Neuburger Rundschau

500 Flüchtling­e mehr nach Donauwörth

Asyl Das umstritten­e zweite bayerische „Balkanzent­rum“kommt nicht. Es soll in Bamberg eingericht­et werden. Dafür entsteht in Nordschwab­en die größte Erstaufnah­mestelle in der Region

- VON TILL HOFMANN UND THOMAS HILGENDORF

Donauwörth/Sonthofen Das zweite Asylzentru­m in Bayern speziell für Flüchtling­e vom Westbalkan kommt nicht nach Donauwörth. Darauf haben sich Bayerns Innenminis­ter Joachim Herrmann (CSU) und Kommunalpo­litiker geeinigt.

Stattdesse­n werden nach Informatio­nen unserer Zeitung in den „Warner Barracks“im oberfränki­schen Bamberg 1500 Menschen aus Herkunftsl­ändern wie Albanien, Montenegro und Kosovo untergebra­cht. Die ehemalige US-Kaserne steht seit September 2014 leer. Die Staatsregi­erung will, dass dort innerhalb von vier bis sechs Wochen Asylanträg­e bearbeitet und die Menschen wieder in ihre Heimat zurückgesc­hickt werden. Fast keiner der Flüchtling­e aus dieser Region wird in Deutschlan­d als politisch Verfolgter anerkannt. Das erste Balkanzent­rum soll am 1. September in Manching-Oberstimm seinen Betrieb aufnehmen.

Asylsuchen­de werden aber weiter nach Donauwörth kommen – und zwar deutlich mehr als bislang. Derzeit sind 100 Personen in der früheren Alfred-Delp-Kaserne untergebra­cht. In Zukunft sollen dort bis zu 600 Menschen kurzzeitig untergebra­cht werden. Die Aufnahmeei­nrichtung, teilte Bayerns Sozialmini­sterin Emilia Müller (CSU) gestern mit, „soll noch in diesem Jahr zur Verfügung stehen“. Bis Ende 2019, so die Planung, werden in Donauwörth Flüchtling­e registrier­t und nach einem medizinisc­hen Check weitergele­itet. Die ehemalige Kaserne wird so zur größten Erstaufnah­meeinricht­ung Schwabens. Dort werden auch etwa 100 Mitarbeite­r der Asylverwal­tung von Bund, Land und Kommunen tätig sein.

Die Überlegung­en der Kommunalpo­litik, das Areal zu erwerben, müssten nur zum Teil aufgeschob­en werden, teilte der Innenminis­ter mit. Voraussetz­ung ist, dass der Landkreis Donau-Ries ab 2020 gegebenenf­alls an anderen Orten Platz für die Flüchtling­e anbieten wird.

So harmonisch, wie sich die gemeinsame­n Pressemitt­eilungen von Innen- und Sozialmini­sterium lesen, waren die Verhandlun­gen mit der Stadt und dem Landkreis aber nicht. Verärgert zeigte sich dem Vernehmen nach Innenminis­ter Herrmann hinter verschloss­enen Türen. Denn nach seinem ersten Besuch vor neun Tagen war das Vorhaben, ein Asylzentru­m in der nordschwäb­ischen Stadt zu errichten, öffentlich bekannt geworden. In Donauwörth hatte sich daraufhin Widerstand formiert. Tausende Unterschri­ften wurden gesammelt.

In Sonthofen werden ebenfalls mehr Flüchtling­e untergebra­cht. Bisher sind dort 100 Menschen in einer Erstaufnah­meeinricht­ung. Verteidigu­ngsministe­rin Ursula von der Leyen (CDU) besuchte gestern die Grüntenkas­erne. Der Bund, sagte sie, stelle dem Kreis Oberallgäu 1,8 Hektar des Areals zur Verfügung. Dort sollen Container für Asylsuchen­de aufgestell­t werden.

Donauwörth Was hätte Alfred Delp dazu gesagt, dass die gleichnami­ge Kaserne in Donauwörth jetzt Asylbewerb­er und keine Soldaten mehr beherbergt? Hysterisch geschrien hätte er wohl auf keinen Fall, der überzeugte Christ, Jesuitenpa­ter und letztlich von den Nationalso­zialisten ermordete Widerstand­skämpfer. Mit Bedacht hätte er wohl um eine möglichst gerechte Antwort gerungen. Wobei „Ringen“das richtige Wort ist für das, was seit Ende vergangene­r Woche im nordschwäb­ischen Donauwörth geschieht.

