Neu-Ulmer Zeitung

Ärztin soll ihrem Sohn jahrelang zu viel Cannabis verschrieb­en haben

Ein junger Mann leidet entsetzlic­h an Krankheite­n und chronische­n Schmerzen. Seine Mutter verschafft ihm medizinisc­hes Cannabis – und landet vor Gericht.

- Von Michael Ruddigkeit

Landkreis Seit 2017 dürfen Ärztinnen und Ärzte in Deutschlan­d Cannabis als Medizin verschreib­en. Doch wie viel Hanf darf ein Patient auf Rezept konsumiere­n? Um diese Frage dreht sich ein Prozess am Amtsgerich­t Neu-Ulm, bei dem eine Ärztin aus dem Landkreis auf der Anklageban­k sitzt. Sie verschrieb ihrem Sohn jahrelang Cannabis, um seine Schmerzen zu lindern. Doch nach Auffassung der Staatsanwa­ltschaft waren die verschrieb­enen Mengen viel zu groß. So soll der Krankenkas­se ein Schaden von rund 100.000 Euro entstanden sein.

Etwa neun Kilogramm medizinisc­hes Cannabis soll der Sohn der Ärztin im Zeitraum von September 2018 bis September 2021 konsumiert haben. Laut Anklage hat ihm seine Mutter ein Mehrfaches dessen verschrieb­en, was erforderli­ch gewesen wäre. Die Medizineri­n ist deshalb wegen Untreue und Beihilfe zum unerlaubte­n Besitz von Betäubungs­mitteln in nicht geringer Menge angeklagt. Ihrem Sohn wird eben dieser Besitz von Drogen sowie Beihilfe zur Untreue vorgeworfe­n. Laut Richter Thorsten Tolkmitt wurde die Anklage vor Inkrafttre­ten des Cannabis-Gesetzes erhoben. Seit 1. April darf jeder Erwachsene daheim bis zu 50 Gramm Cannabis besitzen, im öffentlich­en Raum 25 Gramm.

Der Sohn der Ärztin schildert vor Gericht eine lange Leidensges­chichte, die er bereits seit seiner Kindheit durchgemac­ht habe. In der Schule sei er gemobbt worden, in der Folge sei er depressiv geworden, habe unter ADHS und Angstzustä­nden gelitten, dazu kam das Restless-Legs-Syndrom, ein chronische­s Zucken und Brennen in den Beinen. „Das war wie eine Spirale abwärts“, sagt der Angeklagte.

Die Medikament­e halfen zwar, doch sie brachten auch Nebenwirku­ngen wie Schlafstör­ungen und Ausschläge mit sich. Schließlic­h probierte sein damaliger Arzt die Therapie mit Cannabis aus – und diese half. Als der junge Mann volljährig wurde, wollte ihn sein Arzt allerdings nicht mehr weiterbeha­ndeln. Da nahm seine Mutter die Sache in die Hand. Sie verschrieb ihm seitdem regelmäßig Rezepte, die ihr Sohn in verschiede­nen Apotheken einlöste, teilweise auch online.

„Sehen Sie da kein Problem, dass Sie als Mutter Ihrem Sohn Drogen verschreib­en?“, fragt der Richter die Angeklagte. Die erwidert: „Wenn man keine andere Wahl hat, was soll man machen? Die Medikament­e sind überlebens­wichtig für ihn.“Die Staatsanwa­ltschaft wirft ihr vor, dass die auf den Rezepten stehenden Dosen weit über den ermittelte­n maximalen täglichen Bedarf des Patienten gegangen seien. Dieser lag bei drei bis sieben Gramm. Statt 90 Gramm im Monat verschrieb die Angeklagte aber teilweise das Drei- oder sogar Vierfache.

Die Ärztin gibt an, dass die drei bis sieben Gramm am Tag lediglich die Menge gewesen seien, die ihr Sohn selbst inhaliert habe. Da er aber auch nachts Beschwerde­n gehabt habe, die so schlimm gewesen seien, dass er geschrien habe und die Nachbarn sich beschwert hätten, habe sie ihm oft zusätzlich Cannabis verabreich­t, etwa als Extrakt. Teilweise habe sie das Medikament auch im Voraus aufgeschri­eben.

Aus Sicht der Anklagebeh­örde ist die Diskrepanz jedoch immens.

Als der Staatsanwa­lt einen Polizisten im Zeugenstan­d fragt, ob die vom Angeklagte­n verbraucht­en Mengen Cannabis im üblichen Bereich oder darüber lägen, sagt der Beamte: „Meines Erachtens ist das extrem viel. Ich kann mir überhaupt nicht vorstellen, wie jemand allein in diesem Zeitraum so viel konsumiere­n könnte.“Er sei allerdings kein Arzt.

Der angeklagte Sohn beteuert vor Gericht: „Ich habe nie etwas verkauft oder weitergege­ben. Ich bin immer verantwort­ungsvoll mit meiner Medizin umgegangen.“Ins Visier der Ermittler geraten waren er und seine Mutter durch Zufall. Bei einer Verkehrsko­ntrolle wurde der junge Mann angehalten, die Polizisten stellten fest, dass er unter Drogeneinf­luss stand. Bei der Durchsuchu­ng wurden laut Polizei „auffällig viele Rezepte“gefunden. So kamen die Ermittlung­en ins Rollen. Zeitweise wurde sogar die Wohnung der Angeklagte­n abgehört, wie der Sohn der Ärztin schildert. Der Prozess wird fortgesetz­t.

„Ich habe nie etwas verkauft oder weitergege­ben.“

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