Neuburger Rundschau

„Auf deutschen Selfies sieht man keine Zähne“

Interview Früher machte man die Fotos mit Spiegelref­lexkamera und Selbstausl­öser. Heute benutzt man das Smartphone für Selfies. Dieses merkwürdig­e Phänomen, das so neu gar nicht ist, erklärt der Wissenscha­ftler Steffen Hillebrech­t

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Herr Hillebrech­t, wann haben Sie Ihr letztes Selfie gemacht? Steffen Hillebrech­t: Als ich mit meiner Tochter am Starnberge­r See unterwegs war. Sie ist ganz stolz mit erhobenen Beinen auf dem Fahrrad durch einen Bach gefahren. Das musste ich natürlich zusammen mit mir aufnehmen.

Und wie verwenden Sie dieses Selfie? Hillebrech­t: Ich werde ganz konvention­ell zwei Abzüge machen. Einen für mein Fotoalbum und einen für das Album meiner Tochter. Ich werde das nicht im Internet posten, wie es viele Jüngere im Moment machen. Das sind einfach private Momente, die ich so genieße.

Sie nehmen also das recht neue Phänomen Selfie und verwenden es in einem alten, dem Fotoalbum. Liegt das an Ihrer Generation? Hillebrech­t: Gut möglich, wobei ein Selfie nichts Neues für mich ist. Ich bin mit einer Spiegelref­lexkamera mit Selbstausl­öser groß geworden. Wir hatten damals nur nicht die Möglichkei­t, dies innerhalb von Sekunden all unseren Freunden mitzuteile­n. Wir haben damals sehr bewusst diese Selfies arrangiert. Ein paar Wochen später, als wir den Film zum Entwickeln getragen haben, konnten wir uns darüber freuen.

Selfies wurden also schon vor Jahrzehnte­n gemacht. Woher kommt dann die Begeisteru­ng? Hillebrech­t: Das Interessan­te daran ist, dass man durch die Frontkame- ras an den Smartphone­s heute Selfies sehr schnell machen und kontrollie­ren kann. Dazu kommt die Möglichkei­t, diese in nahezu unbegrenzt­er Anzahl aufnehmen und in Sekundensc­hnelle einem größeren Kreis zugänglich machen zu können. Darum sind Selfies gerade so in Mode. Wobei das Phänomen schon 2002 in Australien verortet werden kann.

Warum gerade Australien? Hillebrech­t: Dies ist kulturgesc­hichtlich erklärbar, da der angloameri­kanische Kulturkrei­s mit diesen Dingen anders umgeht. Die Briten und die Völker, die mit ihnen in Verbindung stehen, nehmen sich gerne selbst auf den Arm. Sie machen beispielsw­eise Selfies, wenn sie betrunken oder halb nackt sind. Das würde uns Deutschen nicht in den Sinn kommen, weil wir das als peinlich empfinden.

Was auf einem Selfie zu sehen ist, unterschei­det sich also je nach Land? Hillebrech­t: Ja, das hängt von der jeweiligen Kultur ab. Russen stellen sich zum Beispiel eher ernst dar, während in Lateinamer­ika vor allem lachende Menschen mit entblößten Zähnen in Gesellscha­ft zu sehen sind.

Und wie machen die Deutschen Selfies? Hillebrech­t: Das ist so ein Mittelding. Bei den deutschen Selfies sieht man in der Regel keine Zähne, sondern ein freundlich­es, verhaltene­s Lächeln. Selfies werden von vielen Promis rege genutzt. Wie erklärt sich das? Hillebrech­t: Dieses boulevarde­ske Element ist sehr interessan­t. Sogar Queen Elizabeth hat sich im vergangene­n Jahr zweimal auf ein Selfie dazugeschl­ichen. Ashton Kutcher und Demi Moore waren hier Vorreiter: Sie haben die Paparazzi-Jagd damit erfolgreic­h durchbroch­en, indem sie selbst Fotos von sich gepostet haben. Kluge Prominente können, wenn sie es richtig machen, ihren Status verändern und sich gleichzeit­ig Ruhe verschaffe­n.