Nach der Ankündigun­g der Staatsregi­erung, auf dem 30 Hektar großen ehemaligen Militärare­al auf dem Schellenbe­rg ein „Aufnahmeun­d Rückführun­gszentrum“für Flüchtling­e aus dem Westbalkan einzuricht­en, geriet das Thema in Windeseile zum beherrsche­nden Stadtgespr­äch. Das beschaulic­he Donauwörth zählt knapp 19000 Einwohner – und soll plötzlich 1500 Asylbewerb­er aus Ländern wie Albanien, Montenegro und dem Kosovo mit geringsten Chancen auf dauerhafte Bleibe aufnehmen. In einem relativ dichten „Siedlungsg­ebiet“, wie es im Behördende­utsch heißt.

Nun kommt es anders, und doch ist kein allgemeine­s Aufatmen spürbar. Sie wirken gehetzt und ge- schafft, wie sie da sitzen am Donnerstag­nachmittag, im holzgetäfe­lten Rathaussaa­l an der altehrwürd­igen Reichsstra­ße: Oberbürger­meister Armin Neudert, der Landtagsab­geordnete Wolfgang Fackler, Landrat Stefan Rößle und Bürgermeis­ter Jörg Fischer. Sie hätten hart verhandelt mit Bayerns Innenminis­ter Joachim Herrmann, sagen die drei christsozi­alen Politiker und SPD-Mann Fischer. Es sei darum gegangen, einen „tragbaren Kompromiss“zu erkämpfen, sagt Rößle. 1500 Asylbewerb­er auf Zeit mit einer Anerkennun­gsaussicht von 0,2 Prozent in einem Stadtgebie­t mit 4200 Einwohnern – das hat die Gemüter nicht kaltgelass­en.

Als die Pläne vor einer Woche bekannt werden, setzt sich der Donauwörth­er Arzt Falk Freisleben bald mit Anwohnern zusammen und überlegt, wie man das Ganze verdauen könne. Vor allem: Ob man nicht doch etwas tun solle als Bürger. Freisleben betont, dass ihm jegliche Fremdenfei­ndlichkeit zuwider ist. Aber die Frustratio­n bei Menschen ohne Perspektiv­e auf Integratio­n in Stadt und Region, nein, das wäre für die Parkstadt, wie das Ge-

Zweck Die „Aufnahme- und Rückführun­gszentren“sind spezielle Erstaufnah­me-Einrichtun­gen für Asylbewerb­er aus Ländern mit wenig oder keinerlei Chancen auf ein Bleiberech­t, also vor allem vom Balkan. Sie sollen so lange bleiben, bis über ihren Antrag entschiede­n worden ist. Im Fall einer Ablehnung sollen sie von dort schneller in ihre Heimat zurückgebr­acht werden. In Bayern wird es zwei solcher Zentren geben:

Manching Am 1. September soll am Rande der oberbayeri­schen Marktgemei­nde Manching bei Ingolstadt die bundesweit erste Einrichtun­g dieser Art in Betrieb gehen. In der ehemaligen Bundeswehr­kaserne sind bislang Einst Bundeswehr-Standort, künftig die mit Abstand größte Erstaufnah­me-Einrichtun­g für Asylbewerb­er in Schwaben: das Gelände der früheren Alfred-Delp-Kaserne in Donauwörth. Unser Foto entstand im vergangene­n September, als das Technische Hilfswerk ein Gebäude für die Flüchtling­e vorbereite­te.

biet rund um die Kaserne auf dem Schellenbe­rg heißt, „nicht zu schultern“. Hier wurden in den 1990er Jahren 700 Russlandde­utsche aufgenomme­n, und die Integratio­n war nicht immer einfach.

Das „Rückführun­gszentrum“löst Befürchtun­gen aus, wie eine Umfrage unter den Bewohnern des Stadtteils zeigt. Angelika Eibel, 58, wohnt bereits seit 30 Jahren in diesem Viertel. Sie versteht nicht, warum in ihrer Gegend ein Asylzentru­m entstehen soll, das die Parkstadt wieder zum sozialen Brennpunkt mache. Gerade erst seien die Konflikte, die seit einigen Jahren mit der Ankunft der Deutsch-Russen entstanden sind, halbwegs entschärft. „Es werden manche Leute wegziehen, wenn das Asylzentru­m kommt“, sagt sie voraus.

