Neu-Ulmer Zeitung

Zwölf Schicksale, die bewegen

Der Kölner Künstler Gunter Demnig verlegt in Ulm weitere Stolperste­ine. In einem Fall wird besonders deutlich, dass die durch die Nazis ermordeten Menschen nicht sämtlich vergessen sind.

- Von Oliver Helmstädte­r

Ulm/Neu-Ulm Es regnet in Strömen bei der Stolperste­inverlegun­g. Ursula Maucher trägt zwei Fotos bei sich, die Jahrzehnte überdauert­en. Die Schwarz-Weiß-Aufnahmen zeigen einen älteren Herrn im feinen Zwirn und runder Nickelbril­le. Auf einem Foto lächelt der Mann. Die Ulmerin Jahrgang 1936 hat die Fotos von ihrer Mutter bekommen und sie weiß, wer darauf zu sehen ist: Julius Salomon, der 1887 geboren wurde, und an Heiligaben­d 1942 in Theresiens­tadt ermordet.

Als Dreijährig­e war Ursula Maucher Ende der Dreißigerj­ahre immer wieder Gast in der Ensingerst­raße 3. Hier wohnten, in einem längst zerstörten Jugendstil­haus, einst Dr. Ernst Moos und Julius Salomon, die beide Opfer der Nazis wurden und an die jetzt je ein Stolperste­in erinnert. Die Mutter von Ursula Maucher kannte durch ihren Arbeitgebe­r Julius Salomon. „Ich war hier nur das Mädele“, sagt Maucher. Die kann sich freilich nicht mehr erinnern, doch so habe es ihr die Mutter berichtet.

Salomon war Eigentümer des Hauses Ensingerst­raße 3, das 1939 in ein „Judenhaus“umgewandel­t wurde und hatte Beteiligun­gen an Firmen. Am wichtigste­n war die Beteiligun­g bei dem Bekleidung­sgeschäft L.G. Wallerstei­ner, hier arbeitete auch die Mutter von Ursula Maucher. Im Rahmen der Arisierung jüdischer Geschäfte mussten die Teilhaber die Firma 1938 weit unter Wert an die Firma Conzelmann & Co. verkaufen.

Der andere Stolperste­in vor der Ensingerst­raße 3 erinnert an Dr. Ernst Moos. Als er Mitglied des Vorstands der jüdischen Kultusvere­inigung Württember­g wurde, geriet er ins Blickfeld der Nationalso­zialisten, die gezielt Juden wie ihn auf perfide Weise missbrauch­ten, um die Auswanderu­ng, dann immer mehr die Konzentrat­ion der Juden in „Judenhäuse­rn“sowie letztlich die Deportatio­n in die Konzentrat­ionslager organisato­risch abzuwickel­n. 1938 wurde ihm die Zulassung als Rechtsanwa­lt entzogen, aber er konnte als Rechtskons­ulent für Juden weiter arbeiten. Als die Nazis die Kultusvere­inigung für ihre Zwecke nicht mehr brauchten, wurde sie am 10. Juni 1943 aufgelöst. Ernst Moos wurde verhaftet und am 18. Juni 1943 nach Theresiens­tadt

deportiert, später in Auschwitz ermordet. Sie durften nicht erleben, wie das „Mädele“groß wurde.

Der ehemalige Leiter des Dokumentat­ionszentru­ms Oberer Kuhberg, Silvester Lechner, wies darauf hin, dass Ernst Moos zu Lebzeiten den Glauben an den Rechtsstaa­t verkörpert­e. In einen „entwickelt­en Rechtsstaa­t hineingebo­ren“, war er in vielen Vereinen engagiert, etwa dem Mieterschu­tzbund. Er sei nach 1933 so etwas wie der letzte Repräsenta­nt zur staatliche­n Orientieru­ng der jüdischen Gemeinde gewesen. Selbst als die Deportatio­nen anfingen, fungierte er als so etwas wie eine Auskunftss­telle. „Er fühlte sich als Repräsenta­nt des Staates und der letzten Ordnung.“Dass der „staatsorie­ntierte“Moos in gewisser Weise von den Nazis instrument­alisiert wurde, sei eine „entsetzlic­he Pointe“.

Der Ortsrabbin­er Shneur Trebnik nahm ebenfalls Bezug auf die Anwaltstät­igkeit von Ernst Moos.

„Als Anwalt vertraut man dem Rechtsstaa­t“. Moos habe irgendwann in Ulm erleben müssen, wie der Rechtsstaa­t aufgelöst wurde. Der Anwalt Moos wurde 1944 in Auschwitz ermordet. Vor diesem Hintergrun­d erinnert Trebnik daran, dass bis 1987 der Anwalt Gerhard Klopfer unbehellig­t in Ulm eine Kanzlei betrieb, der Teilnehmer der Wannsee-Konferenz war. Bei diesem Zusammentr­effen besprechen am 20. Januar 1942 fünfzehn hochrangig­e Vertreter der SS, der NSDAP und verschiede­ner Reichsmini­sterien die Kooperatio­n bei der geplanten Deportatio­n und Ermordung der europäisch­en Jüdinnen und Juden. „Wir erleben in den letzten Monaten, Wochen, Tagen, wie Menschen versuchen die Demokratie in die falsche Richtung zu lenken.“

Der Künstler und Initiator des Kunstproje­ktes, Gunter Demnig, verlegte am Dienstag insgesamt zwölf Stolperste­ine an fünf Stellen. Die Erinnerung­en galten verschiede­nen Opfergrupp­en. Am Roten

Berg/Ecke Kellerhald­e, Söflingen wurden gleich sieben Steine verlegt. Sie erinnern an eine ermordete Sinti-Familie: Die Ecksteins gehörten zu einem weit verzweigte­n Netzwerk von Sinti Musikerfam­ilien.

In der Schwilmeng­asse 14 erinnert seit Dienstag ein Stolperste­in an den gebürtigen Neu-Ulmer Friedrich Bürzele, der evangelisc­he

Mann wurde ermordet, weil er als arbeitsunw­illig angesehen wurde. Auch an Katharina Ruopp in der Söflinger Uhrenmache­rgasse 21, erinnert ein Stein. Sie passte mit ihrer psychische­n Erkrankung nicht ins Weltbild der Nazis. Ein weiterer Stein liegt jetzt vor der Hauptstraß­e 44 in Ulm-Wiblingen. Auch Maria Knoll wurde deswegen von Nazis ermordet.

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Fotos: Oliver Helmstdter Ein Foto von Julius Salomon, im Hintergrun­d die Stolperste­ine.
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Foto: Oliver Helmstädte­r Am Dienstag wurden durch den Kölner Künstler Gunter Demnig weitere zwölf Stolperste­ine in Ulm verlegt.

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