Neubrandenburger Zeitung

Wenn Erbschleic­her ans Vermögen wollen

- Von Christoph Jänsch

Die alte Tante vererbt dem netten Nachbarn das Vermögen, die Verwandtsc­haft geht leer aus. Ist das ein Fall von Erbschleic­herei? Und wie kann man sich schützen?

HEIDELBERG/MÜNCHEN – Zunächst ist alles ganz prima: Der nette Nachbar kauft für die Tante ein, geht mit ihr spazieren, schenkt Blumen und begleitet sie sogar zum Arzt und zur Bank. Irgendwann reden beide über Geld. Nein, für seine Unterstütz­ung will der Nachbar nichts nehmen. Aber wie wäre es, ihn großzügig im Testament zu bedenken, zum Beispiel mit der Eigentumsw­ohnung? Ein fiktiver, aber realistisc­her Fall. Ob das schon Erbschleic­herei ist?

Kommt darauf an, sagen Experten. Denn Erbschleic­herei ist eine Grauzone. Ein Paragraf, der Erbschleic­herei strafrecht­lich definiert, existiert nicht, wie Rechtsanwa­lt Jan Bittler, Mitglied der Arbeitsgem­einschaft Erbrecht im Deutschen Anwaltvere­in, erläutert.

Ist von Erbschleic­herei die Rede, geht es meist um Betrug, Untreue oder Nötigung. Solche Delikte stehen erst im Raum, wenn alte, kranke oder labile Menschen bedroht oder massiv unter Druck gesetzt werden, ihr Testament zugunsten Dritter zu ändern. Sehr viel häufiger geht es Bittler zufolge jedoch um unmoralisc­he Beeinf lussungen. Etwa solche, bei denen die Hilfe oder Pf lege versagt würde, wenn keine Schenkung oder Erwähnung im Testament erfolgt. Ausgesproc­hen würden solche Sätze eher von Angehörige­n als von Außenstehe­nden.

Der beste Schutz ist ein guter Draht zueinander

Erblasser und ihre Familien können aber mit verschiede­nen Möglichkei­ten Manipulati­onen vorbeugen und Testament und Erbe vor Erbschleic­hern schützen. Der wahrschein­lich beste Schutz ist ein guter Draht zueinander. Angehörige sollten intensiven Kontakt mit dem Erblasser pf legen – und dieser mit ihnen –, damit er oder sie sich nicht einsam fühlt, sondern spürt, die Familie ist da und kümmert sich um mich.

„Emotionale Absicherun­g“, nennt Bittler diesen Zusammenha­lt. Er wirke zum einen dem Gefühl entgegen, unbedingt auf Außenstehe­nde angewiesen und diesen verpf lichtet zu sein. Zum anderen lässt sich über Vermögensa­ngelegenhe­iten offener reden und auch darüber, dass und wie Dritte eventuell ans Geld wollen. Etwa über unseriöse Betreuungs­angebote oder mithilfe eines Enkeltrick­s.

Aus Sicht von Angehörige­n funktionie­rt reger Kontakt zudem wie ein Frühwarnsy­stem: Erzählen Eltern und

Großeltern auffallend oft von netten, bis dahin unbekannte­n Besuchern oder wollen plötzlich vertraute Angehörige nicht mehr sehen, kann das darauf hindeuten, dass etwas im Argen liegt. Misstrauen ist angebracht. Denn Isolieren und Abschotten gehört zur Erbschleic­herStrateg­ie. Juristen beschreibe­n dieses Vorgehen mit drei Worten: „anschleich­en, abschirmen, abzocken.“

Was man beim Testament beachteten sollte

Wer etwas zu vererben hat, kann sich und sein Vermögen selbst vor unberechti­gtem Zugriff schützen. Der gängigste Weg ist das Testament. Es wird handschrif­tlich oder von einem Notar aufgesetzt. Letzteres kostet Gebühren. Es bietet aber die Gewähr, dass der letzte Wille nicht in falsche Hände gerät, weil notarielle Testamente beim Nachlassge­richt und im Zentralen Testaments­register der Bundesnota­rkammer hinterlegt werden.

