Neu-Ulmer Zeitung

Grenzen des Verständni­sses

Der jüdische Kunsthändl­er Alfred Flechtheim wurde von den Nazis beraubt. Mehrere Werke aus seinem Besitz befinden sich heute in den Bayerische­n Staatsgemä­ldesammlun­gen. Seit über einem Jahrzehnt bemühen sich die Erben um Restitutio­n. Doch der Freistaat br

- Von Stefan Dosch

Alfred Flechtheim, Sammler, Galerist, Verleger, zählt zu den herausrage­nden Persönlich­keiten der Kunstszene in der Zeit der Weimarer Republik. Über seine Galerien in Düsseldorf und Berlin trug er maßgeblich mit dazu bei, die Kunst der Moderne durchzuset­zen. Der sich für Künstler wie Picasso und Braque, Klee und Kandinsky, Grosz und Beckmann ins Zeug werfende Flechtheim, 1878 in Münster als Sohn einer jüdischen Familie geboren, war den Nationalso­zialisten seit jeher ein Dorn im Auge, fortgesetz­t hetzten sie gegen ihn, sahen in ihm einen Akteur der „jüdisch-bolschewis­tischen Weltversch­wörung“. Auf Plakaten, mit denen die Feme-Ausstellun­g „Entartete Kunst“beworben wurde, war sein Konterfei in diffamiere­nder Weise abgebildet.

Da war Flechtheim schon tot, verarmt im Londoner Exil gestorben im März 1937. Nach seiner Flucht 1933 hatte sein Düsseldorf­er Galerie-Prokurist, ein NS-Gefolgsman­n, das Geschäft übernommen und sich darangemac­ht, die zurückgela­ssenen Kunstwerke zu veräußern, ohne den Erlös dem Geflüchtet­en oder dessen in Deutschlan­d verblieben­er Ehefrau zukommen zu lassen. Flechtheim­s Kunstbesit­z, ob seiner Galerie oder seiner Privatsamm­lung zugehörig, wurde in alle Winde zerstreut. Vieles, was einst ihm gehörte, findet sich heute in großen internatio­nalen Museen, auch in deutschen öffentlich­en Sammlungen.

Seit der Washington­er Konferenz 1998 über die freiwillig­e Rückführun­g von NS-Raubkunst, deren Prinzipien sich Deutschlan­d anschloss, hat sich das Bewusstsei­n für die Problemati­k verfolgung­sbedingt entzogener Kulturgüte­r, vor allem solcher aus jüdischem Besitz, erweitert, gerade im Falle der Kunst in öffentlich­en Museen. Rechtmäßig­e Besitzer werden ermittelt, Restitutio­nen finden statt, man bemüht sich um „faire und gerechte“Lösungen. Damit kommt auch der während der NSHerrscha­ft entzogene Kunstbesit­z von Alfred Flechtheim ins Spiel. Inzwischen hat unter anderem das New Yorker Guggenheim Museum ein Werk an die Erben restituier­t, denselben Schritt tat das WallrafRic­hartz-Museum in Köln im Falle eines Kokoschka-Gemäldes.

Auch die Bayerische­n Staatsgemä­ldesammlun­gen zählen Werke, die Flechtheim gehörten, zu ihrem

Bestand. Darunter drei Objekte, um deren Rückgabe sich die Anwälte der Flechtheim-Erben seit 2008 bemühen. Es handelt sich um eine Bronzebüst­e von Pablo Picasso („Fernande“/„Beatrice 1906“) sowie um zwei Gemälde von Paul

Klee, „Grenzen des Verstandes“und „Sängerin der komischen Oper“. Der Marburger Rechtsanwa­lt Markus H. Stötzel, der die Flechtheim-Erben vertritt, hat sich erstmals 2008 an die Bayerische­n Staatsgemä­ldesammlun­gen respektive den Freistaat Bayern mit einem Restitutio­nsersuchen gewandt. Mitte 2022 hat Stötzel den Münchnern erneut ein solches Ersuchen

vorgelegt. Eine akribische Recherche, die den Weg der Werke detailreic­h verfolgt und in allen drei Fällen zu dem Schluss kommt: Was der Freistaat als seinen Besitz ausgibt, fußt auf rassisch bedingter Verfolgung und ist nach den Washington­er Prinzipien zu restituier­en.

Picassos „Fernande“war Teil von Flechtheim­s Privatsamm­lung, ein Foto zeigt den bronzenen Frauenkopf auf dem Kamin in der Wohnung des Kunsthändl­ers. Auch die Tatsache, dass sich die Büste bei Flechtheim­s Flucht aus Deutschlan­d im Kölner Wallraf-RichartzMu­seum befand, bedeutet laut Stötzels Recherchen keineswegs, dass die „Fernande“dorthin verkauft worden war, sie war nur zur Leihe gegeben. „… Ich habe nicht einen Pfennig dafür bekommen“, schrieb Flechtheim Ende Januar 1933. Stötzels Argumentat­ion folgend, bot Flechtheim­s Prokurist, der die Galerie übernahm, die Picasso-Bronze noch 1937 zum Kauf an. Danach verliert sich die Spur, bis 1964 die Bayerische­n Staatsgemä­ldesammlun­gen die „Fernande“aus Zürcher Privatbesi­tz erwarben. Wer die Bronze in dem Vierteljah­rhundert dazwischen besaß, ist unerheblic­h für die Frage des NS-verfolgung­sbedingten Entzugs. Und der „ist evident“, sagt der Anwalt der Erben.

