500 Flüchtlinge mehr nach Donauwörth
Asyl Das umstrittene zweite bayerische „Balkanzentrum“kommt nicht. Es soll in Bamberg eingerichtet werden. Dafür entsteht in Nordschwaben die größte Erstaufnahmestelle in der Region
Donauwörth/Sonthofen Das zweite Asylzentrum in Bayern speziell für Flüchtlinge vom Westbalkan kommt nicht nach Donauwörth. Darauf haben sich Bayerns Innenminister Joachim Herrmann (CSU) und Kommunalpolitiker geeinigt.
Stattdessen werden nach Informationen unserer Zeitung in den „Warner Barracks“im oberfränkischen Bamberg 1500 Menschen aus Herkunftsländern wie Albanien, Montenegro und Kosovo untergebracht. Die ehemalige US-Kaserne steht seit September 2014 leer. Die Staatsregierung will, dass dort innerhalb von vier bis sechs Wochen Asylanträge bearbeitet und die Menschen wieder in ihre Heimat zurückgeschickt werden. Fast keiner der Flüchtlinge aus dieser Region wird in Deutschland als politisch Verfolgter anerkannt. Das erste Balkanzentrum soll am 1. September in Manching-Oberstimm seinen Betrieb aufnehmen.
Asylsuchende werden aber weiter nach Donauwörth kommen – und zwar deutlich mehr als bislang. Derzeit sind 100 Personen in der früheren Alfred-Delp-Kaserne untergebracht. In Zukunft sollen dort bis zu 600 Menschen kurzzeitig untergebracht werden. Die Aufnahmeeinrichtung, teilte Bayerns Sozialministerin Emilia Müller (CSU) gestern mit, „soll noch in diesem Jahr zur Verfügung stehen“. Bis Ende 2019, so die Planung, werden in Donauwörth Flüchtlinge registriert und nach einem medizinischen Check weitergeleitet. Die ehemalige Kaserne wird so zur größten Erstaufnahmeeinrichtung Schwabens. Dort werden auch etwa 100 Mitarbeiter der Asylverwaltung von Bund, Land und Kommunen tätig sein.
Die Überlegungen der Kommunalpolitik, das Areal zu erwerben, müssten nur zum Teil aufgeschoben werden, teilte der Innenminister mit. Voraussetzung ist, dass der Landkreis Donau-Ries ab 2020 gegebenenfalls an anderen Orten Platz für die Flüchtlinge anbieten wird.
So harmonisch, wie sich die gemeinsamen Pressemitteilungen von Innen- und Sozialministerium lesen, waren die Verhandlungen mit der Stadt und dem Landkreis aber nicht. Verärgert zeigte sich dem Vernehmen nach Innenminister Herrmann hinter verschlossenen Türen. Denn nach seinem ersten Besuch vor neun Tagen war das Vorhaben, ein Asylzentrum in der nordschwäbischen Stadt zu errichten, öffentlich bekannt geworden. In Donauwörth hatte sich daraufhin Widerstand formiert. Tausende Unterschriften wurden gesammelt.
In Sonthofen werden ebenfalls mehr Flüchtlinge untergebracht. Bisher sind dort 100 Menschen in einer Erstaufnahmeeinrichtung. Verteidigungsministerin Ursula von der Leyen (CDU) besuchte gestern die Grüntenkaserne. Der Bund, sagte sie, stelle dem Kreis Oberallgäu 1,8 Hektar des Areals zur Verfügung. Dort sollen Container für Asylsuchende aufgestellt werden.
Donauwörth Was hätte Alfred Delp dazu gesagt, dass die gleichnamige Kaserne in Donauwörth jetzt Asylbewerber und keine Soldaten mehr beherbergt? Hysterisch geschrien hätte er wohl auf keinen Fall, der überzeugte Christ, Jesuitenpater und letztlich von den Nationalsozialisten ermordete Widerstandskämpfer. Mit Bedacht hätte er wohl um eine möglichst gerechte Antwort gerungen. Wobei „Ringen“das richtige Wort ist für das, was seit Ende vergangener Woche im nordschwäbischen Donauwörth geschieht.