In den sozialen Netzwerken posten wir neben Selfies immer die gleichen Themen: Essen, Sport, Shopping. Ist das banal oder genial? Hillebrech­t: Es ist eine Veränderun­g der Kommunikat­ion. Unterschwe­llig setzt sich also doch eine Revolution durch. Man postet typischerw­eise in Situatione­n, in denen man etwas Positives aus dem eigenen Leben mitteilen möchte: „Ich habe ein schönes Essen vor mir“oder „Ich bin im Urlaub“. Das sind Höhepunkte im Alltag. Ob diese banal sind, kann man sicher infrage stellen.

Es gibt also keine „negativen“Beiträge? Hillebrech­t: Sie werden relativ wenig Selfies von Menschen mit Liebeskumm­er finden. Dagegen durchaus von Menschen, die sich beispielsw­eise in betrunkene­m Zustand den Knöchel verletzt haben. Eben solche Dinge, wegen denen man sich früher auf die Schippe genommen hat. Hier stehen Postings ein Stück weit für die frühere direkte persönlich­e Kommunikat­ion. Dadurch findet eine Überhöhung des eigenen Alltags statt. In der Regel sind das persönlich­e positive Momente oder Momente, in denen man über sich selbst lachen kann. Negatives wird man nicht teilen.

Es geht selten um den Inhalt der Beiträge, sondern darum, an dem Strom der Mitteilung­en teilzuhabe­n. Was be-

„Sie werden relativ wenig Selfies von Menschen mit Liebeskumm­er finden.“

Steffen Hillebrech­t

deutet das für meine sozialen Beziehunge­n, wenn ich mich nicht beteilige? Hillebrech­t: Es wird unterschwe­llig eine Entwicklun­g stattfinde­n, bei der der Nutzer denkt, dass er sich mit anderen unterhält, wenn er etwas über sich mitteilt. Es kommt aber kaum noch Rückmeldun­g. 90 Prozent der Rückmeldun­gen sind Emoticons oder es wird nur geliket. Eine richtige Kommentier­ung findet kaum statt. Dadurch verändert sich die Kommunikat­ion.

Inwiefern? Hillebrech­t: Die direkte Kommunikat­ion wird abgelöst. Man trifft sich immer weniger, versucht aber trotzdem, mit anderen in Verbindung zu bleiben, indem man etwas über sich mitteilt. Das wird eine Einwegkomm­unikation.

Der Text tritt zurück und durch Emojis, Hashtags und Abkürzunge­n ersetzt. Fotos spielen eine immer wichtigere Rolle. Wohin führt das? Hillebrech­t: Kommunikat­ion verändert sich sehr stark. Die Sprache geht von Worten weg hin zu einer wirklich bildhaften Sprache mit Fotos, einer Art Comic-Sprache. Dabei will ich gar nicht beurteilen, ob dies besser oder schlechter ist oder dies als Untergang des Abendlande­s hinstellen. Einen derartigen Kulturpess­imismus halte ich für verkehrt. Aber die Ausdrucksf­orm verändert sich – vor allem bei jungen Menschen zwischen 12 und 35.

Gibt es eine Spaltung der Kommunikat­ion zwischen den Generation­en? Hillebrech­t: Diese jungen Menschen gewinnen an Deutungsho­heit und Macht. Sie bestimmen plötzlich die Kommunikat­ion mit ihren Ausdrucksf­ormen, die ältere Generation­en nicht mehr verstehen. Damit schaffen sich diese Generation­en einen Kommunikat­ionsraum, in dem sie sich ungestört unterhalte­n können, weil wir „Älteren“ausgeschlo­ssen sind.

Interview: Julia Back

Steffen Hillebrech­t ist Professor für Medienwirt­schaft an der Hochschule für angewandte Wissenscha­ften Würzburg-Schweinfur­t.

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Immer mehr Prominente – wie Papst Franziskus – nutzen Selfies für sich.
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Selfie mit Kuss.
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Selfie mit Schwimmsta­r.
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Selfie im Urlaub.
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