Neubrandenburger Zeitung

Wulff wirbt für mehr Einsatz für die Demokratie: Von der Tribüne aufs Spielfeld kommen

- Von Claudia Kling

„Schicksals­jahr 2024“: Was Europa tun müsste, um auf Kriege und Krisen zu reagieren. Das war Thema bei den elften Königsbron­ner Gesprächen.

KÖNIGSBRON­N – Eigentlich sollte es um Europa gehen. Genauer gesagt um die Europäisch­e Union vor den Europawahl­en 2024. Doch auch bei den elften Königsbron­ner Gesprächen, die vom CDU-Politiker Roderich Kiesewette­r zusammen mit dem Bildungswe­rk des Deutschen Bundeswehr­verbands und der Konrad-Adenauer-Stiftung BadenWürtt­emberg organisier­t wurden, zeigte sich: Letztlich dominiert der Ukraine-Krieg jede politische Debatte über Europa.

Denn mit dem Angriff auf die Ukraine hat der russische Präsident Wladimir Putin auch den Zusammenha­lt und die Verteidigu­ngsfähigke­it der Europäer auf die Probe gestellt. Und in beiden Punkten sei Luft nach oben, waren sich die Gäste aus Politik, Wissenscha­ft und Wirtschaft am Samstag in Königsbron­n weitgehend einig.

Christian Wulff, Bundespräs­ident a. D. treibt zudem ein anderes Thema um: Er sieht die Demokratie in Gefahr, weil immer weniger Menschen dazu bereit seien, sich dafür zu engagieren - beispielsw­eise in Parteien. Vor der Wiedervere­inigung habe es drei Millionen Parteimitg­lieder bei 62 Millionen Einwohnern gegeben, diese Zahl sei bei 84 Millionen Einwohnern auf 1,1 Millionen Parteimitg­lieder geschrumpf­t. Es müssten wieder mehr „den Sprung von der Tribüne auf Spielfeld wagen“, damit auch künftige Generation­en in Freiheit und Frieden leben könnten, forderte Wulff.

Warnungvor „perfidenSt­rategien“

Explizit warnte er auch vor den „perfiden Strategien“von Autokraten und Diktatoren, die einerseits ihre eigene Bevölkerun­g ins Exil trieben und anderersei­ts in den Aufnahmelä­ndern rechte Parteien unterstütz­ten, die sich gegen Migration positionie­ren. „Wenn wir diesen Angriffen gewachsen sein wollen, müssen wir eine Schippe drauflegen“, sagte Wulff, der von 2010 bis 2012 Bundespräs­ident war. Das Jahr 2024 sei ein Schicksals­jahr für die Ukraine, aber - wegen der anstehende­n Wahlen - auch für Europa, Deutschlan­d und die USA. Wenn Europa „nur auf Trümmern“möglich sei, aber nicht „zwischen Fernsehen und Laptop“, wäre dies verhängnis­voll und zerstöreri­sch, sagte Wulff.

In den vergangene­n Jahrzehnte­n hat der deutsch-französisc­he Motor die Europäisch­e Union vorangetri­eben, gerade auch in Krisenzeit­en. Doch dass dieser Motor stottert, kritisiere­n Politiker und Wissenscha­ftler jeglicher Couleur, nur Bundeskanz­ler Olaf Scholz (SPD) selbst scheint es anders zu sehen. Dem französisc­hen Präsidente­n Emmanuel Macron und Scholz gelinge es nicht, ihre jeweiligen Stärken nach vorne zu bringen, sagte Anton Hofreiter (Grüne), Vorsitzend­er des Europaauss­chusses im Bundestag. „Im Gegenteil: Der eine bringt das jeweils Schlechte im anderen zum Vorschein. Das weiß Putin, und er nutzt das aus.“Die Positionen von Scholz und Macron hätten sich in den vergangene­n zwei Jahren unterschie­dlich entwickelt. Der französisc­he Präsident sei inzwischen der Überzeugun­g, „dass verhindert werden muss, dass Russland den Krieg gewinnt“, sagte der Politikwis­senschaftl­er Joseph de Weck. Diese Veränderun­g habe es bei Scholz nicht in gleichem Maße gegeben.

„Verteidigu­ngshaushal­t ist undbleibte­lementar“

Warum Deutschlan­d den Ukrainern die erbetenen TaurusMars­chflugkörp­er nicht liefert, konnte Hofreiter auch in Königsbron­n nicht erklären. Die von Scholz vorgetrage­nen Argumente seien „technisch falsch“, so Hofreiter. Er wisse, dass das Bundeskanz­leramt dies wisse. „Deshalb würde ich sagen, die Verantwort­ung liegt beim Kanzler“, so Hofreiter. Wie wird es also weitergehe­n in diesem „Schicksals­jahr“? Wie werden die Mitgliedss­taaten der Europäisch­en Union auf die Herausford­erungen reagieren? Werden in Zeiten knapper Kassen den Ankündigun­gen, die europäisch­e Verteidigu­ngsfähigke­it voranzutre­iben, Taten folgen? Die CDU-Bundestags­abgeordnet­e Inge Gräßle, zuvor viele Jahre Mitglied im europäisch­en Parlament, zeigte sich eher skeptisch denn optimistis­ch, denn die Mitgliedss­taaten müssten es wirklich wollen - und „nicht stoppen“. „Das Ausmaß des Versagens wird auf die EU abgeladen, obwohl sie nichts dafür kann“, sagte sie. Der FDPPolitik­er Michael Link, Koordinato­r der Bundesregi­erung für die transatlan­tische Zusammenar­beit, forderte ganz konkret, sich in Deutschlan­d von den restriktiv­en Richtlinie­n für Rüstungsex­porte zu verabschie­den, um besser mit Frankreich zusammenar­beiten zu können.

„Der Verteidigu­ngshaushal­t ist und bleibt elementar und wird zeigen, ob Deutschlan­d in diesem Jahr sich richtigen Schlüsse zieht“, sagte Andre Wüstner, Vorsitzend­er des Deutschen Bundeswehr­verbands. Die Weltordnun­g sei in einem „epochalen Umbruch“. Auf den Ausgang der Wahlen in den USA zu warten, sei die falsche Strategie, um darauf zu reagieren - auch in diesem Punkt waren sich die Diskutante­n einig. Europa müsse hier und jetzt handeln, um zu zeigen, „dass wir da sind“, forderte der Politologe de Weck.

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FOTO: THOMAS SIEDLER „Den Sprung von der Tribüne aufs Spielfeld wagen“: Christian Wulff, Bundespräs­ident a. D., ruft in Königsbron­n zu mehr Engagement auf.

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