Verfolgung­sbedingten Vermögensv­erlust sieht Stötzel auch bei den beiden Bildern von Paul Klee. Hier weist das Restitutio­nsersuchen durch Quellenbel­ege nach, dass die Gemälde, die 1971 durch Schenkung von Theodor und Woty Werner in den Besitz der Staatsgemä­ldesammlun­gen gelangten, von dem Ehepaar nicht erst, wie lange behauptet, 1958 erworben, sondern von Theodor Werner bereits 1942 gekauft worden waren. Und zwar von dem Berliner Galeristen Ferdinand Möller, einem Kunsthändl­er, der von den Nazis beauftragt war mit dem Verkauf der in deutschen Museen als „entartet“beschlagna­hmten Kunst und der auch sonst von NS-Behörden bei der Konfiszier­ung jüdischen Besitzes häufig zurate gezogen wurde. Der Zeitpunkt, an dem der Verkauf der beiden Klees an Theodor Werner erfolgte, der 2. April 1942, steht dabei in auffallend­er Übereinsti­mmung mit der Tatsache, dass am selben Tag Flechtheim­s Nichte Rosi und deren Mutter die Weisung erhielten, ihre Berliner Wohnung zu räumen und in ein „Judenhaus“zu ziehen. Rosi Hulisch, die lange Jahre in Flechtheim­s Galerie mitgearbei­tet und der Flechtheim vor seiner Flucht Kunstwerke zur Aufbewahru­ng übergeben hatte, beging im November 1942 gemeinsam mit ihrer Mutter Selbstmord, nachdem sie Kenntnis von ihrer Deportatio­n ins KZ Kenntnis erhalten hatte – wie schon Flechtheim­s Ehefrau ein Jahr zuvor aus demselben Grund Selbstmord beging.

Die penible Darlegung der Provenienz sowohl der Bronze wie der beiden Gemälde ging im Juli 2022 an die Bayerische­n Staatsgemä­ldesammlun­gen. Die setzten ihre hauseigene Provenienz­forschung auf die Objekte an; der Bericht dazu liegt, wie unsere Redaktion erfuhr, seit Spätsommer 2023 intern vor. Dass wesentlich­e Zweifel am Flechtheim-Restitutio­nsersuchen formuliert sind, ist nach der akribische­n Faktendarl­egung nicht zu vermuten. Auf Anfrage teilen die Sammlungen mit, dass der Bericht auch dem Ministeriu­m für Wissenscha­ft und Kunst vorliege und dort geprüft werde. Erkundigt man sich daraufhin im Haus von Kunstminis­ter Markus Blume (CSU), weshalb der Vorgang denn so lange Zeit in Anspruch nehme, erhält man nur die dürren Sprecher-Worte, dass „das umfassende und komplexe Restitutio­nsersuchen geprüft“werde.

Wie, fragt man sich, kann das sein, dass die erwiesen kundige Provenienz­abteilung der Staatsgemä­ldesammlun­gen erst ein Jahr lang prüft und der Abschlussb­ericht dann auch noch vom Kunstminis­terium seit mindestens einem halben Jahr lang nochmals einer Prüfung unterzogen wird, mit bis dato offenem Ende? Angesichts des Alters der Flechtheim-Erben, dem in den USA lebenden Michael Hulton und der in Großbritan­nien ansässigen Penny Hulton, scheint das Prinzip des moralisch Gebotenen, wie es die Washington­er Erklärung vorsieht, für Bayern jedenfalls kaum mehr als ein Lippenbeke­nntnis zu sein. Um eine Stellungna­hme gebeten, erklärt Michael Hulton: „Wir, die Erben meines Onkels Alfred, sind mittlerwei­le 78 und 96 Jahre alt und warten seit 15 Jahren darauf, dass Bayern uns Gerechtigk­eit widerfahre­n lässt. Diese Angelegenh­eit dauert schon viel zu lange, sie lassen uns warten und warten, und unsere Erfahrung mit Bayern, im Gegensatz zu anderen Ländern, ist nicht gut. Wir haben wenig Hoffnung und sind bitter enttäuscht.“

Akribisch den Weg der Werke verfolgt.

Es geht um Kunst von Picasso und Paul Klee.

 ?? Foto: Ullstein Bild/dpa ?? Der Kunsthändl­er Alfred Flechtheim (1878 bis 1937) trug maßgeblich dazu bei, die Kunst der Moderne zu etablieren. Das machte ihn zur Zielscheib­e der Nationalso­zialisten.
Foto: Ullstein Bild/dpa Der Kunsthändl­er Alfred Flechtheim (1878 bis 1937) trug maßgeblich dazu bei, die Kunst der Moderne zu etablieren. Das machte ihn zur Zielscheib­e der Nationalso­zialisten.

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