Ein Plädoyer für die Prügelknaben
Emily Blunt und Ryan Gosling waren Teil des „Barbenheimer“-Hypes im vergangenen Jahr. Nun sind sie gemeinsam im Film „The Fall Guy“zu sehen. Im Interview sprechen sie über gefährliche Sprünge und die Kameradschaft am Set.
Krav Maga. Ich weiß noch, dass ich so einen Muskelkater hatte, dass ich mir kaum die Zähne putzen konnte. Ich konnte den Arm nicht mehr auf und ab bewegen. Also legte ich den Kopf auf die Zahnbürste und bewegte den hin und her.
Welchen Stunt hätten Sie, Ryan, lieber einem Profi überlassen?
Gosling: Die in diesem Film! Ich wäre gerne der allererste Schauspieler gewesen, der gar keine Stunts selbst machen muss. Aber hier musste ich, immerhin spiele ich ja einen Stuntman. Und der erste war für mich besonders heftig, denn ich musste aus dem 12. Stock eines Gebäudes springen – und ich leide unter Höhenangst.
Aber warum wollten oder sollten Sie das tun? Als Schocktherapie?!
Gosling: Weil dieser Sturz sofort zeigt, wie das Leben eines Stuntman aussieht: Er kommt aus seinem Trailer, läuft übers Set, grüßt und kennt jeden, kriegt noch in der letzten Minute neue Regieanweisungen. Und so wie andere ins Büro gehen, läuft er völlig routiniert in den 12. Stock eines Hauses hoch – und stürzt sich dann von dort herunter. Stuntleute riskieren am Set mehr als alle anderen. Darum stellen wir sie nun ins Rampenlicht.
Wie erging es Ihnen in dem Moment, als Sie springen sollten?
Gosling: Ich trage in der Szene eine Sonnenbrille – und das nur aus einem einzigen Grund: Man sollte nicht die Panik in meinen Augen sehen. Denn die konnte ich nicht verbergen, nicht mal durch Schauspielerei. Ich war vor Angst auch gar nicht fähig zu spielen, darum musste ich mich, so gut es ging, verstecken, eben hinter besagter Sonnenbrille.
Und, hat’s geholfen? Ist Ihre Höhenangst überwunden?
Gosling: Ich hatte völlig recht damit, Angst vor Höhen zu haben. Ich kann nur sagen: Man sollte sie meiden. Denn Höhen – der Name sagt es doch schon – sind verdammt hoch!
„The Fall Guy“ist eine Verbeugung an alle Leute hinter der Kamera. Sind Sie als Hauptdarsteller, als Ranghöchste am Set, auch wirklich immer nett zu allen, bis hin zum kleinen Beleuchter? Oder sitzen Sie schön abgeschirmt in Ihrem Luxustrailer? Blunt: Ich verschanze mich nicht im Trailer. Dazu macht die Kameradschaft am Set viel zu sehr Spaß. Die Crew hat dich in jedem Moment auf dem Schirm. Sie weiß ganz genau, was in dir vorgeht und lotst dich durch den Film. Sie gibt sich Mühe, um dir den Job zu erleichtern. Ob’s für die Kulisse ist oder das Catering, jeder trägt etwas bei, um eine Produktion in etwas Magisches zu verwandeln. Damit der Film glänzt. Damit ich glänze. Darum weiß ich gar nicht, wem Hierarchie am Drehort etwas bringen sollte.
Zur Person
Ryan Gosling, kanadischer Schauspieler, geboren November 1980, spätestens seit „Barbie“everybody’s Lieblingsmann, und Emily Blunt, britisch-amerikanische Schauspielerin, geboren im Februar 1983, die zuletzt als Frau von Physiker-Genie Oppenheimer für Furore sorgte, sind derzeit im Doppelpack unterwegs: Ihr Film „The Fall Guy“(ab 30. April im Kino) ist nicht nur ein unterhaltsames Action- und Emotion-Spektakel, sondern eine überaus romantische Liebeserklärung an den Berufsstand der Stuntleute, der „fall guys“– der Prügelknaben. Gosling, dreimal für den Oscar nominiert, ist mit der Schauspielerin Eva Mendes liiert, das Paar hat zwei Töchter. Blunt, für ihre Rolle in „Oppenheimer“Oscar-nominiert, ist mit dem Schauspieler und Regisseur John Krasinski verheiratet und ist Mutter von zwei Töchtern.
