Neue Ausstellung lädt in Ulm zum Umdenken beim Thema Ernährung ein
Im Museum Brot und Kunst zeigt das Künstlerduo „honey & bunny“mit „mindestens haltbar bis“intelligente Kunst, die ohne erhobenen Zeigefinger auskommt.
Ulm Dass unsere Ernährung nicht mehr viel mit nachhaltiger Landwirtschaft und Ressourcenschonung zu tun hat, dürfte bekannt sein. Lässt man sich aber tiefergehend auf die Fragestellungen rund ums menschliche Ernährungsverhalten ein, stößt man rasch auf unauflösbare Widersprüche und auf Narrative, die sich hartnäckig halten. Etwa, dass Nachhaltigkeit schlecht für die Wirtschaft ist oder der Endverbraucher wirklich einen Einfluss auf die Nahrungsmittelindustrie und ihre Prozesse hätte.
Sonja Stummerer und Martin Hablesreiter sind von Haus aus Architekten, die sich natürlich mit Design befassten; aus ihrem persönlichen Interesse an Food-Design entstanden zwei Bücher, „Fooddesign“und „Fooddesign XL“, die unterdessen zu den deutschsprachigen Standardwerken zum Thema gehören. Seit 2005 arbeiten sie als Künstlerpaar „honey & bunny“, schwerpunktmäßig mit der Art unserer Nahrungsaufnahme, unserer Tischkultur und Tischsitten, aber auch mit unserem Umgang mit Nahrungsmitteln.
Ein Thema, das reizt, ein Thema, das mit den immer gleichen Marketing-Lügengebilden konfrontiert, ein Thema, dem sie mit Humor, und einem ausgefeilten visuellen Konzept begegnen, indem sie die Tricks der Nahrungsmittelindustrie zu deren Entlarvung offenlegen. Im Museum Brot und Kunst betritt man bei ihrer Sonderausstellung „honey & bunny: mindestens haltbar bis“also einen Supermarkt: Regale, gefüllt mit Packungen, Gläsern, Dosen und Pappschachteln, und der Besucher darf sich einen feuerroten Einkaufskorb nehmen und „shoppen“.
Das ist nicht nur eine Einladung, sich spannende Kunst zum symbolischen Preis von 20 Euro zu erwerben, sondern auch ein Rollenspiel mit einem aus Sicht der Künstler veralteten System: „Eine ironisierte Umkehrung der Konsumgesetze“soll der Ausstellungsbesucher somit erfahren. „30 Prozent aller klimaschädlichen Emissionen sind direkt mit unserer Nahrungsindustrie verbunden“, sagt Hablesreiter. „Man weiß das, aber es stimmt nicht, dass wir Konsumenten die Welt verändern könnten, wenn wir es nur wollten.“
Er nennt ein Beispiel: „Von der Biodiversität her könnten wir tausende verschiedene Karotten-Arten im Supermarkt haben. Haben wir das? Nein. Es gibt genau eine Sorte.“Ein anderes Beispiel: Die Trinkwasserhersteller, die jüngst eine Klage an den Hals bekamen, weil in die Flaschen nicht das abgefüllt wurde, was darauf steht.
Neben dem Supermarkt liegt das Thema wahrhaftig auf dem Tisch: eine lange Tafel, in deren Mitte Gartenkräuter, Tomatenund Chilipflanzen wachsen. Ein Stück Schlaraffenland, wo einem das Essen direkt auf den Teller wächst – ein Ausblick aufs kommende Ernährungsparadies? Man müsse „raus aus dem Food System“, sagt Sonja Stummerer; Hablesreiter ergänzt: „Jeder Bissen verwebt uns mit allem, das kann auch eine Chance sein, die Welt wieder ein bisschen in den Griff zu bekommen.“Stummerer ist sicher: „Wir könnten auch ganz anders essen, daraus schließen wir, dass unser Ernährungsverhalten gestaltbar ist.“
Das Künstlerpaar arbeitet wohltuender Weise nicht mit erhobenem Zeigefinger. Da geht es oft auch um die Schönheit. Etwa im Zeitraffer-Video eines über sechs Monate hinweg wachsenden Gemüsebeets installiert als „Dreifelder“-Baustein in die Dauerausstellung im zweiten Obergeschoss. Dort soll die Arbeit in den kommenden zwei Jahren zu erleben sein. Videos des Künstlerduos finden sich auf Wände projiziert und auf kleinen Bildschirmen im „Supermarkt“. Es sind Eat Art Performances der letzten Jahre, die mit viel Humor den großen Stier „Ressourcenverschwendung“bei den Hörnern packen. Das macht auch einfach Spaß anzuschauen. Ihre als Farbfelder oder nach Farben sortierten Nahrungsmittel sehen schön aus. Das darf auch sein. „Honey & bunny“wollen das Publikum nicht missionieren, es wird nicht moralisiert. Aber Humor und Ästhetik werden in ihren Möglichkeiten ausgeschöpft, um Nachdenken auszulösen. Den Besucher, den Aktivisten, die Skeptischen und die Idealisten an einen Tisch zu bekommen (im übertragenen und wortwörtlichen Sinn) – das ist ein guter Ansatz, über einen Weg in die Zukunft nachzudenken und die Aufmerksamkeit auf die ökologischen und politischen Konsequenzen der industriellen Nahrungsmittelproduktion zu lenken. Wenn man das mit so viel hintersinnigem Schalk und Ideenreichtum anfängt wie „honey & bunny“, dann kann es gelingen.
> Info: Die Ausstellung „honey & bunny: mindestens haltbar bis“ist bis 6. Oktober zu sehen. Im Museum, aber auch bei ausgewählten Bäckereien und Marktständen, kann man Tüten mit Fragen zur Ernährung erhalten. Wer diese beantwortet ins Museum zurückbringt, erhält freien Eintritt. Am 11. Juli findet eine Performance zum Thema „Wasser und Mikroplastik“statt. Details folgen.