Das Ende der Sternstunde?
Italien Roms Bürgermeisterin Virginia Raggi konnte die Probleme der Stadt bisher nicht lösen. Stattdessen ermittelt nun der Staatsanwalt gegen sie. Ihrer Partei, der populistischen Fünf-Sterne-Bewegung, schadet das aber offenbar nicht
Sie ist die erste Frau im Amt des Bürgermeisters von Rom. Sie ist das jüngste Stadtoberhaupt in der Geschichte der italienischen Hauptstadt. Und sie galt vielen als das sympathische, unverbrauchte Gesicht, das eine neue Ära in Italien einleiten würde: Virginia Raggi, 38 Jahre alt, Patentanwältin und Galionsfigur der europaskeptischen 5-Sterne-Bewegung. Statt Stillstand, Chaos und Vetternwirtschaft versprach die Politikerin Bewegung, Ehrlichkeit und Transparenz.
Inzwischen sind sieben Monate vergangen. Virginia Raggi sieht bei öffentlichen Auftritten nicht nur todmüde aus, sie kämpft auch um ihre politische Existenz. Das liegt unter anderem daran, dass der Stadt in den vergangenen Jahren von den jeweils Herrschenden übel mitgespielt wurde. Rom soll unter einem Schuldenberg von 13 Milliarden Euro ächzen. Der Spielraum der Stadtverwaltung ist daher begrenzt.
Doch statt eines sichtbaren Neubeginns provozierte die Bürgermeisterin zusätzliches politisches Chaos. Sogar die römische Staatsanwaltschaft ermittelt gegen sie. Die Vorwürfe lauten auf Amtsmissbrauch und Falschaussage. Es wirkt so, als gebe es keinen Ausweg aus der römischen, ja aus der italienischen Misere. Der sozialdemokratische Ministerpräsident Matteo Renzi trat im Dezember zurück, weil die Italiener die von ihm angestoßene Verfassungsreform mehrheitlich ablehnten. Scheitert mit Raggi nun die nächste Hoffnungsträgerin in Italien?
Die Probleme der Bürgermeisterin begannen mit der Amtsübernahme. Die 5-Sterne-Bewegung ist ein buntes, auch populistisches Sammelbecken für Unzufriedene aller Couleur. Das gegenseitige Misstrauen ist stark ausgeprägt. Diese Skepsis bekam auch Raggi zu spüren. Gleichsam zur Aufsicht wurden ihr einige Mitglieder der Stadtregierung vom Chef der 5-Sterne-Bewegung, Beppe Grillo, diktiert. Grillo ist der Drahtzieher des „Movimento 5 Stelle“, er hat stets das letzte Wort in der Partei, die sich ihrer Basisund Netzdemokratie rühmt.
Raggi hingegen igelte sich auf dem Kapitol, dem Sitz der Stadtverwaltung, regelrecht ein und traf wichtige Entscheidungen mit einem harten Kern von nur drei Mitarbeitern. Das führte zu Spannungen. Im September traten aus Protest gegen die Amtsführung die Kabinettschefin, der Haushaltsreferent sowie die Spitzen von Verkehrsbetrieben und Müllentsorgungsgesellschaft zurück. Wegen strafrechtlicher Ermittlungen musste später auch Raggis Umweltreferentin gehen.
Der Bürgermeisterin wurde dann ihre enge Verbindung zu Personalreferent Raffaele Marra zum Verhängnis, einem ihrer drei Vertrauten. Die Staatsanwaltschaft ließ Marra Mitte Dezember wegen des Verdachts auf Korruption festnehmen, er sitzt bis auf weiteres im Gefängnis. Marra ist eine typische Figur der italienischen Verwaltung: Während sich die Politiker abwech- seln, verharrt eine Riege gewiefter Funktionäre an den Hebeln der Macht. Marra besetzte bereits unter dem neofaschistischen Bürgermeister Gianni Alemanno (2008-2013) wichtige Posten.
Als Stadträtin knüpfte Raggi Kontakte zu Marra, der sich als Anhänger der aufkommenden 5-Sterne-Bewegung gerierte und sich die Gunst der späteren Bürgermeisterin erwarb. Ob hinter der Verbindung zu ihrem Personalchef mehr als die Blauäugigkeit einer gutgläubigen Außenseiterin steckt, fragen sich inzwischen auch die Ermittler. Wegen der Beförderung von Marras Bruder zum Chef des Tourismusamts samt saftiger Gehaltserhöhung ist die Bürgermeisterin im Visier der Staatsanwaltschaft.
Die Diskrepanz zwischen dem von Raggi angekündigten Wandel und der Wirklichkeit ist offensichtlich. Beppe Grillo, der Gründer der 5-Sterne-Bewegung, die bei den Parlamentswahlen 2013 auf Anhieb dritte Kraft wurde, passte vor Wochen den Ethik-Code der Bewegung an. Seither ist der Rücktritt von Amtsträgern im Fall staatsanwaltschaftlicher Ermittlungen nur noch eine Option, aber kein Muss mehr.
Dass die Affäre aber das Vertrauen in die 5-Sterne-Bewegung insgesamt erschüttert hat, ist nicht zu behaupten. Ihr Nimbus als AntiEstablishment-Partei hält an. In Umfragen kommen die Grillini landesweit auf etwa 30 Prozent. Sie haben damit gute Chancen, bei der nächsten Parlamentswahl als Sieger hervorzugehen.