Nach der Ankündigung der Staatsregierung, auf dem 30 Hektar großen ehemaligen Militärareal auf dem Schellenberg ein „Aufnahmeund Rückführungszentrum“für Flüchtlinge aus dem Westbalkan einzurichten, geriet das Thema in Windeseile zum beherrschenden Stadtgespräch. Das beschauliche Donauwörth zählt knapp 19000 Einwohner – und soll plötzlich 1500 Asylbewerber aus Ländern wie Albanien, Montenegro und dem Kosovo mit geringsten Chancen auf dauerhafte Bleibe aufnehmen. In einem relativ dichten „Siedlungsgebiet“, wie es im Behördendeutsch heißt.
Nun kommt es anders, und doch ist kein allgemeines Aufatmen spürbar. Sie wirken gehetzt und ge- schafft, wie sie da sitzen am Donnerstagnachmittag, im holzgetäfelten Rathaussaal an der altehrwürdigen Reichsstraße: Oberbürgermeister Armin Neudert, der Landtagsabgeordnete Wolfgang Fackler, Landrat Stefan Rößle und Bürgermeister Jörg Fischer. Sie hätten hart verhandelt mit Bayerns Innenminister Joachim Herrmann, sagen die drei christsozialen Politiker und SPD-Mann Fischer. Es sei darum gegangen, einen „tragbaren Kompromiss“zu erkämpfen, sagt Rößle. 1500 Asylbewerber auf Zeit mit einer Anerkennungsaussicht von 0,2 Prozent in einem Stadtgebiet mit 4200 Einwohnern – das hat die Gemüter nicht kaltgelassen.
Als die Pläne vor einer Woche bekannt werden, setzt sich der Donauwörther Arzt Falk Freisleben bald mit Anwohnern zusammen und überlegt, wie man das Ganze verdauen könne. Vor allem: Ob man nicht doch etwas tun solle als Bürger. Freisleben betont, dass ihm jegliche Fremdenfeindlichkeit zuwider ist. Aber die Frustration bei Menschen ohne Perspektive auf Integration in Stadt und Region, nein, das wäre für die Parkstadt, wie das Ge-
Zweck Die „Aufnahme- und Rückführungszentren“sind spezielle Erstaufnahme-Einrichtungen für Asylbewerber aus Ländern mit wenig oder keinerlei Chancen auf ein Bleiberecht, also vor allem vom Balkan. Sie sollen so lange bleiben, bis über ihren Antrag entschieden worden ist. Im Fall einer Ablehnung sollen sie von dort schneller in ihre Heimat zurückgebracht werden. In Bayern wird es zwei solcher Zentren geben:
Manching Am 1. September soll am Rande der oberbayerischen Marktgemeinde Manching bei Ingolstadt die bundesweit erste Einrichtung dieser Art in Betrieb gehen. In der ehemaligen Bundeswehrkaserne sind bislang Einst Bundeswehr-Standort, künftig die mit Abstand größte Erstaufnahme-Einrichtung für Asylbewerber in Schwaben: das Gelände der früheren Alfred-Delp-Kaserne in Donauwörth. Unser Foto entstand im vergangenen September, als das Technische Hilfswerk ein Gebäude für die Flüchtlinge vorbereitete.
biet rund um die Kaserne auf dem Schellenberg heißt, „nicht zu schultern“. Hier wurden in den 1990er Jahren 700 Russlanddeutsche aufgenommen, und die Integration war nicht immer einfach.
Das „Rückführungszentrum“löst Befürchtungen aus, wie eine Umfrage unter den Bewohnern des Stadtteils zeigt. Angelika Eibel, 58, wohnt bereits seit 30 Jahren in diesem Viertel. Sie versteht nicht, warum in ihrer Gegend ein Asylzentrum entstehen soll, das die Parkstadt wieder zum sozialen Brennpunkt mache. Gerade erst seien die Konflikte, die seit einigen Jahren mit der Ankunft der Deutsch-Russen entstanden sind, halbwegs entschärft. „Es werden manche Leute wegziehen, wenn das Asylzentrum kommt“, sagt sie voraus.
