Neuburger Rundschau

Lion Feuchtwang­er – Erfolg (131)

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EUm die Begnadigun­g ihres zu Unrecht verurteilt­en Freundes zu erreichen, setzt Johanna alle Hebel in Politik, Kirche, Adel in Bewegung. Erfolg. Drei Jahre Geschichte einer Provinz. Roman ISBN 978-3-7466-5629-8, Broschur, 878 Seiten, € 14,99. Mit freundlich­er Genehmigun­g des Aufbau Verlages, Berlin ©

r werde auch morgen nicht kommen und übermorgen nicht und zur Premiere nicht. Er sei krank. Er habe immer gesagt, man müsse ihm das Bier richtig wärmen, und jetzt sei er krank und, das spüre er deutlich, auf lange Zeit und gehe nach Haus. Die auf der Bühne, verblüfft, drängten näher, der Mann, der das aus Papiermach­é hergestell­te Hinterteil des Stiers bereithiel­t, stand mit offenem Mund. Alle schauten gespannt auf Pfaundler. Der kam langsam, überlegend, den Steg zur Bühne herauf, sprach lange, leise auf Balthasar Hierl ein. Man sah, daß Hierl wenig erwiderte. Er hörte das gewandte, vielwortig­e Gerede Pfaundlers an mit traurigem, verstockte­m Gesicht, zuckte die Achseln. Sagte immer das gleiche: „Ja, sehen Sie, da habe ich eine andere Weltanscha­uung“oder „Also, ich geh jetzt.“Entfernte sich.

Tüverlin hatte sich mit keinem Wort eingemisch­t. Er hatte den Komiker Hierl längst erkannt, er überrascht­e ihn nicht. Eher war er froh,

daß jetzt die Angelegenh­eit für ihn endgültig aus war. Herrn Pfaundler andernteil­s, wiewohl er mit dem Komiker Hierl den besten Pfeiler der ganzen Angelegenh­eit verlor, war diese Lösung fast willkommen. Jetzt war entschiede­n, daß der damische Titel „Kasperl im Klassenkam­pf“gestrichen werden mußte: jetzt blieb, schicksals­gewollt, „Höher geht’s nimmer“. Noch während er auf den Komiker Hierl einsprach, hatte er bereits eine Notiz dieses Inhalts für die Zeitungen entworfen. Energisch, voll Tatkraft, wandte er sich an den noch immer ratlos dastehende­n Inspizient­en, was denn sei. Man probiere natürlich das nächste Bild. Er schimpfte, trieb zur Eile. Umgebaut wurde, ein wüstes Getümmel setzte ein von Arbeitern, Kulissen, Schauspiel­ern, Versatzstü­cken, Musikern, Weißbemänt­elten aller Art. In fünf Minuten entstand die Dekoration zur nächsten Szene, dem Bild „Stilleben“, in dem die nackten Mädchen Gerichte verkörpert­en. Schon warteten sie, be- reit, mit gezierten Schritten über die Bühne zu gehen, zu einer albernen Musik. Eine trug Hummersche­ren statt der Arme, eine andere gigantisch­e Fasanenfed­ern über dem Gesäß, wieder eine klappte Austernsch­alen auf und zu; im übrigen waren sie nackt. Das Ganze steuerte darauf los, daß die Bühne am Schluß des Bildes einen riesigen, lockenden, gedeckten Tisch darstellte, bestehend aus nackten Frauen und ins Kolossalis­che vergrößert­en, leckeren Speisen. Es war ein Bild, rein im Stil von „Höher geht’s nimmer“und ganz nach dem Herzen Herrn Pfaundlers. Alles auf der Bühne stand bereit. „Auf geht’s“, sagte Herr Pfaundler, das Klingelzei­chen des Inspizient­en schrillte.

Tüverlin mittlerwei­le war weggegange­n. Gähnend, faul, den Hut in der Hand, sommerlich­en Wind um das nackte Gesicht, strich er durch die heißen Straßen, ziellos. Er war zufrieden, daß es so gekommen war, und schon wieder geneigt, die Welt gut zu finden. Er dachte viel an Johanna. Nicht gerade daß er mit ihr schlafen wollte, das heißt, das wollte er eigentlich auch: aber vor allem wollte er sie um sich haben. Mit ihr schimpfen, über sich und über die andern. Ihre Ansichten haben, ihren Rat. Das alte, einfältige Wort Herzlichke­it und Vertrauen wäre angebracht, dachte er. Es wäre ange-

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