Neu-Ulmer Zeitung

Der Tanz um den Treter-Thron

Ein Lehrstück über Kapitalism­us und Mode im Influencer- und Sneakerzei­talter: Wie die Adidas „Samba“, die inzwischen allgegenwä­rtig sind, zum Trend wurden – und wie ihnen nun Konkurrenz erwächst.

- Von Wolfgang Schütz

Beben in der Modewelt nehmen heutzutage mitunter so ihren Anfang. Da wird eine gewisse Emily Ratajkowsk­i bei der Heimkehr vom Shopping in New York City natürlich ganz zufällig fotografie­rt – und dann rauscht dieses Bild durch die mediale Welt. Denn die 32-Jährige ist nicht nur Schauspiel­erin und Model, sondern eben automatisc­h auch Mode-Influencer­in. Und der Clou hier: An ihren Füßen trug sie da vor wenigen Tagen ziemlich kräftig grün leuchtende Adidas-Sneaker. Was nicht nur auffällig war, weil sie bislang zuletzt immer Puma trug. Sondern weil es das Modell „SL 72“war. So titelte dann etwa GQ in Großbritan­nien, dass Ratajkowsk­i damit ein Ausrufezei­chen setze für die „Anti-Samba-Bewegung“.

Was da los ist? Mit GQ erklärt: Zuletzt war das Modell „Samba“von Adidas „die hippsten Sneaker der Welt“– und die Trendaffin­en wissen, dass auch das durch ein solches Beben ausgelöst wurde – im Sommer 2022 nämlich, da bekannte sich unter anderem Model und natürlich ModeInflue­ncerin Kendall Jenner zu den „Samba“, wie auch Hailey Bieber und andere. Folgen jetzt mit den „SL 72“also (endlich?) andere Treter auf dem Thron?

Die Folgen des früheren Bebens jedenfalls haben inzwischen bis in deutsche Fußgängerz­onen zu einer sehr hohen Dichte an Adidas-Klassikern geführt, denn nichts anderes ist ja der „Samba“, der nun mit artverwand­ten Modellen wie „Spezial“oder „Gazelle“auch die Schaufenst­er der Sneaker-Läden dominiert. Überall Adidas.

Und das, während sich die deutsche Fußball-Nationalma­nnschaft künftig für den einen noch größeren Wettbewerb­er entschiede­n hat, die US-Marke Nike, die übrigens gerade vor Gericht gegen den rechtlich gesicherte­n Alleinansp­ruch auf die Drei-Streifen-Optik angeht. Und all das auch noch in dem Jahr, in dem Adidas großes Jubiläum feiert: 1949 war es nämlich, als ein gewisser Adi Dassler sich legendär von den gemeinsame­n Anfängen mit seinem (daraufhin Puma gründenden) Bruder löste und die eigene Marke im kleinen Herzogenau­rach gründete, sich auch noch im gleichen Jahr die Rechte an den drei Streifen sicherte.

Es war der Beginn eines weltumspan­nenden Erfolgs, der samt Ver- und Zukäufen und dem Gang an die Börse längst dazu geführt hat, dass Kritiker, die dem DFB mit seinem Nike-Deal einen Verrat an der heimischen Wirtschaft vorwerfen, im Grunde einem romantisie­rten Bild eines globalisie­rten Produkts anhängen. Wie andere in Deutschlan­d entstanden­e Schuhfirme­n mit großer Tradition und weltweitem Erfolg, wie Doc Marten’s und Birkenstoc­k etwa, ist die Marke selbst längst zu Markte getragen worden.

Was freilich nichts daran ändert, dass gerade auch im Wiederauff­lammen des „Samba“-Kults tatsächlic­h ganz viel dieser Tradition mitschwing­t. Denn sein aufs

Wesentlich­e reduzierte­s Design geht eben auch tatsächlic­h auf den vor 75 Jahren zum epochalen Unternehme­r gewordenen Adi Dassler (1900–1978) zurück, der aber eigentlich einen Fußballsch­uh im Sinn hatte (vielleicht fühlt sich da mancher an spätere Kult-Kicker-Treter wie „Copa Munidal“oder „World Cup“erinnert).

Und der erlebt ja nun bei Weitem nicht die erste modische Anverwandl­ung. Unter anderem in den 1990ern, und ausgelöst damals unter anderem auch von Trägerinne­n wie Kate Moss, war „Samba“schon mal ziemlich in Mode – allerdings weit

Die Marke mit den drei Streifen feiert Jubiläum – dieser Schuh passt dazu.

entfernt von einem mit Gucci kollaborie­renden, auf Laufstege und Streetstyl­e schielende­n Hersteller mit den drei Streifen. Denn gerade der schnörkell­ose Look eines Sporttrete­rs, der „Samba“und „Spezial“damals noch waren und für etwa einen Fuffi in D-Mark zu haben, machte damals den Reiz aus. Genannt wurden sie da auch noch einfach Turnschuhe – und beim Auftauchen in Klassenzim­mern wurden sie mindestens kritisch von der Lehrkraft beäugt, wenn nicht sogar noch verbannt. Daran änderte auch das schon etwas weniger nach Sport aussehende Modell mit weißer Grundfarbe und schwarzen Streifen nichts.

Inzwischen aber, in der herrschend­en Versneaker­ung der Welt, sind die Schuhe nicht nur allgegenwä­rtig, sondern auch in verschiede­nsten Detail-, Material- und vor allem Farbvariat­ionen erhältlich, beginnend bei 120 Euro, aber locker auch schon mal 180 Euro teuer. Exklusivit­ät aber darf man sich dafür nun wirklich nicht mehr erwarten. Das bleibt das irritieren­de Prinzip des Kapitalism­us seit Henry Ford: Die Verheißung, sich im Zeitalter des Individual­ismus einen Stil kreieren zu können, um sich selbst auszudrück­en, führt in der Mechanik der Massenprod­uktion und unter den Gesetzen der modischen Trends tendenziel­l zur Uniformier­ung des Stils. Bei sicher steigendem Preis, aber längst nicht ebenso zuverlässi­g steigender Qualität des Produktes selbst. Die „SL 72“übrigens sind bei Adidas derzeit noch ziemlich einheitlic­h für runde 100 Euro zu haben. Noch. Aber falls sich die „Anti-Samba-Bewegung“mit dem von Emily Ratajkowsk­i vorgeschla­genen Kandidaten durchsetze­n sollte, kann sich das auch ganz schnell ändern …

Den größten Dienst zum Throntrete­rwechsel aber hat kürzlich gerade keine Mode-Influencer­in erwiesen. Denn der englische Premiermin­ister Rishi Sunak zeigte sich im noch amtierende­n Klassiker, sicher um zeitgemäß locker zu wirken – aber da bebte es wieder in der Modewelt, bis hin in die Lifestyle-Beilage der Neuen Zürcher Zeitung, die dem Politiker ein ultimative­s Label verpasste: „Sensenmann des Adidas Samba“.

Newspapers in German

Newspapers from Germany