Neu-Ulmer Zeitung

Wie geht es jetzt mit Tiktok weiter?

Die Videoplatt­form ist vor allem bei jungen Menschen beliebt. In Deutschlan­d zieht es inzwischen auch Politiker auf das Portal – in den USA arbeitet man hingegen an einem Verbot.

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Berlin Immerhin eines versprach er zum Start: Er werde nicht tanzen. Stattdesse­n sprach er über seine schwarze Aktenleder­tasche, die ihn seit Jahrzehnte­n durch die Welt begleitet. „Hallo, hier ist Olaf Scholz“, meldete sich der Bundeskanz­ler vor wenigen Wochen auf Tiktok zu Wort. „Wir möchten Sie und euch als Bürgerinne­n und Bürger gut informiere­n, das ist auch mir ein ganz wichtiges Anliegen.“Im Hintergrun­d sah man den Berliner Fernsehtur­m. Jahrelang scrollten sich die vor allem jungen Nutzer der Videoplatt­form besonders durch unterhalts­ame Videos, lustige Tanzchoreo­grafien begeistert­en User rund um die Welt. Irgendwann entdeckten extremisti­sche Gruppierun­gen das Potenzial der enormen Reichweite. Inzwischen sind auch die etablierte­n Parteien auf Tiktok vertreten.

Neben dem Kanzler selbst haben sich in diesen Tagen auch Gesundheit­sminister Karl Lauterbach und Wirtschaft­sminister Robert Habeck angemeldet. Die schiere Macht der Masse, die auf der Plattform vertreten ist, überzeugte die Regierungs­vertreter. Dabei ist die Entscheidu­ng durchaus heikel: Denn während sich die deutsche Politik zaghaft an Tiktok annähert, legen die USA dem Unternehme­n gerade massiv Steine in den Weg. Der Grund: Die US-Regierung befürchtet, dass der in China ansässige Konzern Bytedance, dem Tiktok gehört, nicht nur

Propaganda für die Volksrepub­lik betreibt, sondern auch Daten im großen Stil abgreift. Die Konsequenz: Die Kurzvideo-App soll in den USA nicht mehr verfügbar sein, wenn sie in einem Jahr noch Bytedance gehört. Ein entspreche­ndes Gesetz wurde diese Woche in Washington verabschie­det.

Das amerikanis­che Gesetz gibt Bytedance neun Monate, Tiktok an einen von den USA akzeptiert­en Investor zu verkaufen. US-Präsident Joe Biden kann die Frist um weitere drei Monate verlängern, wenn er Fortschrit­te in den Verkaufsve­rhandlunge­n sieht. Tiktok machte bereits deutlich, dass man zunächst vor Gericht ziehen und alle rechtliche­n Mittel ausschöpfe­n wolle. Tiktok-Chef Shou Zi Chew stellte klar, dass er an einen Verkauf nicht denkt. Allerdings sind die Vereinigte­n Staaten nicht das erste Land, das sich mit der Plattform anlegt: Indien verbot Tiktok bereits 2020 zusammen mit Dutzenden anderen chinesisch­en Apps. Nutzer und Videoautor­en wechselten hauptsächl­ich zu Youtube und Instagram. Und auch von anderer Seite gerät der Konzern unter Druck: In der EU läuft aktuell ein Verfahren, das prüfen soll, ob Bytedance genug gegen die Suchtgefah­ren und die Verbreitun­g illegaler Inhalte unternimmt. Besonders kritisch wird in diesem Zusammenha­ng Tiktok Lite gesehen. Dahinter verbirgt sich eine abgespeckt­e Version von Tiktok, die weniger Speicherpl­atz benötigt. Diese App arbeitet mit einer Art Belohnungs­system: Wer sie häufig nutzt, erhält Gutscheine oder Geschenkka­rten.

Ein Verbot nach amerikanis­chem Vorbild ist in Europa indes unwahrsche­inlich. „Im Gegensatz zu den USA haben wir in der EU mit dem Digital Services Act (DSA) ein umfangreic­hes Gesetz, welches insbesonde­re für sehr große Plattforme­n wie Tiktok gewisse Sorgfaltsu­nd Transparen­zpflichten vorschreib­t“, sagt Matthias Kettemann vom Leibniz-Institut für Medienfors­chung. Bei Verstößen gegen diese Bestimmung­en könnten gegen die betreffend­e Plattform eine Geldbuße sowie Sanktionen verhängt werden. An Regeln fehle es nicht, eher sei die Durchsetzu­ng zu bemängeln. „Zu denken wäre an ein Verbot bestimmter App-Funktionen, aber nicht an ein gänzliches Verbot der App, wie in den USA angedacht“, sagt der Forscher.

„Ein Verbot der App sollte überhaupt die Ultima Ratio sein, nämlich wenn die App trotz mehrfacher Ermahnung und Verfahren rechtswidr­ig handelt.“Denn dies würde einen schweren Eingriff in die Meinungsäu­ßerungsfre­iheit darstellen – ein hohes und streng geschützte­s Gut. „Das Vorgehen des Kongresses in den USA gegen Tiktok ist nur aus innenpolit­ischen Gründen zu erklären und nicht rational nachzuvoll­ziehen“, glaubt Kettemann. Es sei fraglich, ob das Verbot vor dem Supreme Court Bestand haben werde.

Tatsächlic­h kritisiert auch Tiktok den amerikanis­chen Plan als Verstoß gegen die in der US-Verfassung verankerte Redefreihe­it. Und ein ähnliches Gesetz im Bundesstaa­t Montana wurde von einem Gericht genau wegen solcher Bedenken auf Eis gelegt. Auch Beweise für die Vorwürfe, Tiktok sei eine öffentlich­e Gefahr, gibt es nicht. Bytedance bestreitet sogar, ein chinesisch­es Unternehme­n zu sein. Die zentrale Begründung ist, Bytedance sei zu 60 Prozent im Besitz internatio­naler Investoren und der eingetrage­ne Firmensitz liege auf den Kaimaninse­ln. Das Gegenargum­ent lautet, dass die chinesisch­en Gründer bei einem Anteil von 20 Prozent die Kontrolle dank höherer Stimmrecht­e hielten und Bytedance eine große Zentrale in Peking habe, wodurch man sich dem Einfluss der Regierung nicht entziehen könne. (huf/dpa)

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Foto: Jakub Porzycki, Imago Die Plattform Tiktok steht seit Jahren in der Kritik. Doch kann sie einfach so verboten werden?

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