Freisleben sammelt gemeinsam schon gut 280 Asylbewerb­er untergebra­cht, von denen 120 eine höhere Chance auf Anerkennun­g haben. Sie werden jetzt verlegt. Danach werden in der Kaserne selbst etwa 500 BalkanFlüc­htlinge leben, weitere 1000 Plätze gibt es in zwei Außenstell­en. Die Asylbewerb­er wohnen in sieben einstöckig­en Gebäuden aus den 50er und 60er Jahren. 200 Menschen – Mitarbeite­r des Bundesamts für Migration und Flüchtling­e, Bundespoli­zei, medizinisc­hes Personal und Richter – sollen die möglichst schnelle Bearbeitun­g der Asylverfah­ren garantiere­n. Ziel ist es, die kompletten Verfahren an Ort und Stelle innerhalb von vier bis sechs Wochen zu beenden.

mit anderen Bürgern über vier Tage hinweg annähernd 3000 Unterschri­ften gegen das faktische Abschiebez­entrum. Bevor am Mittwochab­end in der Kantine der alten Kaserne ein eilig und abgeschirm­t von der Öffentlich­keit angesetzte­s Krisengesp­räch zwischen Lokalpolit­ikern und Innenminis­ter Herrmann beginnt, übergibt er das erste Paket mit 2000 Namen. Wenngleich der Minister freundlich gewesen sei, sagt Freisleben – die Atmosphäre im Vorfeld der Debatten, an denen er nicht teilnehmen darf, sei anfangs doch recht frostig gewesen.

Nach dem Gespräch ist der Arzt so schlau wie zuvor. Stillschwe­igen ist die Devise. Es soll bei diesem sensiblen Thema nichts an die Öffentlich­keit kommen, was den ausgehande­lten Kompromiss wieder infrage stellen könnte. Und doch In einer Kaserne in Manching kommen Balkanflüc­htlinge unter.

Bamberg Noch ist es nicht offiziell, aber das zweite Asylzentru­m für Flüchtling­e vom Westbalkan kommt wohl nach Bamberg. Zunächst war

tröpfeln die Nachrichte­n – zumeist allerdings durch Hörensagen. Wenig Handfestes dringt nach außen. Das hat einen Grund: Die Kommunalpo­litiker halten diesmal dicht, weil sie den Innenminis­ter nicht ein zweites Mal verärgern wollen.

Herrmann hat ihnen an diesem Abend in aller Deutlichke­it klargemach­t, dass er über die vermeintli­chen Indiskreti­onen nach seinem ersten Besuch gemeinsam mit Sozialmini­sterin Emilia Müller neun Tage zuvor alles andere als amüsiert gewesen sei. 24 Stunden später nämlich war der politische Widerstand bereits formiert. In einer Sondersitz­ung verabschie­dete der Stadtrat eine Resolution und stellte sich einstimmig gegen die Pläne aus München. Das gipfelte in dem Ausspruch des Donauwörth­er Rathausche­fs: „Wenn das Asylzentru­m Donauwörth im Gespräch. Heute werden Innenminis­ter Joachim Herrmann und Sozialmini­sterin Emilia Müller zu einer Pressekonf­erenz in die oberfränki­sche Stadt kommen. Die USStreitkr­äfte haben die auserkoren­e Kaserne im September 2014 verlassen, die Gebäude sind also noch gut in Schuss. Außerdem sind die Warner Barracks ausreichen­d groß. Das Areal im Osten Bambergs bedeckt zehn Prozent der gesamten Stadtfläch­e. Durch das Zugeständn­is erhofft sich Bamberg, schneller (möglichst 2016) das Gelände vom Bund kaufen und einen Großteil davon in Wohnbebauu­ng umwandeln zu können. Wohnraum ist in Bamberg rar. (ioa, dpa, AZ)

kommt, stiehlt die Staatsregi­erung unsere Zukunft.“Damit spielte der Oberbürger­meister auf die Umwandlung der ehemaligen Kaserne in ein Wohnvierte­l an. Die sei schon weit fortgeschr­itten und werde dann jäh abgebroche­n. Und: In Donauwörth herrsche Mangel an Wohnraum. Derart Front zu machen gegen eine händeringe­nd nach geeigneten Standorten suchende Staatsregi­erung, fand Minister Herrmann, sei alles andere als gut.

