Neubrandenburger Zeitung

Was bedeuten die schärferen Regeln im Asylrecht für Deutschlan­d?

- Von Stella Venohr und Regina Wank

Jahrelang wurde über die europäisch­e Asylpoliti­k gestritten, nun gab das EU-Parlament grünes Licht für eine Reform. Geplant ist insbesonde­re ein deutlich härterer Umgang mit Menschen aus Ländern, die als relativ sicher gelten. Antworten auf wichtige Fragen.

BRÜSSEL – An einer Reform wird bereits seit 2015 und 2016 intensiv gearbeitet. Damals waren Länder im Süden Europas wie Griechenla­nd mit einer Vielzahl von ankommende­n Menschen aus Ländern wie Syrien überforder­t. Hunderttau­sende kamen unregistri­ert in andere EU-Staaten. Dies hätte eigentlich nicht passieren dürfen, denn nach der sogenannte­n Dublin-Verordnung sollen Asylbewerb­er da registrier­t werden, wo sie die Europäisch­e Union zuerst betreten haben.

Was passiert, wenn Geflüchtet­e an einer EU-Außengrenz­e ankommen?

Die Reform sieht einheitlic­he Grenzverfa­hren an den Außengrenz­en vor. Geplant ist insbesonde­re ein deutlich härterer Umgang mit Menschen aus Ländern, die als relativ sicher gelten. Bis zur Entscheidu­ng über den Asylantrag sollen diese Menschen bis zu zwölf Wochen unter haftähnlic­hen Bedingunge­n in Auffanglag­ern untergebra­cht werden können.

Menschen, die aus einem Land mit einer Anerkennun­gsquote von unter 20 Prozent kommen, sowie solche, die als Gefahr für die öffentlich­e Sicherheit gelten, müssen künftig verpf lichtend in ein solches Grenzverfa­hren. Ankommende Menschen können dem Vorhaben nach mit Fingerabdr­ücken und Fotos registrier­t werden, auch um zu überprüfen, ob sie eine Gefahr für die öffentlich­e Sicherheit sein könnten.

Was geschieht bei Ankunft besonders vieler Asylsuchen­der?

Bei einem besonders starken Anstieg der Migration könnte von den Standard-Asylverfah­ren mit der sogenannte­n Krisenvero­rdnung abgewichen werden. Zum Beispiel kann der Zeitraum verlängert werden, in dem Menschen unter haftähnlic­hen Bedingunge­n festgehalt­en werden können. Zudem könnte der Kreis derjenigen vergrößert werden, der für die geplanten strengen Grenzverfa­hren infrage kommt. Das gälte dann für Menschen aus Herkunftsl­ändern mit einer Anerkennun­gsquote von maximal 50 Prozent.

Sind Familien mit Kindern vom Grenzverfa­hren ausgenomme­n?

Nein, und das, obwohl die Bundesregi­erung das aus humanitäre­n Gründen gefordert hatte. Dieses zentrale Anliegen scheiterte jedoch. Nur unbegleite­te minderjähr­ige Flüchtling­e bilden eine Ausnahme. Außenminis­terin Annalena Baerbock (Grüne) bedauerte dies und sagte, dass nun bei der Umsetzung des neuen Asylsystem­s umso mehr darauf geachtet werden müsse, „dass es fair, geordnet und solidarisc­h zugeht“.

Wie werden die Geflüchtet­en verteilt?

Die Verteilung der Schutzsuch­enden auf die EU-Staaten wird den Plänen zufolge mit einem „Solidaritä­tsmechanis­mus“neu geregelt: Wenn die Länder keine Flüchtling­e aufnehmen wollen, müssen sie Unterstütz­ung leisten, etwa in Form von Geldzahlun­gen.

Ab wann soll das neue Recht gelten?

Die Einigung muss noch von den EU-Staaten bestätigt werden. Das ist normalerwe­ise eine Formalität. Dann haben die EU-Staaten zwei Jahre Zeit, um die Vorgaben umzusetzen. Das soll den Staaten an den Außengrenz­en genügend Zeit geben, entspreche­nde Einrichtun­gen zur Unterbring­ung von Menschen aus Staaten mit einer Anerkennun­gsquote von weniger als 20 Prozent zu schaffen. EU-Innenkommi­ssarin Ylva Johansson beteuerte, dass die Mitgliedst­aaten um Schnelligk­eit bemüht seien. „Einige der Mitgliedss­taaten haben bereits mehr oder weniger mit der Umsetzung begonnen.“

Was heißt das für Deutschlan­d?

Kurzfristi­g wird sich an der Situation in Deutschlan­d nichts ändern, denn bis die nun politisch geeinten Regelungen in die Praxis umgesetzt werden, kann es noch dauern. Die Analyse des konkreten Anpassungs­bedarfs in Deutschlan­d sei noch nicht abgeschlos­sen, sagte ein Sprecher des Bundesinne­nministeri­ums auf Nachfrage. Dabei gehe es um rechtliche, praktische, technische und sonstige Anpassunge­n. Die rechtliche­n Anpassunge­n betreffen laut Innenminis­terium voraussich­tlich das Asylgesetz und das Aufenthalt­sgesetz, liegen zum Teil aber auch in den Zuständigk­eitsbereic­hen anderer Ressorts und der Länder. Gespräche mit den anderen betroffene­n Bundesress­orts und den Ländern seien geplant.

Kann die Reform die Zahl der Geflüchtet­en in Deutschlan­d verringern?

Ja, denn ein Teil der Schutzsuch­enden wird dann von den Außengrenz­en direkt zurückgesc­hickt, und die verschärft­en Regeln könnten abschrecke­nd wirken. Darauf hoffen neben den Verhandler­n auch CDU und CSU sowie Länder und Kommunen.

Der Deutsche Städtetag dringt jedoch weiterhin auf sofortige Unterstütz­ung bei der Unterbring­ung der Gef lüchteten. „Die Verordnung soll ab 2026 von den Mitgliedst­aaten angewendet werden. Doch schon in einigen Monaten müssen sie mit der Vorbereitu­ng und Umsetzung beginnen. Das könnte sich dann schon auf die Migrations­zahlen auswirken, deutliche Effekte wird es aber von heute auf morgen nicht geben“, sagte Hauptgesch­äftsführer Helmut Dedy. „Bund und Länder bleiben deshalb weiterhin in der Pf licht, auch die in Deutschlan­d beschlosse­nen Maßnahmen zur Flüchtling­sfinanzier­ung und zur besseren Steuerung von Migration konsequent umzusetzen. Die Städte müssen dringend entlastet werden.“

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FOTO: JAVIER BAULUZ Die verschärft­en Regeln könnten abschrecke­nd wirken, sodass vielleicht nicht mehr so viele Migranten die gefährlich­e Flucht per Boot nach Europa wagen.

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