Papierberge statt Digitalisierung: Das ist Deutschlands langsamstes Gesetz
Das Onlinezugangsgesetz sollte für die Bürger alles vereinfachen und ihnen Wege ersparen. Mittlerweile ist jedoch der Versuch, Verwaltungsleistungen zu digitalisieren, zu einer politischen Posse mutiert.
BERLIN – Auf der Homepage des Bundesinnenministeriums klingt es so steril, als würde der Zahnarzt über eine Wurzelspitzenresektion referieren. „Das Onlinezugangsgesetz (OZG) ist die rechtliche Grundlage für das bis dato größte Modernisierungsprojekt der öffentlichen Verwaltung seit Bestehen der Bundesrepublik. Im OZG werden die Digitalisierung von Verwaltungsleistungen sowie deren Bereitstellung über Verwaltungsportale geregelt.“Hinter diesen nüchternen Sätzen verbirgt sich jedoch zweifellos eines der größten Versäumnisse – böse Zungen sprechen sogar vom Versagen
– der Verantwortlichen in Bund und Ländern.
Das Onlinezugangsgesetz wurde im August 2017 von der damaligen Bundesregierung unter Führung von ExKanzlerin Angela Merkel auf den Weg gebracht und sollte dafür sorgen, dass bis Ende 2022 Bürger alle Verwaltungsleistungen, wie etwa Elternund Wohngeld, Geburtsurkunden oder den Führerschein, f lächendeckend digital beantragen können. Mittlerweile sind sieben Jahre ins Land gegangen, passiert ist bislang jedoch wenig bis nichts. Ende 2022 waren lediglich 33 von 575 Verwaltungsleistungen f lächendeckend online verfügbar: Dies entspricht einer Quote von nicht einmal sechs Prozent. Die Bundesregierung in Erklärungsnot? Mitnichten. Die Ampelkoalition versucht es jetzt mit einer Zweitverwertung und bringt das Onlinezugangsgesetz 2.0 auf den Markt. Ende Februar verabschiedete der Bundestag das
Nachfolgegesetz – sieben Jahre nach der erfolglosen Erstauf lage. Die Bundesregierung gibt sich weitere fünf Jahre, um das OZG umzusetzen. 2029, also zwölf Jahre nach der ersten Verabschiedung, soll es nun alle Verwaltungsleistungen digital geben.
Bereits wenige Wochen später ist der Zeitplan erneut in Gefahr: Die CDU/CSU-Opposition hat das OZG 2.0 Ende März im Bundesrat durchrasseln lassen. Reinhard Brandl, digitalpolitischer Sprecher der Union, begründet gegenüber dem Nordkurier die Ablehnung in der Länderkammer: „Das vorliegende OZG 2.0 der Ampel berücksichtigt die Länder und Kommunen überhaupt nicht. TopdownVerfahren und ein direktes Durchregieren bis zu den Kommunen an den jeweiligen Bundesländern vorbei wird niemals zum Erfolg führen. Deshalb gibt es erheblichen Nachbesserungsbedarf an dem handwerklich schlecht gemachten Ampelgesetz.“
Bereits im Februar hatte CSU-Mann Brandl vor dem Bundestag das Scheitern des aufgewärmten Onlinezugangsgesetzes prophezeit. In dem Gesetz sei von einem einmaligen Aufwand von 575 Millionen Euro zur Umsetzung die Rede, laut Bundesfinanzministerium stehen für das OZG in 2024 in allen Ressorts 18 Millionen Euro zur Verfügung. „Das heißt, wenn Sie in Ihrem Ampeltempo weitermachen, brauchen Sie 32 Jahre lang, um dieses Onlinezugangsgesetz umzusetzen“, so Brandl. „575 zu 18: Das bei der Ampel das Verhältnis von Anspruch und Wirklichkeit bei der Digitalisierung.“
Die gescholtene Regierung will sich aber noch nicht geschlagen geben. Die für das OZG federführende Bundesinnenminister Nancy Faeser (SPD) will jetzt mit Unterstützung des Kabinetts den Vermittlungsausschuss der Länderkammer einberufen, um das Gesetz doch noch durch den Bundesrat zu bringen.