Ryan, machen Sie am Set nie auf Star? Gosling: Es ist doch so: Wir Schauspieler kommen groß raus, wir werden zum Gesicht eines Films, wir sind groß auf Postern zu sehen. Aber dahinter steht die Arbeit einer ganzen Armee von Leuten. Was die alles opfern! Während eines Drehs sind sie oft wochenlang weg von ihren Familien. Sie nehmen verrückte Arbeitszeiten auf sich, stehen vor dem Morgengrauen auf und arbeiten bis in die Nacht. Aber Anerkennung? Sogar ihre Namen rasen am Ende des Abspanns so fix durch, dass man sie verpasst.
Emily, Sie spielen eine irre nette, irre faire, sehr menschliche Regisseurin. Haben Sie ein großes Herz für Regisseure, weil sie selbst mit einem verheiratet sind? Blunt: Die meisten Regisseure sind kooperativ, offen und fair. Am meisten liegen mir die Filmemacher, die sich selbst hinterfragen, die inspiriert sind, die, welche merken, dass dir eine ganze Truppe Leute folgt. – Das hat etwas von einer „Fake it till you make it“-Philosophie. Du musst wohl etwas wahnsinnig sein, um zu denken, dass es möglich ist, überhaupt einen Film auf die Beine zu stellen.
Ihr Regisseur David Leitch war selbst mal Stuntman, er doubelte Brad Pitt in „Fight Club“.
Blunt: An ihm sieht man, wie selbstlos und bescheiden diese Meister sind. Daher war er der Richtige, um seine Zunft mal zu feiern. Mir ist wichtig, dass dieses Thema mal auf den Tisch kommt. „The Fall Guy“kann ein Sprungbrett werden, um diesen Job endlich mit Oscars zu würdigen.
Ryan, sind Sie auch so ein glühender Fürsprecher in der Sache?
Gosling: Es ist doch traurige Ironie: Schauspieler werden so oft für ihre Courage gefeiert, sich emotional auszuliefern. Aber genauso liefern sich die Stuntleute physisch aus. Sie sind für mich auch Schauspieler und gehören in die Gewerkschaft SAG. Nur gehört es zu ihrem Job, unerkannt zu bleiben, im Schatten zu stehen und so zu tun, als seien sie gar nicht da. Je besser sie sind, desto weniger bemerkt man sie. Es ist versnobt, aufzuteilen, was unser Anteil am Erfolg ist und was ihrer. Wir erschaffen gemeinsam Filmkunst.
In „The Fall Guy“hat Stunt-Legende Logan Holladay den neuen Rekord aufgestellt, sich achteinhalb Mal im Auto um die eigene Achse zu drehen…
Blunt: Davor lagen aber Monate voller Berechnungen, Physik, Ingenieurswissen und Training. Stunts – jeder Stunt! – werden über Monate designt! Logan selbst hat jedes Mal sein Leben aufs Spiel gesetzt, bis es perfekt aussah. Für uns. Damit wir Schauspieler gut aussehen und das Publikum gut unterhalten wird. Stuntleute sind die uneitelsten Menschen, die ich kenne. Und was sie machen, ist eine Kunstform!
Gosling: Mir reichte es völlig, mich vor und nach dieser Wahnsinnsleistung ins Auto zu setzen. Logan ist übrigens derjenige, der mich in der Szene da wieder rausholt.
Warum rühmen sich Schauspieler gern, ihre Stunts selbst zu machen? Ist das pure Eitelkeit? Oder nur Selbstüberschätzung? Gosling: Ich kann nicht für alle sprechen. Aber ich glaube, das ist für viele Kollegen eine Art Coolness-Test. Vielleicht denken sie, dass das Publikum gern hört, wie weit einer für seine Rolle geht, und langsam hat sich eine Erwartungshaltung gebildet. Dabei macht es die Arbeit eines Schauspielers nicht schlechter, wenn er Stunts nicht selbst ausführt. Schauspieler tun, was sie tun können, so wie jeder am Set sein Handwerk dazu beisteuert, damit am Ende etwas Großes, Exzellentes auf der Leinwand zu sehen ist. Interview: Mariam Schaghaghi