Der neue und milde Ai Weiwei
Chinas Kritiker zeigt plötzlich Verständnis
Berlin Es ist eine Gratwanderung. Seit der lange in China geächtete Künstler Ai Weiwei in Deutschland ist, spricht er verständnisvoll, fast versöhnlich über das Regime, das ihn einst verschleppte und vier Jahre lang seinen Pass einbehielt. Im Netz erntet der „neue Ai“für seinen Kurswechsel teils heftige Kritik.
Ein Gespräch mit der Wochenzeitung Die Zeit sorgt nun noch für einen Streit anderer Art. Der 57-jährige Maler und Bildhauer wirft dem renommierten Blatt auf seinem Twitter-Account vor, das Interview bewusst falsch übersetzt zu haben und damit journalistische Prinzipien zu verletzen. Die verantwortliche Redakteurin Angela Köckritz wies die Vorwürfe zurück. „Es gibt keine Unterschiede zwischen der deutschen, der englischen und der chinesischen Version“, erklärt sie. Zum Vergleich wurden alle drei Fassungen im Internet veröffentlicht. Auch der von Ai gegengelesene und abgesegnete Text liegt vor.
Tatsächlich hat der 57-Jährige zumindest in dem abgedruckten Text seine Position nochmals deutlich zugespitzt und Verständnis für die Verhaftung Unschuldiger durch die chinesischen Behörden geäußert. „Ein paar Leute festzunehmen, ist doch keine große Sache. Es gibt viel Schlimmeres“, sagte er demnach. Das Vorgehen entspringe einer politischen Macht, die ihre Machtstellung behalten wolle.
Schon zuvor hatte Ai Weiwei deutlich gemacht, dass er nach den Jahren der Verfolgung und Ächtung nun eigentlich nur „ein normales Leben“führen wolle. Unter kritischen Geistern in China lösten seine Äußerungen Debatten aus. Die Vorwürfe in den sozialen Medien kamen zum großen Teil von jenen, die ihm gegenüber ohnehin schon kritisch eingestellt waren. Die chinesische Feministin Zhao Sile etwa kommentierte: „Egal, ob Dissidenten Ai Weiweis Äußerungen richtig verstehen, überreagieren oder nicht – was feststeht, ist, dass gerade der Kollaps eines Meinungsführers stattfindet.“(dpa)