Poet und nimmermüder Kämpfer
Der 76-jährige Konstantin Wecker steht wie kaum ein anderer Mensch für das Bild des linken, ehrlichen und provokativen Künstlers. Im Neu-Ulmer Edwin-Scharff-Haus stand der Liedermacher drei Stunden auf der Bühne.
Neu-Ulm Inmitten seines Auftritts im ausverkauften Neu-Ulmer Edwin-Scharff-Haus sagte Konstantin Wecker: „Die Menschen müssen sich verändern, um sich selbst treu zu sein.“Hat sich Wecker, der am 1. Juni 77 Jahre alt wird, im Laufe seines Lebens verändert? Ja und nein, das zeigte sich während seines dreistündigen Programms „Lieder meines Lebens“, das er zusammen mit Pianist Jo Barnikel in Neu-Ulm bot, gleich mehrfach.
Wecker hat sich etwa von seiner Kokainsucht befreit, über die er offen spricht, er fing als alter Revoluzzer vor Jahren an, Liebeslieder zu schreiben, was ihm nicht nur Freunde bescherte, er hat sich oft mit der 38-jährigen, aus Lauingen stammenden Liedermacherin, Psychologin und Autorin Sarah Straub musikalisch zusammen getan, die seine Lieder neu interpretiert und im Edwin-Scharff-Haus als Überraschungsgast auftrat.
Wecker hat in schlechten Zeiten immer wieder neuen Mut gefasst. Er ist nur nach Jahren alt geworden. Aber: Konstantin Wecker ist sich in seinem verbalen Kampf gegen Hass, Krieg, Faschismus und Antisemitismus sowie für Liebe und Frieden auf der Welt nicht verändert, da ist er sich treu geblieben, was vom Publikum immer wieder mit anhaltendem Beifall schließlich sogar mit stehenden Ovationen bedacht wurde.
Wie hingebungsvoll, souverän und überzeugend Wecker seine Weltansichten, seine Botschaften und seine standhafte Meinung zu den Wirren auf der Welt mit ebenso kräftiger Stimme wie einst als junger Liedermacher und Poet, der er bis heute geblieben ist, vortrug, war bewundernswert. Er zeigte seinen Zorn, wenn es zum Beispiel um die aufkommenden politisch Rechten nicht nur in Deutschland geht („Die Welt darf nie aufhören, über den Holocaust nachzudenken“oder „Nie wieder Faschismus, nie wieder Krieg!“und „Rassisten, Faschisten haben in den Parlamenten wieder Sitze gewonnen, schäme dich, Europa!“) und er wurde ganz ruhig, fast sinnlich, als er von seinen guten Gefühlen sang. „So lieb‘ ich dich“, hauchte er ins Mikrofon und drunten in den Reihen der Zuhörer war es dabei mucksmäuschenstill.
Ja, seine Liebeslieder. „Ich habe im Leben viel Glück gehabt, sonst stünde ich heute sicher nicht hier“, sagte Wecker. „Aber als ich 1981 in der Toskana die Platte, Liebesflug‘ aufgenommen hatte, gab es einen Dämpfer.“Es gab einen gnadenlosen Verriss im Nachrichtenmagazin Spiegel und viele andere Publikationen schrieben ab. „Mein Briefkasten quoll über von Schmähbriefen, aber das ließ mich nicht an mir und meiner Poesie zweifeln.“Konstantin Wecker, der eindrucksvoll von seinem pazifistischen Vater erzählte, der ihn zum Ungehorsam erzogen hatte, den er sehr verehrte und mit dem er dessen letzten Stunde, begleitet von wunderbarer, würdevoller Musik, verbrachte, war auch seiner Mutter dankbar: „Ihr habe ich meine Liebe zur Poesie zu verdanken.“Und mehr. „Ich sang damals schon. Ich war einmal eine hinreißende Traviata“, und spielte zum Beleg die historische Aufnahme von 1959 ein. Der gebürtige Münchner verehrte und verehrt aber auch andere Künstler wie Nino Rota, der die
Musik zu den Filmen von Federico Fellini geschrieben hat und ihn sehr beeinflusste, oder den schon verstorbenen Physiker Hans-Peter Dürr, mit dem er in der Friedensbewegung wirkte und für den er das Lied „Gefrorenes Licht“sang.
Wecker gedachte der Geschwister Hans und Sophie Scholl, die wegen ihres Widerstands gegen den Nationalsozialismus umgebracht wurden. Und wieder klang der alte Kämpfer aus den wohlbekannten Worten des berühmten Liedermachers, Komponisten, Poeten, Schauspielers und Autors: „Steh auf und misch dich ein, sage Nein!“
Wecker berichtete von seinem Lehrmeister und Mentor HansDieter Hüsch, spielte eine alte Aufnahme aus dem Jahr 1930 ein, in dem der Literat Ernst Toller von einem verwundeten Soldaten erzählt, der vier Tage und vier Nächte lang schrie und dem nicht geholfen werden durfte, bis er starb. Und Wecker verwies auch auf seinen Freund Hannes Wader, der mit „Es ist an der Zeit“das „beste deutsche Antikriegslied“geschrieben habe. „Es ist an der Zeit, Kriege zu verhindern“, betonte Konstantin Wecker, der an dieser Stelle philosophisch wurde („Es ist nicht wichtig, wer wir sind, es genügt schon, zu sein.“).
Am Ende stand für Wecker wieder die Liebe. Er sang zusammen mit Sarah Straub „Niemand kann die Liebe binden“und dann alleine mitten im Publikum teils auf Italienisch, teils auf Deutsch „Buona notte“. Die hatte man nach dem mitreißenden Abend auf jeden Fall.