Freisleben sammelt gemeinsam schon gut 280 Asylbewerber untergebracht, von denen 120 eine höhere Chance auf Anerkennung haben. Sie werden jetzt verlegt. Danach werden in der Kaserne selbst etwa 500 BalkanFlüchtlinge leben, weitere 1000 Plätze gibt es in zwei Außenstellen. Die Asylbewerber wohnen in sieben einstöckigen Gebäuden aus den 50er und 60er Jahren. 200 Menschen – Mitarbeiter des Bundesamts für Migration und Flüchtlinge, Bundespolizei, medizinisches Personal und Richter – sollen die möglichst schnelle Bearbeitung der Asylverfahren garantieren. Ziel ist es, die kompletten Verfahren an Ort und Stelle innerhalb von vier bis sechs Wochen zu beenden.
mit anderen Bürgern über vier Tage hinweg annähernd 3000 Unterschriften gegen das faktische Abschiebezentrum. Bevor am Mittwochabend in der Kantine der alten Kaserne ein eilig und abgeschirmt von der Öffentlichkeit angesetztes Krisengespräch zwischen Lokalpolitikern und Innenminister Herrmann beginnt, übergibt er das erste Paket mit 2000 Namen. Wenngleich der Minister freundlich gewesen sei, sagt Freisleben – die Atmosphäre im Vorfeld der Debatten, an denen er nicht teilnehmen darf, sei anfangs doch recht frostig gewesen.
Nach dem Gespräch ist der Arzt so schlau wie zuvor. Stillschweigen ist die Devise. Es soll bei diesem sensiblen Thema nichts an die Öffentlichkeit kommen, was den ausgehandelten Kompromiss wieder infrage stellen könnte. Und doch In einer Kaserne in Manching kommen Balkanflüchtlinge unter.
Bamberg Noch ist es nicht offiziell, aber das zweite Asylzentrum für Flüchtlinge vom Westbalkan kommt wohl nach Bamberg. Zunächst war
tröpfeln die Nachrichten – zumeist allerdings durch Hörensagen. Wenig Handfestes dringt nach außen. Das hat einen Grund: Die Kommunalpolitiker halten diesmal dicht, weil sie den Innenminister nicht ein zweites Mal verärgern wollen.
Herrmann hat ihnen an diesem Abend in aller Deutlichkeit klargemacht, dass er über die vermeintlichen Indiskretionen nach seinem ersten Besuch gemeinsam mit Sozialministerin Emilia Müller neun Tage zuvor alles andere als amüsiert gewesen sei. 24 Stunden später nämlich war der politische Widerstand bereits formiert. In einer Sondersitzung verabschiedete der Stadtrat eine Resolution und stellte sich einstimmig gegen die Pläne aus München. Das gipfelte in dem Ausspruch des Donauwörther Rathauschefs: „Wenn das Asylzentrum Donauwörth im Gespräch. Heute werden Innenminister Joachim Herrmann und Sozialministerin Emilia Müller zu einer Pressekonferenz in die oberfränkische Stadt kommen. Die USStreitkräfte haben die auserkorene Kaserne im September 2014 verlassen, die Gebäude sind also noch gut in Schuss. Außerdem sind die Warner Barracks ausreichend groß. Das Areal im Osten Bambergs bedeckt zehn Prozent der gesamten Stadtfläche. Durch das Zugeständnis erhofft sich Bamberg, schneller (möglichst 2016) das Gelände vom Bund kaufen und einen Großteil davon in Wohnbebauung umwandeln zu können. Wohnraum ist in Bamberg rar. (ioa, dpa, AZ)
kommt, stiehlt die Staatsregierung unsere Zukunft.“Damit spielte der Oberbürgermeister auf die Umwandlung der ehemaligen Kaserne in ein Wohnviertel an. Die sei schon weit fortgeschritten und werde dann jäh abgebrochen. Und: In Donauwörth herrsche Mangel an Wohnraum. Derart Front zu machen gegen eine händeringend nach geeigneten Standorten suchende Staatsregierung, fand Minister Herrmann, sei alles andere als gut.
