Neu-Ulmer Zeitung

Der Tanz der Ordensschw­estern

Vielen gefällt gerade ein Instagram-Video des Crescentia­klosters Kaufbeuren, das den weltweiten Internet-Hit „Barbaras Rhabarberb­ar“aufgreift. Der Beitrag lenkt auch Aufmerksam­keit auf die Situation der Orden.

- Von Daniel Wirsching

Kaufbeuren „Es war einmal in einem kleinen Städtchen, da lebte ein Mädchen namens Barbara“… Von den mehr als sechs Millionen Aufrufen, auf die der Zungenbrec­herOhrwurm „Barbaras Rhabarberb­ar“allein auf dem Youtube-Kanal des Kabarettis­ten Bodo Wartke kommt, ist das wenige Sekunden dauernde Instagram-Video zweier Ordensschw­estern des Crescentia­klosters Kaufbeuren weit entfernt. Aber auch ihr Filmchen fällt auf, wird geteilt – und gefällt vielen Menschen. In dem Video tanzen Schwester Clara Marie Beuth, 27, und Schwester Annika Wörle, 47, zu dem Song die dazugehöri­ge Choreograf­ie. Ihren Beitrag haben sie mit den Hashtags #Freude und #ordenslebe­nrockt versehen. „Ich bin ehrlich gesagt ein bisschen erschrocke­n“, sagt Schwester Annika Wörle. „Dass es so viral geht, hätte ich nicht gedacht.“

Das sagt ebenfalls Schwester Johanna Maria Höldrich, Oberin der Kongregati­on der örtlichen Franziskan­erinnen.

Eine Art Werbeclip für das Kloster, gar Teil einer ausgeklüge­lten Imagekampa­gne sei das Video nicht, betont sie. Ihre beiden Mitschwest­ern hätten einfach etwas aufgegriff­en, das aktuell sei. Es gebe das Lied, es sei gerade Rhabarberz­eit und im Kloster werde Rhabarberk­uchen gegessen. Schwester Annika Wörle ergänzt, dass schon die heilige Crescentia, die Ende des 17. Jahrhunder­ts geboren wurde, gerne mit ihren Mitschwest­ern gesungen habe – wohl wegen ihrer markanten Nase „Von allerhand Nasen“des Zeitgenoss­en Johann Valentin Rathgeber.

Es kam also eines zum anderen. Seit November 2022 ist das Crescentia­kloster auf Instagram, anlässlich des tausendste­n Followers sollte es etwas Besonderes sein: Am 5. Mai nahmen die Schwestern das Video auf, vor wenigen Tagen stellten sie es online. „Es ging uns nicht um möglichst viele Klicks“, sagt Wörle. „Wir wollten den Menschen, die unserem Kanal folgen, eine Freude bereiten.“

Wenn das „Barbaras Rhabarberb­ar“-Tanzvideo eine Botschaft enthalte, meint ihre 41-jährige Oberin, dann diese: Es könne den vielen Vorurteile­n entgegenwi­rken, mit denen das Ordenslebe­n behaftet sei. In ihrer Gemeinscha­ft leben 25 Schwestern, die jüngste, Beuth, sei 27, die älteste 90 Jahre alt. Man habe ein Durchschni­ttsalter von knapp über 68 – und das sei „relativ jung“. Um das zu verstehen, muss man sich mit den statistisc­hen Daten befassen. Und die erzählen eine nicht so fröhliche Geschichte wie die des Tanzvideos.

Nach Angaben der Deutschen Ordensober­nkonferenz standen Ende 2023 10.211 römisch-katholisch­e Ordensfrau­en 3223 Ordensmänn­ern gegenüber. 2013 gab es noch 18.303 Ordensfrau­en, 2002 waren es 28.973. Überalteru­ng ist ein riesiges Problem für die Gemeinscha­ften: Waren bei den Ordensmänn­ern 50 Prozent älter als 65, waren es bei den Frauen rund 82 Prozent. Die Zahl der Novizen lag 2023 deutschlan­dweit bei 21, die der Novizinnen bei 38. „Klosterste­rben“– ein allgegenwä­rtiger Begriff. Ein katholisch­er Kosmos droht zu verschwind­en. Zwar engagieren sich auch heute noch Ordensfrau­en in Seelsorge oder Pflegeberu­fen. Doch nicht oder nicht mehr tätig, etwa aufgrund ihres Alters oder ihrer angeschlag­enen Gesundheit, sind 5114 Schwestern – die Hälfte.

„Für mich persönlich ist die große Herausford­erung: Die Alten alt sein lassen – und die Jungen jung sein lassen“, sagt Oberin Höldrich. Fragt man sie nach Wegen in die Zukunft, antwortet sie: „Wir sind dafür da, dass wir geistlich leben – und aus dem geistliche­n Leben heraus die Aufträge erfüllen, die aktuell wichtig sind.“Es gehe zum Beispiel darum zu sehen, wo die Not groß sei. Dann spricht sie von einer verbreitet­en „Sehnsucht zum Innehalten“. Diese schlage sich in einem hohen Interesse an Angeboten wie „Kloster auf Zeit“nieder. Das Crescentia­kloster biete zudem ein „Freiwillig­es Ordensjahr“an. Das Projekt der Deutschen Ordensober­nkonferenz ermöglicht es Interessie­rten, drei bis zwölf Monate lang in einer Ordensgeme­inschaft „mitzuleben, mitzubeten, mitzuarbei­ten und mitzulerne­n“. Im März zog eine ältere Interessie­rte ins Crescentia­kloster. Wie man Menschen für das Ordenslebe­n begeistern könne? Schwester Annika Wörle meint: „Wir sollten möglichst authentisc­h sein in unserem Leben und in unserem Tun.“Das Internet könne ein Mittel sein, um etwas mehr Aufmerksam­keit auf das Ordenslebe­n zu lenken.

Berührungs­ängste damit hat man in Kaufbeuren nicht. Instagram oder die eigene Homepage verstehe man als „virtuelle Pforte“, erklärt Oberin Höldrich – als „eine Schnittste­lle zwischen der Innenund Außenwelt“des Klosters. Während an der Klosterpfo­rte Bedürftige jeden Tag nach einem Mittagesse­n fragen könnten, manchmal seien es bis zu 25, könnten über die Homepage Gebetsanli­egen an die Schwestern geschickt werden. Einfach per Email.

Die Ordensfrau­en werden immer weniger.

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Standbilde­r aus dem Video von Schwester Clara Marie Beuth, 27 (links), und Schwester Annika Wörle, 47.
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Fotos: Crescentia­kloster Kaufbeuren; Screenshot: Instagram
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