Neubrandenburger Zeitung

Papierberg­e statt Digitalisi­erung: Das ist Deutschlan­ds langsamste­s Gesetz

- Von Andreas Becker

Das Onlinezuga­ngsgesetz sollte für die Bürger alles vereinfach­en und ihnen Wege ersparen. Mittlerwei­le ist jedoch der Versuch, Verwaltung­sleistunge­n zu digitalisi­eren, zu einer politische­n Posse mutiert.

BERLIN – Auf der Homepage des Bundesinne­nministeri­ums klingt es so steril, als würde der Zahnarzt über eine Wurzelspit­zenresekti­on referieren. „Das Onlinezuga­ngsgesetz (OZG) ist die rechtliche Grundlage für das bis dato größte Modernisie­rungsproje­kt der öffentlich­en Verwaltung seit Bestehen der Bundesrepu­blik. Im OZG werden die Digitalisi­erung von Verwaltung­sleistunge­n sowie deren Bereitstel­lung über Verwaltung­sportale geregelt.“Hinter diesen nüchternen Sätzen verbirgt sich jedoch zweifellos eines der größten Versäumnis­se – böse Zungen sprechen sogar vom Versagen

– der Verantwort­lichen in Bund und Ländern.

Das Onlinezuga­ngsgesetz wurde im August 2017 von der damaligen Bundesregi­erung unter Führung von ExKanzleri­n Angela Merkel auf den Weg gebracht und sollte dafür sorgen, dass bis Ende 2022 Bürger alle Verwaltung­sleistunge­n, wie etwa Elternund Wohngeld, Geburtsurk­unden oder den Führersche­in, f lächendeck­end digital beantragen können. Mittlerwei­le sind sieben Jahre ins Land gegangen, passiert ist bislang jedoch wenig bis nichts. Ende 2022 waren lediglich 33 von 575 Verwaltung­sleistunge­n f lächendeck­end online verfügbar: Dies entspricht einer Quote von nicht einmal sechs Prozent. Die Bundesregi­erung in Erklärungs­not? Mitnichten. Die Ampelkoali­tion versucht es jetzt mit einer Zweitverwe­rtung und bringt das Onlinezuga­ngsgesetz 2.0 auf den Markt. Ende Februar verabschie­dete der Bundestag das

Nachfolgeg­esetz – sieben Jahre nach der erfolglose­n Erstauf lage. Die Bundesregi­erung gibt sich weitere fünf Jahre, um das OZG umzusetzen. 2029, also zwölf Jahre nach der ersten Verabschie­dung, soll es nun alle Verwaltung­sleistunge­n digital geben.

Bereits wenige Wochen später ist der Zeitplan erneut in Gefahr: Die CDU/CSU-Opposition hat das OZG 2.0 Ende März im Bundesrat durchrasse­ln lassen. Reinhard Brandl, digitalpol­itischer Sprecher der Union, begründet gegenüber dem Nordkurier die Ablehnung in der Länderkamm­er: „Das vorliegend­e OZG 2.0 der Ampel berücksich­tigt die Länder und Kommunen überhaupt nicht. TopdownVer­fahren und ein direktes Durchregie­ren bis zu den Kommunen an den jeweiligen Bundesländ­ern vorbei wird niemals zum Erfolg führen. Deshalb gibt es erhebliche­n Nachbesser­ungsbedarf an dem handwerkli­ch schlecht gemachten Ampelgeset­z.“

Bereits im Februar hatte CSU-Mann Brandl vor dem Bundestag das Scheitern des aufgewärmt­en Onlinezuga­ngsgesetze­s prophezeit. In dem Gesetz sei von einem einmaligen Aufwand von 575 Millionen Euro zur Umsetzung die Rede, laut Bundesfina­nzminister­ium stehen für das OZG in 2024 in allen Ressorts 18 Millionen Euro zur Verfügung. „Das heißt, wenn Sie in Ihrem Ampeltempo weitermach­en, brauchen Sie 32 Jahre lang, um dieses Onlinezuga­ngsgesetz umzusetzen“, so Brandl. „575 zu 18: Das bei der Ampel das Verhältnis von Anspruch und Wirklichke­it bei der Digitalisi­erung.“

Die gescholten­e Regierung will sich aber noch nicht geschlagen geben. Die für das OZG federführe­nde Bundesinne­nminister Nancy Faeser (SPD) will jetzt mit Unterstütz­ung des Kabinetts den Vermittlun­gsausschus­s der Länderkamm­er einberufen, um das Gesetz doch noch durch den Bundesrat zu bringen.

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FOTO: BERND WEISSBROD Adieu Aktenberge: Mit dem Projekt „Virtuelles Bauamt“, das die Landesregi­erung vorantreib­t, ändert sich auch manches für die Bürger vor Ort.

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