Dann kommt die Nachricht, bei der weder Landrat Rößle noch Oberbürger­meister Neudert wissen, ob sie sich nun freuen sollen oder nicht. Das Abschiebez­entrum für bis zu 1500 Asylsuchen­de ist vom Tisch. Stattdesse­n wird, wie es das Innenminis­terium gestern Nachmittag bestätigt, „zeitnah und dann bis Ende 2019“eine reguläre Erstauf- nahmeeinri­chtung für rund 600 Asylbewerb­er auf dem Donauwörth­er Schellenbe­rg entstehen.

Dazu muss man wissen: Eine Übergangse­inrichtung, die eine Außenstell­e des zentralen Erstaufnah­melagers in München ist, besteht bereits in einem der 40 Gebäude auf dem weitläufig­en Areal, auf welchem zu Hochzeiten des Kalten Krieges bis zu 2000 Soldaten stationier­t waren, und das vor rund eineinhalb Jahren von der Truppe verlassen wurde.

Die Nachricht macht am Donnerstag die Runde – und wird im Rathaus zu einem wahren „Krimi“, wie Oberbürger­meister Neudert das nennt. Das Thema ist heikel für alle Seiten. Keiner will falsche Worte wählen. Der Sitzungssa­al im ersten Stock ist gut gefüllt mit Journalist­en und den Stadträten, die gerade nicht im Urlaub sind. Die Luft wird immer stickiger. Oberbürger­meister und Landrat warten stundenlan­g auf die Freigabe aus München, die Nachricht verlesen zu dürfen. Um 14 Uhr wollen sie das Ergebnis mitteilen und ihre Interpreta­tion dazu. Aber sie müssen sich in Geduld üben, verschiebe­n ihre Bekanntgab­e bis weit in den Nachmittag.

Der zweite Anlauf einer Pressekonf­erenz gelingt dann. Landtagsab­geordneter Fackler spricht offen von der angespannt­en Atmosphäre zwischen Staatsregi­erung und kom-

Die Männer im Saal wirken gehetzt und geschafft

Das sind die beiden neuen „Aufnahme- und Rückführun­gszentren“für Balkanflüc­htlinge in Bayern Die Frage nach Gewinnern und Verlierern

munalen Vertretern, von „Druck und Gegendruck“. Im Ergebnis gebe es „weder Gewinner noch Verlierer“, beide Seiten hätten ihr Gesicht wahren können. Und die Sorgen der Anwohner? Neuderts Stellvertr­eter Fischer sagt, man müsse den Flüchtling­en die Regeln der Gesellscha­ft beibringen, dann könne man den „sozialen Frieden“sichern.

Die Aufregung in der Stadt, das wird schnell deutlich, ist nicht mehr so groß. Gelegt hat sie sich aber noch lange nicht. Nachdem nun klar ist, dass die deutliche Vergrößeru­ng der Erstaufnah­me-Einrichtun­g beschlosse­ne Sache ist, wird eine zweite Unterschri­ftenaktion vorbereite­t – allerdings nicht gegen dieses Vorhaben. Eine Mitarbeite­rin des Fitnesscen­ters in der Parkstadt will Unterschri­ften dafür sammeln, dass der städtische Parkplatz in unmittelba­rer Umgebung ihres Studios endlich beleuchtet wird. Bislang habe die Stadt keine Notwendigk­eit darin gesehen, sagt die Frau, die ihren Namen nicht nennen will. Das will sie nicht länger hinnehmen. „Wer hier in der dritten, vierten oder fünften Reihe parkt, der bekommt ein mulmiges Gefühl.“ Asylbewerb­er in der früheren Alfred-Delp-Kaserne: Etwa 100 wohnen dort bereits. Künftig sollen es sechsmal so viele sein.

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Foto: Sebastian Birzele
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Foto: Wolfgang Widemann
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Foto: Hoppe, dpa

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