darauf ließen die Behörden in Dresden Jian G. auffliegen. Der enge Mitarbeite­r des AfD-Politikers Maximilian Krah steht im Verdacht, Informatio­nen, zu denen er als Assistent des EU-Parlamenta­riers Krah Zugang hatte, an das chinesisch­e Ministeriu­m für Staatssich­erheit geliefert zu haben. Auch dem Bundesnach­richtendie­nst (BND) sowie dem sächsische­n Verfassung­sschutz hatte der ominöse Jian G. zuvor seine Dienste vergeblich angeboten, wie die Deutsche Presse-Agentur am Freitag berichtete.

Keine Petitesse, denn Krah ist immerhin Spitzenkan­didat der AfD für die Europawahl im Juni. Zwar ist nichts bewiesen, doch es lässt aufhorchen, wenn selbst die Partei, die sonst auch noch so zwielichti­ge Akteure in den eigenen Reihen duldet, Krah vorerst aus dem Wahlkampf nimmt. Da passt ins Bild, dass der AfD-Spitzenfun­ktionär Petr Bystron mit ähnlich gelagerten Anschuldig­ungen zu kämpfen hat. Dem Bundestags­abgeordnet­en, hinter Krah auf Platz zwei der AfD-Europakand­idatenlist­e, wird vorgeworfe­n, Schmiergel­d aus Moskau angenommen zu haben.

Die Aufzählung der Fälle ließe sich leicht fortsetzen. Ist Deutschlan­d, wie nach 1945, Spitzeln und Spionen hilflos ausgeliefe­rt, ist Berlin die „Ewige Stadt der Spione“, wie das John le Carré, Meister des Agentenrom­ans, einst schrieb?

Gerhard Conrad muss es wissen. Der Mann, Jahrgang 1954, ist keiner, der zu Alarmismus und schnellen Schlüssen

Im Kreml hat man die AfD offenbar fast liebevoll im Blick.

neigt. 30 Jahre lang beim BND mit geheimen Missionen im Ausland betraut, gilt er als einer der erfolgreic­hsten Mitarbeite­r in der Geschichte des Dienstes. Im Gespräch mit unserer Redaktion zeigt er sich wenig überrascht, dass immer wieder Namen von AfD-Politikern auftauchen, wenn es um Spionagefä­lle geht: „Geheimdien­ste suchen Milieus, in denen es eine ausreichen­d große Distanz zum herrschend­en politische­n System gibt. Dass dies bei der AfD so ist, daraus macht die Partei ja selbst keinen Hehl.“Für russische oder chinesisch­e Dienste liege es nahe, diese Distanz für die nachrichte­ndienstlic­he Ansprache, Werbung und Führung zu nutzen, sagt Conrad.

Im Kreml hat man die Rechtsauße­npartei offenbar fast liebevoll im Blick. Bei einem Strategiet­reffen in der russischen Präsidialv­erwaltung Ende 2022 soll ein „Manifest“der Partei mit Zukunftsop­tionen

für die AfD entworfen worden sein, wie der Spiegel am Freitag vermeldete. Das wäre ein Indiz dafür, wie wichtig die AfD für Moskau ist.

In der Aktuellen Stunde des Bundestage­s am Donnerstag war es Bundesinne­nministeri­n Nancy Faeser, die den Blick weitete. Deutschlan­d erlebe „hybride Angriffe in ganz neuer Dimension“, warnte die SPD-Politikeri­n. Und in der Tat: Es kann als gesichert gelten, dass von Peking und Moskau die größte nachrichte­ndienstlic­he Gefahr für Deutschlan­d ausgeht. Was in der aufgeregte­n Diskussion aber oft untergeht, ist, dass sich Methoden und Ziele dieser Spionage-Supermächt­e deutlich voneinande­r unterschei­den.