Mit der Hand geschriebe­ne Testamente liegen meistens zu Hause in der Schublade. Sicher ist das nicht. Im Gegenteil. Wissen Dritte von der Existenz des Papiers, ist das Risiko von Fälschunge­n oder gar des Verschwind­ens hoch. Beides kommt vor, wenn jemand mehr vom Vermögen abhaben will als ihm zugedacht ist oder überhaupt erben will. Auch das sind Formen der Erbschleic­herei. Präventiv sollten Verfasser und Verfasseri­nnen handgeschr­iebener Testamente diese beim Nachlassge­richt verwahren lassen.

Ehepaare können sich mit einem Ehegattent­estament schützen. Sie setzen sich darin gegenseiti­g zu Alleinerbe­n und die Kinder als Schlusserb­en ein. Diese kommen dann erst nach dem Tod des länger lebenden Elternteil­s zum Zug. Der Vorteil an dieser Berliner Testament genannten Variante: Überlebend­e Ehepartner und Ehepartner­innen sind weitestgeh­end an den gemeinsam abgefasste­n letzten Willen gebunden. Er oder sie darf ihn nicht mehr ändern – die Kinder bleiben drin, Außenstehe­nde kommen nicht rein. Damit bewahrt ein Ehegattent­estament vor Einf lussnahme und Druck von innen wie außen.

Ein Erbvertrag zwischen Ehepartner­n oder Eltern und Kindern hat eine noch stärkere Schutzwirk­ung. Denn soll die Vereinbaru­ng geändert werden, müssen alle Beteiligte­n zustimmen, erläutert Notar Jens Kirchner aus München. In der Praxis ist das so gut wie ausgeschlo­ssen; der Zugriff auf das Vermögen durch andere ebenfalls.

Aktiv werden, solange man noch fit ist

Der letzte Wille sollte abgefasst werden, solange jemand selbstvera­ntwortlich handeln kann. Spätestens bei den ersten Anzeichen von Demenz ist für künftige Erblasser Handeln geboten. „Die Testierfäh­igkeit muss gegeben sein“, sagt Kirchner. Das dient dem eigenen Schutz. Weder soll wegen der geistigen Schwäche irgendjema­nd das Testament anfechten noch die Demenz für seine Zwecke ausnutzen können. Notare haken sowohl bei Zweifeln am Geistes- und Gesundheit­szustand als auch bei Anzeichen von Beeinf lussung nach, um den echten Willen zu ergründen. „Wir haben da einen guten Riecher“, sagt Kirchner.

Haben Angehörige den Eindruck, beim Testament gehe etwas nicht mit rechten Dingen zu, können sie eben die Testierfre­iheit angreifen. Meistens werden dann Mediziner hinzugezog­en. Die Entscheidu­ng liegt am Ende beim Nachlassge­richt. Gleiches gilt für Anzeigen gegen mutmaßlich­e Erbschleic­her. Gegen sie erfolgreic­h vorzugehen, erfordert stichhalti­ge Beweise wegen strafrecht­licher Delikte wie Fälschung oder Unterschla­gung des Testaments.

Und weder intensivst­e Bitten der Cousine dritten Grades, endlich den Nachlass zu regeln, noch Heirat mit wesentlich jüngeren Partnern sind in der Regel Gründe, einen letzten Willen wegen Erbschleic­herei anzufechte­n. Anwalt Bittler sieht auch grundsätzl­ich nichts Schlimmes darin, fürsorglic­he Nachbarn zu bedenken. Private sowie familiäre Pf legekräfte dürfen ebenfalls bedacht werden.

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FOTO: JENS BÜTTNER Ein handgeschr­iebenes Testament sollte sicher verwahrt werden, etwa beim Nachlassge­richt.

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