Theater Ulm führt Kafkas „Der Prozess“auf – mit einer wichtigen Botschaft
Am 3. Mai feiert Malte Kreutzfeldts Inszenierung Premiere. Welche Lesart der Regisseur auf Kafkas Geschichte entwickelte.
Ulm Franz Kafkas Romanfragment „Der Prozess“wird gern als Ausgeliefertsein an eine gefühllose Bürokratie interpretiert. Auch der aus Lübeck stammende Regisseur Malte Kreutzfeldt, der „Der Prozess“am Theater Ulm inszeniert, hatte Kafka in der Schule einst politisch-gesellschaftlich zu verstehen gelernt. In der Vorbereitung auf seine Ulmer Arbeit passierte in ihm selbst ein außergewöhnlicher Prozess – und das Ergebnis lässt gespannt auf die Premiere des Stückes am Freitag, 3. Mai, warten.
Was bedeutet eigentlich das Nomen „Prozess“? Eine Gerichtsverhandlung zum einen, an die man bei Kafkas Romanfragment zunächst denkt, denn die Hauptfigur, der Bankprokurist Josef K., wird an seinem 30. Geburtstag verhaftet und von einem nicht greifbaren Gericht angeklagt, ohne zu wissen, was ihm eigentlich vorgeworfen wird. „Prozess“bedeutet aber auch einen Vorgang, ein Geschehen – und auf das, was sich in ihm über der Lektüre des Romanfragments entwickelte, ließ sich Malte Kreutzfeldt vollständig ein.
In seinem Kopf entwickelte sich eine Überlegung, mit der er selbst nicht gerechnet hatte, und die ihn zunächst zweifeln ließ, ob er das Stück überhaupt inszenieren könne. Denn Josef K. wurde zur Figur eines Menschen am Übergang in den Tod. „Und den geht man alleine“, sagt Kreutzfeldt. Eine Deutung des Werkes entwickelte sich in ihm, die vollkommen unabhängig ist vom Gesellschaftlichen, die den Menschen mit einer archaischen und immer gültigen Thematik konfrontiert. Ihn beschäftigte, dass Josef K. morgens aufwacht mit der Erkenntnis, dass etwas geschehen ist im Leben, was er nicht mitbekommen hat.
In dem Jahr bis zu seinem Tod setzt sich Josef K. mit der Unausweichlichkeit des Kommenden auseinander – selbstbewusst abwehrend zunächst, später immer mehr zweifelnd. K. ist sich keiner Schuld bewusst. K. habe gedacht: „Wenn er zur Arbeit geht, dann war das das Ziel. Wenn er freundlich ist zu Menschen, dachte er, das ist der Sinn.“Aber K. ging keine tieferen Beziehungen ein – und darin liegt seine Schuld, der er sich in diesem inneren Prozess – in welcher Deutung des Wortes auch immer – stellen muss. Ein inneres Gericht findet hier statt, ein zwingendes, empfindet Malte Kreutzfeldt.
„Es gibt auch im Roman keine einzige Szene, in der Josef K. nicht dabei ist“, stellte Kreutzfeldt fest. „Was bedeutet das eigentlich dramaturgisch?“, so seine Überlegung. „Wir nehmen alle Figuren aus der Sichtweise von Josef K. wahr. Sein Gefühl, alleine zu sein und ausgegrenzt zu werden, obwohl es einige Figuren gibt, die ihm anbieten, in eine Beziehung zu gehen.“Kreutzfeldt hoffe, das seine Inszenierung das Gefühl vermittelt: „Du hast deine Chance vergeben, du hättest sie gehabt.“Es versäumt zu haben, echte, tragende Beziehungen einzugehen, ist folglich K.s Schuld.
Den im Stück 30-jährigen Josef K. spielt Frank Röder, der in der zweiten Hälfte seines fünften Lebensjahrzehnts ist. „Die zweite Lebenshälfte war meine Voraussetzung, weil 30 Jahre alt zu sein zu
Kafkas Lebzeiten etwas anderes bedeutet hat als heute.“
Die Zusammenarbeit mit dem Schauspieler schildert Malte Kreutzfeldt als ausgesprochen positiv: „Er lässt mir auch die Zeit, etwas nicht zu wissen.“Denn zur Entwicklung des Stückes, die über 200 Stunden ging, brauchte es viel Spielraum.
Röder wird es im Stück nicht einfach haben – er agiert auf einem Laufband, berichtet Malte Kreutzfeldt, und das vor einem Bühnenbild, das an Maurits Cornelis Eschers – in der Realität nicht mögliche – unendliche Treppen anspielen wird.
So ernst der Stoff ist, das Publikum
wird feinen Humor erleben, verspricht Malte Kreutzfeldt. Kafka selbst – dessen Todestag sich einen Monat nach der Premiere zum hundertsten Mal jährt – habe beim Vorlesen des Romanfragments vor seinen Freunden immer wieder lachen müssen. „Für mich persönlich war es ein Fest, diese Inszenierung zu machen“, gibt Malte Kreutzfeldt zu – und seine Augen leuchten, während er das erzählt.
Seine Hoffnung ist eine unmissverständliche: „Ich möchte die inneren Schutzhüllen der Menschen ein bisschen ankratzen, ein bisschen ausdünnen.“Und dem Zuschauer mit auf den Weg geben: „Lebe!“