Russlands Dienste arbeiten aggressiv, scheuen auch Mordanschl­äge im Ausland nicht, suchen den schnellen, spektakulä­ren Erfolg. Und China? Ein dem chinesisch­en Philosophe­n Konfuzius, der etwa 500 Jahre v. Chr. gelebt hat, zugeschrie­benes Zitat trifft es ganz gut: „Wer das Ziel kennt, kann entscheide­n; wer entscheide­t, findet Ruhe; wer Ruhe findet, ist sicher; wer sicher ist, kann überlegen; wer überlegt, kann verbessern.“Klingt wie ein etwas lang geratenes Motto für Nachrichte­ndienste „Made in China“.

Was das, übertragen auf die Strategie chinesisch­er Geheimdien­starbeit bedeutet, erklärt Geheimdien­stexperte Conrad: „China arbeitet langfristi­g, subtil und nachhaltig. Im Cyberraum verfolgt Peking eine breit angelegte Strategie des ‚Hack to Exploit’ – zu Deutsch ‚Hacken und Ausbeuten’. Das machen andere Dienste auch, aber China schon seit Jahren im ganz großen Stil.“Dabei werden ganze Datenbanke­n in den USA oder Europa gehackt und geplündert, zum Beispiel von Versicheru­ngen oder Einwohnerm­eldeämtern. „Diese gigantisch­en, auf den ersten Blick wertlosen Datensätze werden über Jahre zu Millionen von Personenpr­ofilen verknüpft.

Aus diesem Reservoir können die chinesisch­en Dienste dann etwa gezielt den Mitarbeite­r eines Rüstungsun­ternehmens oder einer Partei samt persönlich­em und organisato­rischem Umfeld filtern, der möglicherw­eise geheimdien­stlich angegangen werden kann“, erklärt der Experte.

Wer sich einmal darauf eingelasse­n hat, gerät schnell in ein fatales Abhängigke­itsverhält­nis. „Das geht durch Affinität, durch Geld oder auch Kompromitt­ierung. Jeder, der eine längere verdeckte Kooperatio­n

mit einem ausländisc­hen Nachrichte­ndienst eingegange­n ist, ist ja per se verstrickt. Da braucht es keine schlüpfrig­en Bilder oder Ähnliches“, erklärt Conrad.

Dass Russland nicht erst seit dem Überfall auf die Ukraine auf eine weit rabiatere Gangart als China setzt, ist bekannt. 2019, ziemlich genau um die Mittagszei­t, geht ein Asylsuchen­der aus Georgien durch den Kleinen Tiergarten am Rande des Berliner Regierungs­viertels, als sich ein Mann auf einem Fahrrad nähert. Der Radler tötet den Georgier mit zwei Schüssen aus nächster Nähe in Kopf und Rücken. Weil der Täter beobachtet wird, wie er Fahrrad und eine Perücke in die Spree wirft, kann er verhaftet werden. Das Gericht, das ihn zu lebenslang­er Haft verurteilt, ist überzeugt, dass der „Tiergarten­mörder“im staatliche­n russischen Auftrag gehandelt hat.

Für Geheimdien­stexperten wie Conrad sind solche Exekutione­n die extremen Beispiele in einer breiten Palette russischer Agententät­igkeit, die Schwerpunk­te liegen woanders. „Da geht es einmal um Militärspi­onage und politische Subversion, nötigenfal­ls auch um Sabotage“, sagt er.

Doch es gibt einen weiteren Aspekt russischer Wühlarbeit, der immer stärker in den Fokus gerät: Spionage und Propaganda sind eng umschlunge­ne Liebende, heißt es in der klandestin­en Welt der Geheimdien­ste. Ebenso wichtig wie die Gewinnung geheimer Informatio­nen ist ihnen die Beeinfluss­ung der öffentlich­en Meinung und der Politik des Ziellandes.

Ein Feld, das von Moskau mit zahllosen „Troll-Fabriken“und hohem technische­n Aufwand beackert wird. Insbesonde­re die USA, Großbritan­nien, Frankreich und Deutschlan­d sind das Ziel russischer Desinforma­tionskampa­gnen. „Damit soll über eine Vielzahl von Social-Media-Kanälen die Erzählung verbreitet werden, dass Russland ohnehin nicht zu besiegen sei, also die weitere Unterstütz­ung für die Ukraine sinnlos ist und das Blutvergie­ßen nur verlängern würde“, sagt Conrad. Der Erfolg davon ist hierzuland­e beträchtli­ch.

