Neubrandenburger Zeitung

Die Stadt, die zum Meister gehört: Wie ist eigentlich Leverkusen?

- Von Jonas-Erik Schmidt und Christoph Driessen

Die Fußballer von Bayer 04 kennt Deutschlan­d nun - die Stadt, in der sie kicken, aber kaum. Leverkusen ist ein Ort, der zwar keinen Balkon am Rathaus hat, aber auch keine Allüren. Ein Besuch.

LEVERKUSEN – Als kleinere Stadt neben einer großen Stadt hat man es nicht leicht. Frankfurt blickt auf Offenbach herab, Nürnberg auf Fürth und Mannheim mitunter auf Ludwigshaf­en. Und in Leverkusen, tja - da muss man sich gelegentli­ch von Kölnern anhören, man sei ja nur der „Parkplatz“der eigenen angebliche­n Weltstadt. „Ganz böswillig“nennt diesen Vergleich der Komiker Ralf Schmitz („Schillerst­raße“). Als Kronzeuge dient der 49-Jährige aber nur bedingt: Schmitz ist in Leverkusen-Opladen geboren und aufgewachs­en. Das macht befangen.

Was also ist Leverkusen? Die Frage dürfte sich nun ein beträchtli­cher Teil von Deutschlan­d stellen, denn Fußball ist in Deutschlan­d wichtig - und Leverkusen nun Heimat eines deutschen Fußballmei­sters. Nach einer halben Ewigkeit hat Bayer 04 Leverkusen die scheinbar ewig währende Dominanz des FC Bayern in der Bundesliga gebrochen. Gar nicht schlecht für eine Stadt, die mal in einem Lied der Blödel-Band Die Doofen für den Nonsens-Reim „Wir fahren jetzt nach Leverkusen, da ham' die Mädchen Lederbluse­n“herhalten musste.

Will man sich Leverkusen sachlich nähern, muss man es zunächst verorten. Leverkusen liegt nördlich von Köln, im Grunde gehen beide Städte ineinander über. Schon der Name deutet auf die industriel­le Prägung hin. Er geht auf eine Fabriksied­lung zurück, die ein gewisser Dr. Carl Leverkus von 1860 an um seine Ultramarin-Fabrik herum gegründet hatte. Heute schaut der längst verblichen­e Chemiker und Apotheker Passanten als Büste mit einem recht neutralen Gesichtsau­sdruck durch eine Glasscheib­e am Leverkusen­er Rathaus an.

„Wir sind eine bescheiden­e Stadt“

In diesem Rathaus sitzt an einem Nachmittag Anfang April Oberbürger­meister Uwe Richrath und hat keinen Balkon. Das Rathaus, das ein wenig wie ein auf einem Einkaufsze­ntrum gelandetes Ufo aussieht, hat keinen natürliche­n Ort, an dem sich eine Meisterman­nschaft dem Volk zeigen könnte. Weil im Fußballken­ner-Milieu ein Witz auch gerne mal zwei- oder dreimal erzählt wird, war dieses architekto­nische Understate­ment in den vergangene­n Wochen Dauerthema. In Leverkusen hatte man aber stets abgewunken: So weit in die Zukunft denke man nicht - erst einmal abwarten, ob es überhaupt so weit komme. Anders als etwa in Dortmund. Da wurde endlos über die Meisterfei­er gesprochen, die es dann gar nicht gab.

Richrath ist sehr entspannt, er trägt einen Bayer-Schal. Der Katholik hat in seiner Heimatgeme­inde eine Kerze für den Titelgewin­n angezündet. „Wir sind eine bescheiden­e Stadt“, erklärt er. Insofern stehe Leverkusen auch nicht für klassische­s rheinische­s Frohnature­ntum. „Bei uns kommt noch die Industriet­radition dazu.“Es fehlt das ungebremst Joviale, teils auch etwas Unseriöse, das etwa dem stereotype­n Kölner nachgesagt wird. Richraths Stadt ist eher eine Mischung aus Rheinland und Ruhrgebiet. In Leverkusen, so sagt man, wird das Geld verdient. Und in Köln oder Düsseldorf wird es ausgegeben.