Dann kommt die Nachricht, bei der weder Landrat Rößle noch Oberbürgermeister Neudert wissen, ob sie sich nun freuen sollen oder nicht. Das Abschiebezentrum für bis zu 1500 Asylsuchende ist vom Tisch. Stattdessen wird, wie es das Innenministerium gestern Nachmittag bestätigt, „zeitnah und dann bis Ende 2019“eine reguläre Erstauf- nahmeeinrichtung für rund 600 Asylbewerber auf dem Donauwörther Schellenberg entstehen.
Dazu muss man wissen: Eine Übergangseinrichtung, die eine Außenstelle des zentralen Erstaufnahmelagers in München ist, besteht bereits in einem der 40 Gebäude auf dem weitläufigen Areal, auf welchem zu Hochzeiten des Kalten Krieges bis zu 2000 Soldaten stationiert waren, und das vor rund eineinhalb Jahren von der Truppe verlassen wurde.
Die Nachricht macht am Donnerstag die Runde – und wird im Rathaus zu einem wahren „Krimi“, wie Oberbürgermeister Neudert das nennt. Das Thema ist heikel für alle Seiten. Keiner will falsche Worte wählen. Der Sitzungssaal im ersten Stock ist gut gefüllt mit Journalisten und den Stadträten, die gerade nicht im Urlaub sind. Die Luft wird immer stickiger. Oberbürgermeister und Landrat warten stundenlang auf die Freigabe aus München, die Nachricht verlesen zu dürfen. Um 14 Uhr wollen sie das Ergebnis mitteilen und ihre Interpretation dazu. Aber sie müssen sich in Geduld üben, verschieben ihre Bekanntgabe bis weit in den Nachmittag.
Der zweite Anlauf einer Pressekonferenz gelingt dann. Landtagsabgeordneter Fackler spricht offen von der angespannten Atmosphäre zwischen Staatsregierung und kom-
Die Männer im Saal wirken gehetzt und geschafft
Das sind die beiden neuen „Aufnahme- und Rückführungszentren“für Balkanflüchtlinge in Bayern Die Frage nach Gewinnern und Verlierern
munalen Vertretern, von „Druck und Gegendruck“. Im Ergebnis gebe es „weder Gewinner noch Verlierer“, beide Seiten hätten ihr Gesicht wahren können. Und die Sorgen der Anwohner? Neuderts Stellvertreter Fischer sagt, man müsse den Flüchtlingen die Regeln der Gesellschaft beibringen, dann könne man den „sozialen Frieden“sichern.
Die Aufregung in der Stadt, das wird schnell deutlich, ist nicht mehr so groß. Gelegt hat sie sich aber noch lange nicht. Nachdem nun klar ist, dass die deutliche Vergrößerung der Erstaufnahme-Einrichtung beschlossene Sache ist, wird eine zweite Unterschriftenaktion vorbereitet – allerdings nicht gegen dieses Vorhaben. Eine Mitarbeiterin des Fitnesscenters in der Parkstadt will Unterschriften dafür sammeln, dass der städtische Parkplatz in unmittelbarer Umgebung ihres Studios endlich beleuchtet wird. Bislang habe die Stadt keine Notwendigkeit darin gesehen, sagt die Frau, die ihren Namen nicht nennen will. Das will sie nicht länger hinnehmen. „Wer hier in der dritten, vierten oder fünften Reihe parkt, der bekommt ein mulmiges Gefühl.“ Asylbewerber in der früheren Alfred-Delp-Kaserne: Etwa 100 wohnen dort bereits. Künftig sollen es sechsmal so viele sein.