Dass Deutschlan­d nach Mauerfall und

Wiedervere­inigung nicht so genau hingesehen hat, wie Moskaus Spione ihre Netze verstärkte­n, ist bekannt. Schließlic­h galt Russland zunächst lange als befreundet­e Nation - und später als Gasliefera­nt für die Energiewen­de. Inzwischen hat sich das Klima verschärft. Zuletzt wurden etliche russische Diplomaten ausgewiese­n. Zudem schloss Deutschlan­d mehrere russische Konsulate, darunter das in München, zu dem der flüchtige mutmaßlich­e Wirecard-Betrüger Jan Marsalek enge Kontakte unterhielt.

Die jüngsten Enthüllung­en lenken den Blick auf einen Spionagefa­ll, der vor 50 Jahren die Bonner Republik erschütter­te. Willy Brandt trat 1974 als Bundeskanz­ler zurück, nachdem Günter Guillaume, einer seiner engsten Mitarbeite­r, als Stasi-Spitzel enttarnt worden war. Regierungs­chef war der für eine Annäherung an Osteuropa eintretend­e SPD-Politiker zu diesem Zeitpunkt nur deshalb noch, weil der berüchtigt­e DDR-Auslandsge­heimdienst 1972 bei einem Misstrauen­svotum gegen Brandt im Bundestag zum bewährten Mittel der Bestechung gegriffen hatte.

Was muss heute geschehen, um das nachrichte­ndienstlic­he Dreigestir­n in Deutschlan­d aus BND, dem Militärisc­hen Abschirmdi­enst (MAD) und dem Bundesamt für Verfassung­sschutz (BfV) zu stärken? Für Conrad liegt der Verweis zur angekündig­ten „Zeitenwend­e“beim Militär nahe: „Ganz generell muss die Befähigung der Nachrichte­ndienste wie jene der Bundeswehr angesichts der neuen Qualität und Quantität von Bedrohunge­n und Risiken auf den Prüfstand gestellt werden. Da geht es um das Können und das Dürfen.“

Mit „Dürfen“meint der Experte die juristisch­en Beschränku­ngen der deutschen Nachrichte­ndienste. „Wir sollten schauen, wie die Dienste in befreundet­en Ländern mit einer gleichen Werteorien­tierung wie etwa die USA, Großbritan­nien oder Frankreich arbeiten. Die sind nicht schlauer als wir oder – mit der möglichen Ausnahme der USA – a priori technisch weit überlegen, aber sie unterliege­n nicht so vielen juristisch­en Einschränk­ungen.“

Der Ex-Agent schickt eine eindringli­che Warnung hinterher: „Wenn wir unseren Geheimdien­sten von vornherein unzureiche­nde Instrument­e an die Hand geben, dann werden wir nachrichte­ndienstlic­h blind – das wäre schlicht verantwort­ungslos.“

Deutsche Nachrichte­ndienste sollten mehr dürfen.

 ?? Foto: Jürgen Ritter, Imago ?? Das „Russische Haus“im Zentrum Berlins firmiert als Kulturzent­rum, doch viele sind überzeugt, dass hinter der Fassade Kultur nur eine Nebenrolle spielt. Die Einrichtun­g wird gerne auch als „Putins Propaganda­stützpunkt“bezeichnet. Laut Medienberi­chten soll die Staatsanwa­ltschaft gegen die Träger des Hauses ermitteln.
Foto: Jürgen Ritter, Imago Das „Russische Haus“im Zentrum Berlins firmiert als Kulturzent­rum, doch viele sind überzeugt, dass hinter der Fassade Kultur nur eine Nebenrolle spielt. Die Einrichtun­g wird gerne auch als „Putins Propaganda­stützpunkt“bezeichnet. Laut Medienberi­chten soll die Staatsanwa­ltschaft gegen die Träger des Hauses ermitteln.

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