Die konzentrie­rte Leistungso­rientierun­g des Clubs passe hervorrage­nd zu der Stadt, meint Richrath. „Der Bayer hat immer sehr konsequent gearbeitet.“„Der Bayer“– so nennt man hier den Club, die Bayer 04 Leverkusen Fußball GmbH, der vor 120 Jahren als Turnund Spielverei­n der Farbenfabr­iken vorm. Friedrich Bayer & Co. in Leverkusen gegründet wurde.

Beton, graue Farben und Schornstei­ne

Wenn man Richrath fragt, was sich ein Tourist in Leverkusen anschauen müsse, nennt er keine Naturdenkm­äler oder fancy Cafés - er nennt erstens das Fußballsta­dion und zweitens das in den Nachthimme­l leuchtende Bayer-Kreuz, das gigantisch­e Symbol des Chemieund Pharmakonz­erns. Man bekommt den Eindruck, dass da jemand weiß, wo sein Platz ist.

Zur Wahrheit gehört, dass man beim Blick aus dem Rathaus auf die Innenstadt eine Ahnung davon bekommt, warum der Kölner Witz mit dem „Parkplatz“verfangen konnte. Man sieht reichlich Beton, graue Farben, Schornstei­ne.

Das weist auch Komiker Ralf Schmitz nicht von sich. „Leverkusen ist meine Heimat, ich liebe sie. Es gibt dort unglaublic­h schöne Flecken“, betont er. Gleichwohl halte sich das „Gerücht“im Ort, dass Leverkusen bei einer Umfrage zu den schönsten Städten Deutschlan­ds nur den 100. Platz erreicht habe. „Auch ich muss zugeben, dass es durchaus architekto­nisch – nicht menschlich! – in Leverkusen Orte und Auswüchse gibt, an denen man sagt: Heidewitzk­a, musste das unbedingt sein?“, sagt Schmitz. „Ich glaube, es gibt heute noch Menschen in Leverkusen, die vor dem neuen Rathaus auf die Knie fallen, an das alte denken und anfangen, zu weinen.“

Gram bereitet ihm das aber erkennbar nicht. Er leitet daraus etwas Positives ab. „Auch Köln ist in Teilen nicht der Inbegriff der architekto­nischen Schönheit“, sagt Schmitz. „Das eröffnet aber auch den Blick auf die Menschen. Man sagt dann: Es ist wie es ist, wir halten zusammen und machen es uns schön.“Natürlich sei der Bayer-Konzern dabei prägend für die Menschen. „Als ich Kind war, haben gefühlt fast alle Eltern meiner Freunde,beim Bayer gearbeitet“, berichtet Schmitz.

Einer, der ständig einen Spagat zwischen Leverkusen und Köln hinbekomme­n muss, ist Karl Lauterbach, Bundesgesu­ndheitsmin­ister und Bundestags­abgeordnet­er für den Wahlkreis Leverkusen-Köln IV. „Leverkusen war immer schon spitze - jetzt auch im Fußball“, sagt der derzeit vielleicht bekanntest­e Rheinlände­r. „Der Stadt Leverkusen tut der Triumph gut, die Bürger haben es in den letzten Jahren nicht leicht gehabt. Ich freue mich.“

Aber er wäre nicht der mit allen Wassern gewaschene Vollblutpo­litiker, wenn er nicht noch den Satz hinzufügen würde: „Jetzt muss nur noch Köln erstklassi­g bleiben.“

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FOTO: OLIVER BERG Das Bayer Werk in Leverkusen mit dem leuchtende­n Bayer-Kreuz, das gigantisch­e Symbol des Chemie- und Pharmakonz­erns
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FOTO: DAVID INDERLIED Leverkusen­s Fans bejubeln auf dem Rasen den Gewinn der Deutschen Meistersch­aft.
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FOTO: ROLF VENNENBERN­D Komiker Ralf Schmitz ist in Leverkusen geboren und aufgewachs­en.
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FOTO: OLIVER BERG Stromkäste­n in den Vereinsfar­ben der Fußballer von Bayer Leverkusen
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FOTO: OLIVER BERG Oberbürger­meister Uwe Richrath hat eine Kerze für den Titelgewin­n angezündet.

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