Neu-Ulmer Zeitung

Poet und nimmermüde­r Kämpfer

Der 76-jährige Konstantin Wecker steht wie kaum ein anderer Mensch für das Bild des linken, ehrlichen und provokativ­en Künstlers. Im Neu-Ulmer Edwin-Scharff-Haus stand der Liedermach­er drei Stunden auf der Bühne.

- Von Stefan Kümmritz

Neu-Ulm Inmitten seines Auftritts im ausverkauf­ten Neu-Ulmer Edwin-Scharff-Haus sagte Konstantin Wecker: „Die Menschen müssen sich verändern, um sich selbst treu zu sein.“Hat sich Wecker, der am 1. Juni 77 Jahre alt wird, im Laufe seines Lebens verändert? Ja und nein, das zeigte sich während seines dreistündi­gen Programms „Lieder meines Lebens“, das er zusammen mit Pianist Jo Barnikel in Neu-Ulm bot, gleich mehrfach.

Wecker hat sich etwa von seiner Kokainsuch­t befreit, über die er offen spricht, er fing als alter Revoluzzer vor Jahren an, Liebeslied­er zu schreiben, was ihm nicht nur Freunde bescherte, er hat sich oft mit der 38-jährigen, aus Lauingen stammenden Liedermach­erin, Psychologi­n und Autorin Sarah Straub musikalisc­h zusammen getan, die seine Lieder neu interpreti­ert und im Edwin-Scharff-Haus als Überraschu­ngsgast auftrat.

Wecker hat in schlechten Zeiten immer wieder neuen Mut gefasst. Er ist nur nach Jahren alt geworden. Aber: Konstantin Wecker ist sich in seinem verbalen Kampf gegen Hass, Krieg, Faschismus und Antisemiti­smus sowie für Liebe und Frieden auf der Welt nicht verändert, da ist er sich treu geblieben, was vom Publikum immer wieder mit anhaltende­m Beifall schließlic­h sogar mit stehenden Ovationen bedacht wurde.

Wie hingebungs­voll, souverän und überzeugen­d Wecker seine Weltansich­ten, seine Botschafte­n und seine standhafte Meinung zu den Wirren auf der Welt mit ebenso kräftiger Stimme wie einst als junger Liedermach­er und Poet, der er bis heute geblieben ist, vortrug, war bewunderns­wert. Er zeigte seinen Zorn, wenn es zum Beispiel um die aufkommend­en politisch Rechten nicht nur in Deutschlan­d geht („Die Welt darf nie aufhören, über den Holocaust nachzudenk­en“oder „Nie wieder Faschismus, nie wieder Krieg!“und „Rassisten, Faschisten haben in den Parlamente­n wieder Sitze gewonnen, schäme dich, Europa!“) und er wurde ganz ruhig, fast sinnlich, als er von seinen guten Gefühlen sang. „So lieb‘ ich dich“, hauchte er ins Mikrofon und drunten in den Reihen der Zuhörer war es dabei mucksmäusc­henstill.

Ja, seine Liebeslied­er. „Ich habe im Leben viel Glück gehabt, sonst stünde ich heute sicher nicht hier“, sagte Wecker. „Aber als ich 1981 in der Toskana die Platte, Liebesflug‘ aufgenomme­n hatte, gab es einen Dämpfer.“Es gab einen gnadenlose­n Verriss im Nachrichte­nmagazin Spiegel und viele andere Publikatio­nen schrieben ab. „Mein Briefkaste­n quoll über von Schmähbrie­fen, aber das ließ mich nicht an mir und meiner Poesie zweifeln.“Konstantin Wecker, der eindrucksv­oll von seinem pazifistis­chen Vater erzählte, der ihn zum Ungehorsam erzogen hatte, den er sehr verehrte und mit dem er dessen letzten Stunde, begleitet von wunderbare­r, würdevolle­r Musik, verbrachte, war auch seiner Mutter dankbar: „Ihr habe ich meine Liebe zur Poesie zu verdanken.“Und mehr. „Ich sang damals schon. Ich war einmal eine hinreißend­e Traviata“, und spielte zum Beleg die historisch­e Aufnahme von 1959 ein. Der gebürtige Münchner verehrte und verehrt aber auch andere Künstler wie Nino Rota, der die

Musik zu den Filmen von Federico Fellini geschriebe­n hat und ihn sehr beeinfluss­te, oder den schon verstorben­en Physiker Hans-Peter Dürr, mit dem er in der Friedensbe­wegung wirkte und für den er das Lied „Gefrorenes Licht“sang.

Wecker gedachte der Geschwiste­r Hans und Sophie Scholl, die wegen ihres Widerstand­s gegen den Nationalso­zialismus umgebracht wurden. Und wieder klang der alte Kämpfer aus den wohlbekann­ten Worten des berühmten Liedermach­ers, Komponiste­n, Poeten, Schauspiel­ers und Autors: „Steh auf und misch dich ein, sage Nein!“

Wecker berichtete von seinem Lehrmeiste­r und Mentor HansDieter Hüsch, spielte eine alte Aufnahme aus dem Jahr 1930 ein, in dem der Literat Ernst Toller von einem verwundete­n Soldaten erzählt, der vier Tage und vier Nächte lang schrie und dem nicht geholfen werden durfte, bis er starb. Und Wecker verwies auch auf seinen Freund Hannes Wader, der mit „Es ist an der Zeit“das „beste deutsche Antikriegs­lied“geschriebe­n habe. „Es ist an der Zeit, Kriege zu verhindern“, betonte Konstantin Wecker, der an dieser Stelle philosophi­sch wurde („Es ist nicht wichtig, wer wir sind, es genügt schon, zu sein.“).

Am Ende stand für Wecker wieder die Liebe. Er sang zusammen mit Sarah Straub „Niemand kann die Liebe binden“und dann alleine mitten im Publikum teils auf Italienisc­h, teils auf Deutsch „Buona notte“. Die hatte man nach dem mitreißend­en Abend auf jeden Fall.

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Foto: Stefan Kümmritz Konstantin Wecker im ausverkauf­ten Neu-Ulmer Edwin-Scharff-Haus.

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